Das Formel-1-Fahrerlager war in Brasilien angesichts der umstrittenen Szenen zwischen Max Verstappen und Esteban Ocon gespalten. Sowohl was die Aktion auf der Rennstrecke als auch die Keilerei nach dem Rennen anging, waren die Experten geteilter Meinung. Vor allem Jacques Villeneuve fand klare Worte. Er nahm Verstappen für seine Attacke auf Ocon sogar in Schutz.

"In den 70ern wären das zwei blaue Augen gewesen", spielt der Weltmeister von 1997 im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com die Szene beim Wiegen herunter. Verstappens Reaktion war für ihn voll und ganz nachvollziehbar und alles andere als ein Grund zur Aufregung: "Er hat ihn ein bisschen geschubst, komm schon!"

Red-Bull-Teamchef Christian Horner hatte nach dem Rennen gegenüber Sky Sports F1 erklärt, dass Ocon seiner Meinung nach bei der Sache noch ziemlich gut weggekommen sei. "Ich denke, er hat sich ehrlich gesagt noch ziemlich am Riemen gerissen. Es hat ihn einen Grand-Prix-Sieg gekostet", so der Brite. Villeneuve sieht das ähnlich: "Max hat es sogar hinbekommen, noch ruhig zu bleiben. Das war sehr beeindruckend."

Weniger beeindruckend fand Villeneuve dafür die Reaktion Ocons, der jegliche Schuld von sich wies. "Dann noch mit dem Finger auf Max zu zeigen und zu sagen, dass es seine Schuld war. Er hätte einfach sagen sollen: Sorry, ich habe einen Fehler gemacht und dir einen Sieg gekostet. Aber zu allem Überfluss ist er auch noch arrogant gegenüber Max", schimpft er.

Danner rügt Verstappen: Angriff auf Ocon war dumm

RTL-Experte Christian Danner konnte da im Interview mit Motorsport-Magazin.com nicht unbedingt zustimmen. "Es war dumm von Verstappen, dass er dem anderen im Wiegebereich eine reinhauen will. Das ist schon sehr blöd", sagt der 36-fache Grand-Prix-Teilnehmer. Emotionen sind zwar in Ordnung, doch nicht in diesem Rahmen.

"Die sollen sich auf der Strecke Saures geben und hinterher auch diskutieren, das ist gar keine Frage. Aber es gibt keinen Grund, dass Verstappen dem Ocon da an die Wäsche geht", sagt Danner, der den Ärger beim Niederländer aus Sicht des Rennfahrers natürlich auch nachvollziehen kann: "Es ist verständlich, dass er sauer ist. Er hat einen Sieg verloren." Gleichzeitig vergaß er natürlich auch nicht den Auslöser des gesamten Skandals.

Danner und Stewart sehen Schuld klar bei Ocon

Sich zu entrunden sei zwar prinzipiell in Ordnung, "aber man sollte dem Gegner in dem Fall Platz lassen, dass es keine Kollision gibt. Das war dumm von Ocon", bekommt auch der Franzose sein Fett von Danner weg. Verstappen nimmt er hier in Schutz: "Er hat zu 100 Prozent Recht. Er war der Führende und der geht klar davon aus, dass der andere zurücksteckt. Das ist doch logisch. Er hat überhaupt nichts falsch gemacht."

F1-Legende Jackie Stewart sah das auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com ähnlich. "Ich denke, das war ein unglücklicher Fehler von Ocon. Wenn der Führende des Rennens dich überholt, versuchst du nicht gegen ihn zu fahren. Du lässt ihn ziehen, denn er ist sowieso eine Runde vorne," so der Schotte.

Dafür, dass es beim sonst wenig auffälligen Ocon aussetzte, glaubt Danner eine Erklärung zu haben: "Der fährt um sein Leben. Er will ja weiter in der Formel 1 bleiben und das geht nie ganz vorüber an einem. Der Druck, die ganze Belastung. Du siehst keinen Ausweg, weißt nicht was du machen sollst, die Felle schwimmen dir davon. Das führt dazu, dass die Abgeklärtheit, die du im Cockpit normalerweise brauchst, leidet."

Villeneuve zerreißt Ocon: Peinlich und ohne Rennintelligenz

Während Danner damit ansatzweise Verständnis für Ocon zeigte, teilte Villeneuve auch in diesem Punkt gnadenlos gegen den Force-India-Fahrer aus. "Es zeigt, dass Ocon keine Rennintelligenz hat. Es ist peinlich", lässt er kein gutes Haar am Mercedes-Junior. Am Samstag ging es beim Vorfall zwischen Lewis Hamilton und Sergey Sirotkin im Qualifying um Gentlemen's Agreements in der Formel 1. In diesem Fall pochte Villeneuve hingegen auf das Reglement, und dass Hamilton ungeachtet irgendwelcher Abmachungen mit seiner gefährlichen Fahrweise gegen dieses verstoßen hatte.

Im Fall Ocon vs. Verstappen verstieß tatsächlich niemand gegen das Reglement, denn das Entrunden beim Führenden ist laut Regelbuch gestattet. Dieses spielt für Villeneuve hier aber nur eine untergeordnete Rolle. Ocons Aktion war für ihn inakzeptabel. "Allein der Versuch, sich zu entrunden. Das ist zwar an sich vielleicht okay, aber dann so um diese Kurve zu kämpfen... was hat er sich dabei denn gedacht?!", schimpft der 47-Jährige.

Für Villeneuve war diese Aktion Grund genug, auch die Vergangenheit Ocons in Frage zu stellen: "Das lässt ihn ziemlich schlecht aussehen, denn das zeigt, dass in den letzten zwei Jahren fast jeder Unfall seine Schuld war. Wenn es drauf ankommt, fehlt ihm die Rennintelligenz und er schätzt die Situationen wirklich falsch ein. Wirklich, wirklich schlecht. Eine schlechte Leistung."

Villeneuve widerspricht Force India: Wen interessiert euer Rennen?

Force-India-Teamchef Otmar Szafnauer rechtfertigte Ocons Aggressivität gegenüber Motorsport-Magazin.com damit, dass sein Pilot auf das Rennen des Konkurrenten schlichtweg keinerlei Rücksicht nehmen konnte. "Wir fahren um einen Punkt, der wichtig für uns ist. Aus unserer Sicht ist uns egal, was sie machen. Uns interessiert nur unser Rennen."

Ein Punkt soll demnach also wichtiger als das Rennen des Führenden sein. Ein Argument, dass Villeneuve nicht gelten lässt. "Na und? Es geht um den Sieg, du bist eine Runde hinten. Wen interessiert das dann?", widerspricht er vehement.