Alex Wurz kämpft als Präsident der Fahrergewerkschaft GPDA konsequent für mehr Sicherheit in der Formel 1. Motorsport-Magazin.com sprach bei den Testfahrten vor der Saison ausführlich mit Wurz über das Thema Sicherheit und Cockpit-Schutz. Weil die Strategiegruppe am Mittwoch beschloss, dass 2018 definitiv mit dem Cockpit-Schutz Halo gefahren wird, veröffentlichen wir dieses lesenswerte Interview aus dem Archiv noch einmal.

Alex, sportlich gefällt dir die Formel 1 in diesem Jahr gut, aber es muss für dich einen Schönheitsfehler geben: Halo, oder bessergesagt kein Halo. Eigentlich sollte der Cockpit-Schutz ja schon in diesem Jahr auf den Autos sein...
Alex Wurz: Grundsätzlich gefällt mir die Formel 1 und die Sicherheit sehr gut, weil es langfristig gesehen ein Beispiel dafür ist, wie über 30, 40 Jahre ein Produkt, das immer höchste Performance zeigt, die schnellsten Autos hat, teilweise auch wieder zu extremeren Rennstreckendesigns geht, immer sicherer geworden ist. Und obwohl es sicherer geworden ist, wurde es im Zeitrahmen von diesen 30, 40 Jahren auch immer populärer. Das ist ein cooles Beispiel für die Autoindustrie. Es wäre ganz wichtig, das zu kopieren: Dass man, ohne bei der Performance Abstriche machen zu müssen, dennoch das Produkt sicherer macht. Da muss man Leichtbau und rigoroses R&D (Research & Development, Forschung & Entwicklung) betreiben. Wie man ein Risikomanagement macht, ohne auf Performance zu verzichten, hat die Formel 1 brillant vorgemacht. Auch Luftfahrtindustrie oder Schiffe könnten alle davon lernen. Da sind wir echt auf dem neuesten Stand.

Jetzt reden wir über ein Segment, das in dieser Abfolge der Sicherheitskalkulationen noch das höchste Sicherheitsrisiko aufzeigt. Bei der Logik, aber auch bei den Daten. Das ist einfach der freistehende Kopf mit den Kopfverletzungen. Ich würde gar nicht sagen, dass ich schwer enttäuscht bin. Ich hätte mir gewünscht, dass die Formel 1 einen besseren Prozess anwendet. Die Entwicklung des Halo war gut, aber beim Entscheidungsprozess haben wir uns als Industrie etwas selbst geschadet und da haben alle Leute nicht gut genug kommuniziert.

Das System kommt nicht, wurde aber vorher schon angekündigt, die ganzen technischen Gremien haben es auch schon ins Reglement gebracht und Fahrern und Medien wurde ebenfalls gesagt, dass es kommt. Wenn das nachher boykottiert wird und dadurch ein kurzfristiger Medienaufschrei entsteht - ob jetzt Pro oder Contra ist egal -, genau da muss ich sagen, das ist intern von der Kommunikationsstrategie nicht gut genug und das schadet dem Produkt. Eigentlich hätte diese Entwicklung und das Ja und das Nein kein Fan und kein Medienvertreter mitbekommen sollen - außer du bist ein Hardcore-Medienvertreter. So wurde es aber auf jeder TV-Station live getestet, kommuniziert und hat da auf einmal etwas bewirkt, was der Formel 1 in Sachen Image geschadet hat.

Müsst ihr euch von Seiten der GPDA da auch selbst etwas ankreiden?
Alex Wurz: Da tragen alle gleich viel Schuld. Unterm Strich waren sich alle einig, dass es kommt, inklusive der Technischen Direktoren, die mehrere Meetings hatten. Dann ist es nicht gekommen. Dem Fan oder dem Leser zu Hause geht es nicht darum, ob es gut oder schlecht ist, ob es schön oder mies aussieht ist. Es ist ein normaler Sicherheits-Entwicklungsprozess. Es könnte auch ein neuer Sicherheitsgurt sein oder ein Airbag. Das ist dem Normalverbraucher völlig egal.

