Strömender Regen, die Gischt peitscht, keine zehn Meter Sicht und irgendwo mittendrin gleitet, wie auf Schienen, ein schwarz-goldener Lotus-Renault, darin ein kanariengelber Helm, scheinbar seelenruhig Richtung Sieg. Es ist ein denkwürdiger Nachmittag jener Rennsonntag Mitte April 1985 im portugiesischen Estoril. Ein ganz besonders erinnerungswürdiges Stück Formel-1-Geschichte.

Was die rund 20.000 klamm fröstelnden Zuschauer auf den Rängen - und ein Vielfaches bequem an den TV-Bildschirmen daheim - da geboten bekommen, ist kein hochspannender Kampf um Positionen, kein Duell um den Sieg oder gar den WM-Titel. Es ist eine Solofahrt. Pure Dominanz. Und gerade deshalb trotzdem ein großes Spektakel. Denn es ist die Geburtsstunde eines Mythos. Der erste Sieg einer Legende. Ayrton Senna.

Portugal GP 1985: Ayrton Sennas erster F1-Sieg - Kommentator flippt aus (04:13 Min.)

Ayrton Senna in Estoril 1985: Die erste von 65 Pole Positions

Genau 32 Jahre ist es jetzt her, dass sich der Brasilianer erstmals mit dicker Feder in die Geschichts- und Statistikbücher der Formel 1 einträgt. Schon die erste seiner am Karriereende 65 Pole Positionen - nur Michael Schumacher und Lewis Hamilton gelangten je in ähnliche Sphären - hatte sich Ayrton Senna in Estoril gesichert. Im Qualifying fuhr Senna trotz technischer Probleme im vorherigen Training überlegen auf Startplatz eins. Vier Zehntel Vorsprung auf den zweitplatzierten McLaren von Alain Prost, satte 1,15 Sekunden auf seinen Lotus-Teamkollegen Elio de Angelis. Und das bereits in seinem erst zweiten Rennen für den neuen Rennstall - von Toleman-Hart war Senna nach seiner Rookie-Saison 1984 zu Lotus gewechselt. Ein wichtiger Grundstein für seine beeindruckende Performance am Rennsonntag.

Bedrohlich hat sie sich nämlich über Nacht aufgetürmt: eine gewaltige Regenfront an der Atlantikküste. Der Portugal GP startet hinein in einen halben Weltuntergang. Dementsprechend groß der Vorteil der Pole Position - kein Spray, freie Sicht, Senna dominiert vom Start weg. So heftig prasselt es vom Himmel, dass das Rennen nicht nach den ursprünglich geplanten 70 Runden, sondern - nach Erreichen der Zwei-Stunden-Grenzen - bereits nach deren 67 abgewunken werden musste. Zu diesem Zeitpunkt, wie zu jedem anderen im Rennen, in Führung: Ayrton Senna. Die schnellste Rennrunde? Schnappt er sich auch. Grand Slam!

Ayrton Sennas 57. Geburtstag (01:28 Min.)

'The Magic': Ayrton Senna siegt mit einer Minute Vorsprung

So gewinnt der Brasilianer mit sage und schreibe einer Minute Vorsprung auf Michele Alboreto im Ferrari. Der drittplatzierte Patrick Tambay ist bereits überrundet - genauso der Teamkollege von 'The Magic', wie Lotus-Teamchef Peter Warr Senna später taufen wird, auf Platz vier. Ab Nigel Mansell auf Rang fünf fehlen der Konkurrenz sogar mindestens zwei Runden auf Senna. Nur achte andere neben ihm schaffen es überhaupt ins Ziel. Der Großteil des Feldes scheidet aus - meist auf spiegelglatter Fahrbahn vom Asphalt gedreht. Selbst die Ausnahmekönner dieser Zeit wie Alain Prost und Keke Rosberg finden ihren Meister in den Bedingungen.

