Pro: Schnell & lernfähig

von Olaf Mehlhose

Auch wenn seine Kritiker den Kopf schütteln werden, mit der Vertragsverlängerung für Romain Grosjean hat Lotus die richtige Entscheidung getroffen. Den 26-Jährigen auf seine Startunfälle und ungestümen Manöver zu reduzieren, würde um einiges zu kurz greifen. Sicherlich hat er Fehler gemacht, aber bei aller Kritik an Grosjean sollte nicht unter den Tisch fallen, dass der 26-Jährige seine erste komplette Saison in der Königsklasse absolvierte. Dass er genügend Potenzial besitzt, um ein überdurchschnittlich guter Formel-1-Pilot zu werden, hat er nachhaltig unter Beweis gestellt.

In Kanada fuhr Romain Grosjean mit Rang zwei sein bestes Saisonergebnis ein, Foto: Sutton
In Kanada fuhr Romain Grosjean mit Rang zwei sein bestes Saisonergebnis ein, Foto: Sutton

Den nötigen Speed hat der Schweizer mit französischer Rennlizenz allemal. Im Qualifying-Duell mit Kimi Räikkönen, sicherlich einer der besseren Fahrer über eine schnelle Runde, behielt er mit 10:9 die Oberhand. Und in den Rennen, in denen er die Startphase ohne Schaden überstand, lieferte ebenfalls starke Ergebnisse ab. Drei Podiumsplätze, zehnmal in den Top-10 und Rang acht in der Fahrerwertung lautet die Ausbeute im Jahr 2012, eine Bilanz, die einigen arrivierteren Piloten gut zu Gesicht gestanden hätte. Darüber hinaus ist seine fragwürdige Berühmtheit als Bruchpilot der Szene ohnehin nur eine Momentaufnahme.

Wer erinnert sich heute noch an Lewis Hamiltons Harakiri-Manöver aus dem Vorjahr? Grosjean zumindest hat bewiesen, dass er lernfähig ist. Nach der Sperre von Monza leistete er sich abgesehen von dem Crash in Suzuka keine weiteren Aussetzer mehr. Der weniger riskante Fahrstil hatte zwar einen gewissen Leistungsrückgang zur Folge, aber mit einem Jahr mehr Erfahrung dürfte es dem Lotus-Piloten leichter fallen, das richtige Maß zwischen Angriff und Zurückhaltung zu finden. Eine weitere Chance hat er sich vor diesem Hintergrund auf jeden Fall verdient, insbesondere, wenn sich zu seinem fahrerischen Talent auch noch die nötige Abgeklärtheit gesellt.

Contra: Lotus hat höhere Ansprüche

von Philipp Schajer

Lotus hat sich also doch noch dazu durchgerungen, Romain Grosjean mit einem neuen Kontrakt auszustatten. Die lange Dauer der Entscheidungsfindung lässt darauf schließen, dass man beim Rennstall mit dem traditionsreichen Namen alles andere als überzeugt von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem in Genf geborenen Franzosen war, auch wenn die Teamführung stets bemüht war, Gegenteiliges zu behaupten - übermäßig großes Vertrauen sieht anders aus.

Grosjean sorgte 2012 für allerhand Chaos, Foto: Sutton
Grosjean sorgte 2012 für allerhand Chaos, Foto: Sutton

Es ist bereits Grosjeans dritte Chance in der Formel 1. 2009 ersetzte er bei Renault Nelson Piquet Junior und in diesem Jahr verpflichtete ihn das Nachfolgeteam der Franzosen erneut. Schlagzeilen machte er jedoch in erster Linie aufgrund seiner zahlreichen Unfälle, die ihm nicht nur einen äußerst schlechten Ruf in der Motorsportwelt einbrachten, sondern auch eine Sperre für ein Rennen. Man kann davon ausgehen, dass die Stewards Grosjean auch künftig ganz genau im Auge behalten werden, was für Lotus kaum einen Vorteil darstellen wird, denn es ist nahezu unmöglich, gute Leistungen abzurufen, wenn man unter ständiger Beobachtung steht. Grosjean gab sogar selbst zu, dass er in den letzten Rennen deutlich vorsichtiger zu Werke ging, um sich nicht erneut eine Strafe einzuhandeln.

Hinzu kommen die äußerst durchwachsenen Leistungen des 26-Jährigen. Während Kimi Räikkönen bereits im ersten Jahr nach seiner Formel-1-Pause ein Muster an Konstanz war, glich Grosjeans Saison einer Achterbahnfahrt, weshalb er in der Weltmeisterschaft nur den achten Platz belegte und selbst auf Felipe Massa, der Siebter wurde, einen gehörigen Rückstand aufwies. Es kann nicht der Anspruch von Lotus sein, mit lediglich einem konkurrenzfähigen Piloten an den Start zu gehen, denn das Potenzial des Teams ist wesentlich größer als der vierte Rang in der Konstrukteurs-Wertung.