Dieser Prozess wurde zum ersten Mal anders gemacht: Er wurde von einer Art und Weise nicht mehr nur von der FIA gemacht, sondern von den Teams mitgestaltet. Mercedes hat eine Lösung eingebracht, bei der Red Bull dann vermutet hat, sie hätten das entwickelt, um einen Aerodynamik-Vorteil zu haben. Dann haben sie gesagt: 'Wir bringen unseren Aeroscreen, weil wir das länger entwickelt haben, deswegen können wir einen Performancevorteil hinter dem Teil haben.' Das war die Krux. Die Sicherheit sollte zu 100 Prozent nur die FIA entscheiden.

Mit einer Hinhalte-Taktik konnte der Halo auf 2018 verschoben werden. Befürchtest du, dass die Sicherheitsentwicklung von ästhetischen Gesichtspunkten eingebremst wird?*
Alex Wurz: Ich hoffe nur eines - und da mache ich mich zwar nicht beliebt, aber ich sag es: Ich hoffe, dass die Formel 1 nicht von einer Entwicklungsrichtung, die sie über 30 Jahre gemacht hat, weggeht. Safety first, ohne die Performance auf der Strecke zu beeinflussen. Wenn wir aufhören, die Autos zu entwickeln, kann der Veranstalter, die FIA, die Formel 1, der Rechteinhaber die Autos nie schneller und aggressiver machen. Die Popularität stieg über die letzten 30,40 Jahre dramatisch an, die Rundenzeiten wurden immer schneller, obwohl das Reglement jedes Jahr versucht, die Autos zu zähmen. Da ist ein klarer Strich.

Die Sicherheit war bis vor kurzem einer der Hauptverkaufspunkte der Formel 1. Wir haben das als faszinierend verkauft, dass sie mit 300 in die Wand fahren und aussteigen. Bis vor zwei oder drei Jahren - du kannst dem widersprechen oder es bestätigen - als die Formel 1 immer im Wachstum war, wurde nie diskutiert: Es ist zu sicher und deswegen ist die Formel 1 schlecht. Das ist erst vor kurzem gekommen, weil sich die Formel 1 in eine Krise getrieben hat. Aber das war nicht, weil wir die Autos sicherer gemacht haben. Da ist ja de facto in den letzten Jahren nichts passiert. Die Sicherheit hat der Popularität nie geschadet, im Gegenteil.

Nur die Sicherheit der Strecken...
Alex Wurz: Da bin ich bei dir. Aber was jetzt das Auto betrifft, die Sicherheitszelle - das ist so fundamental wichtig. Denn würden wir Fahrer töten, dann wird der Motorsport in bestimmten Ländern und vielleicht auch generell verboten. Das ist leider der Verlauf unserer heutigen Zeit. Die FIA wurde gegründet, weil beim ersten Motorrennen von England nach Spanien Zuschauer und Fahrer gestorben sind. Da haben die Regierungen gesagt, Motorsport kann nicht stattfinden. Das ist nicht reguliert, es gibt keine klaren Sicherheitsbestimmungen. Deswegen ist die FIA gegründet worden.

Davon können wir uns heute nicht wegbewegen. Diese Meinung, die sich da ein bisschen kundtut, dass Motorsport gefährlich sein muss, finde ich überhaupt nicht richtig, Nein, Motorsport muss sauspannend sein, dann schauen die Leute zu. Zur Spannung gehört auch dazu, dass es mal einen in die Wand haut. Aber dann soll er aussteigen, weil wir von der Emotion leben, dass er das Rennen verloren hat. Aber nicht von der Emotion, ob er jetzt unverletzt oder querschnittsgelähmt ist. Das ist schizophren, da würde kein Sponsor mitziehen. Das geht gar nicht. Auch keine Regierung, kein Veranstalter würde das akzeptieren.

* An dieser Stelle wurde das Interview leicht geändert. Ursprünglich hieß die Fragestellung: "2017 ist der Halo nur vorübergehend vom Tisch, 2018 soll er endgültig kommen. Sehen wir ihn zu 100 Prozent?" Bei der Antwort von Alex Wurz haben wir den ersten Teil deshalb gestrichen. Es sagte: "Kann ich dir nicht beantworten. Das liegt nicht an mir."

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