Selbst der magische Großmeister Senna erlebt so einen Moment. Einmal gerät auch der Lotus mit der Nummer zwölf neben die Strecke ins Gras. "Sie alle sagten, ich hätte keine Fehler gemacht, aber das ist nicht wahr", gesteht der Brasilianer nach dem Rennen selbst. "Einmal war ich mit allen vier Rädern im Gras, komplett außer Kontrolle. Doch das Auto fand den Weg zurück auf die Strecke."

Wie es dazu überhaupt kommt? Lotus-Designer Gerard Ducarouge hatte Senna angefunkt, es wegen des großen Vorsprungs etwas ruhiger angehen zu lassen. Senna gehorcht, wird unkonzentriert, macht den Fehler. "Mach so etwas nie wieder. Wenn ich langsamer fahre, kann ich mich nicht konzentrieren", lässt Senna Ducarouge später wissen. Ein Charakterzug Sennas, der sich Jahre später fatal wiederholen soll. In Monaco führt Senna 1988 ähnlich souverän. Wieder gibt es eine Anweisung, langsam zu machen. Diesmal von McLaren, Sennas neuem Team. Doch wo in Estoril noch Gras, da steht in Monaco eine Leitplanke. Sennas Rennen ist zerstört.

Für Senna ein Trockenrennen?, Foto: Sutton
Für Senna ein Trockenrennen?, Foto: Sutton

Ayrton Senna im Regen wie andere im Trockenen

Aber zurück in den April 1985 nach Portugal. Dort wird Regenkönig Senna nach seiner Triumphfahrt zum ersten Lotus-Sieg seit drei Jahren gefeiert wie kaum ein anderer vor oder nach ihm. "An diesem Tag stellte er einfach alle anderen in den Schatten", jubelt Lotus-Teamchef Warr über 'The Magic'. "Eines der größten Rennen aller Zeiten, aber nicht aufgrund des engen Wettbewerbs, sondern aus dem genau entgegengesetzten Grund", wird der Teamchef in 'The Life of Senna' zitiert.

Ducarouge zollt seinem Piloten 'Memories of Senna' zufolge derweil auf ganze besondere Art Respekt. Fuhr Senna in einer Parallelwelt? Ducarouge: "In Portugal zeigte er eine unglaubliche fahrerische Leistung. Verglichen mit den anderen Fahrern war er auf trockener Strecke unterwegs. Beim Betrachten eines Videos des Rennens entsteht der verblüffende Eindruck, dass er auf einer anderen Strecke als alle anderen Fahrer unterwegs war: Ayrton überholte die Leute außen und innen. Man hatte das Gefühl, dass er als Einziger nicht im Regen fuhr." Mit Überholen meint Ducarouge hier freilich ausschließlich Überrunden.

Noch Jahre später - als bereits dreimaliger Formel-1-Weltmeister - erinnert sich auch Senna selbst an jenen denkwürdigen Nachmittag an der portugiesischen Atlantikküste, bezeichnet ihn als vielleicht besten Moment seiner gesamten Karriere überhaupt: "Einer der besten Momente meiner Karriere war mein erster Formel-1-Sieg in Portugal im Regen. Es war auch das Wochenende meiner erster Pole-Position. Zusammen mit meinem ersten WM-Titel war es einer der besten, wenn nicht der beste Moment in meiner bisherigen Karriere. Es war ein Rennen voller Erinnerungen und voller Aufregung - ein Rennen, das ich ganz sicher für den Rest meines Lebens im Gedächtnis behalten werde."

Ayrton Sennas Statistik in der Formel 1

Insgesamt gewann Senna nach seinem Debütsieg in Portugal noch 40 weitere F1-Rennen, davon zwölf Mal bei zumindest teilweise regnerischen Bedingungen - wie etwa seiner ebenfalls unvergessenen Fahrt in Donington 1993, die für zahllose Beobachter als eine der besten fahrerischen Momente der ganzen F1-Historie überhaupt gilt. Noch dazu holte Senna in seinen 161 Rennen für Toleman, Lotus, McLaren und Williams neben der genannten 65 Poles 19 schnellste Rennrunden sowie 80 Podestplätze.