Hinter McLaren liegt eine turbulente Saison, die über sämtliche Höhen und Tiefen verfügte, welche sich ein Rennfahrer nur vorstellen kann. Auf der Strecke wechselten sich souveräne Leistungen mit enttäuschenden Vorstellungen ab und abseits der Piste sorgte Lewis Hamilton mit seinem Wechsel zu Mercedes für Schlagzeilen. Kurzum: Mit der Truppe aus Woking wurde es nie langweilig, selbst wenn weder Hamilton noch sein Stallgefährte Jenson Button im Titelkampf ein entscheidendes Wort mitsprechen konnten.

"Das Auto ist stark, stärker als voriges Jahr zur gleichen Zeit", frohlockte Hamilton vor dem Saisonauftakt im Albert Park zu Melbourne und in der Tat sollte das Briten-Duo die Konkurrenz in den ersten Grand Prix das Fürchten lehren. Da diese aber nicht schlief, musste sich McLaren am Ende des Jahres jedoch wieder einmal eingestehen, dass es weder in der Fahrer- noch Konstrukteurs-Weltmeisterschaft zum Titel reichte. Immerhin konnten sieben Siege errungen werden, die den bereits reichlich bestückten Briefkopf weiter anschwellen ließen.

Das Team: Bei McLaren war Konstanz Trumpf, weswegen die Mannschaft aus Woking mit nahezu derselben Besetzung wie im Vorjahr in die neue Saison ging. Angeführt von Teamchef Martin Whitmarsh und unter den gestrengen Blicken des allgegenwärtigen Ron Dennis hatte man es sich zum Ziel gesetzt, nach 2008 wieder den Weltmeistertitel zu erringen. Um nichts dem Zufall zu überlassen, verpflichtete McLaren überdies Ex-Williams-Technikchef Sam Michael, der den Posten des Sportdirektors bekleidete.

McLaren stellte einen neuen Boxenstopprekord auf, Foto: McLaren
McLaren stellte einen neuen Boxenstopprekord auf, Foto: McLaren

Waren die Boxenstopps zu Beginn des Jahres noch die große Schwäche des Traditionsrennstalls, bei der viel Zeit liegen gelassen wurde, entwickelte sich der Reifenwechsel unter Zeitdruck bald zur Paradedisziplin. Beim Großen Preis von Deutschland in Hockenheim wurde Jenson Button binnen unglaublicher 2,31 Sekunden abgefertigt, was einen neuen Weltrekord darstellte. "Ich war noch nicht einmal fertig beim Stopp, da hatten sie schon alles erledigt, es hat nur Augenblicke gedauert", zeigte sich Button von der Leistung seiner Crew begeistert.

Auf dem Personalsektor gab McLaren hingegen nicht immer die beste Figur ab. Wochenlang war Teamchef Whitmarsh bemüht gewesen zu betonen, dass zur Einigung mit Hamilton über einen neuen Kontrakt nur noch Kleinigkeiten fehlen würden, zum Abschluss kam es aber nie. Hamilton zog es lieber vor, jenem Team, dem er seit Kindesbeinen an verbunden war, den Rücken zu kehren und schloss sich Mercedes an. McLaren reagierte prompt, engagierte Sauber-Mann Sergio Perez und präsentierte ihn der Öffentlichkeit, noch ehe Mercedes die Hamilton-Verpflichtung kommunizieren konnte.

Das Auto: Die Freude der Fans war groß, als am 1. Februar der MP4-27 das Licht der Welt erblickte. McLaren hatte im Gegensatz zur Konkurrenz auf die wenig populäre Stufennase verzichtet und sich für einen glatten Übergang zur Front des Wagens entschieden und somit schon vor dem ersten Saisonrennen die Wertung des schönsten Boliden gewonnen. "Wenn man sich die Front ansieht, geht es um die Gewichtsverteilung, die Aufhängung und den Einfluss auf die Aerodynamik", betonte Technikdirektor Paddy Lowe. "Das muss alles in der eigenen Philosophie gebündelt werden, die in jedem Team anders ist."

Die schöne Nase war der Stolz des MP4-27, Foto: Sutton
Die schöne Nase war der Stolz des MP4-27, Foto: Sutton

Zunächst war der Wagen jedoch nicht nur schön, sondern konnte auch mit guter Pace punkten. Hamilton und Button fuhren der Konkurrenz in Australien regelrecht um die Ohren und es schien, als sei in den Werkshallen zu Woking der große Wurf gelungen. Doch die Euphorie flachte bald ab, da sich die Pirelli-Reifen als äußerst tückisch erwiesen und selbst Reifenflüsterer Button vor nahezu unlösbare Probleme stellten. Neben dem hohen Verschleiß hatten Hamilton und Button auch enorme Schwierigkeiten, die Pneus zum Arbeiten zu bekommen.

Der MP4-27 offenbarte im Saisonverlauf einige Standfestigkeitsprobleme, welche die Piloten nicht nur einmal um die Früchte ihrer Arbeit brachten. Hamilton schied sowohl in Singapur als auch in Abu Dhabi in Führung liegend aus - einmal streikte das Getriebe, einmal spielte der Benzindruck nicht mit. In Monza wurde hingegen Button an zweiter Position rangierend aus dem Grand Prix gerissen, da seine Benzinpumpe den Dienst versagte. Die Rechnung dafür bekam McLaren am Ende der Saison präsentiert, da in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft lediglich der dritte Rang zu Buche stand, der nicht das Potenzial des Wagens widerspiegelte.

Die Fahrer: Lewis Hamilton beendete die ersten drei Saisonrennen jeweils als Dritter und fiel im Gegensatz zu 2011 durch seinen besonnenen Fahrstil auf, selbst wenn es nicht nach Wunsch lief und er wie in Spanien aufgrund von zu wenig Sprit an Bord als Letzter starten musste, aber immerhin noch den achten Platz belegte. Auf seinen ersten Sieg musste der Brite bis zum Rennen in Kanada warten, wobei der Sommer für ihn eine beispiellose Achterbahnfahrt darstellte. Ausfälle und Siege wechselten sich beinahe im Wochenrhythmus ab, womit das Kapitel Titeljagd frühzeitig beendet war, was ihn jedoch nicht daran hinderte, die Welt via Twitter an seinem Beruf teilhaben zu lassen und er damit nicht nur einmal für Kontroversen sorgte - unter anderem gelangten auf diesem Wege Telemetriedaten an die Öffentlichkeit.

Als Hamilton im September verlautbarte, dass er McLaren verlassen und 2013 bei Mercedes eine neue Herausforderung suchen werde, war die Aufregung groß, denn der Abstieg vom einstigen Weltmeisterteam zum mäßig erfolgreichen Mittelständler aus Stuttgart stieß auf wenig Verständnis. "Ich glaube, dass ich mithelfen kann, die Silberpfeile an die Spitze zu bringen und unser gemeinsames ehrgeiziges Ziel, die Weltmeisterschaften zu gewinnen, zu erreichen", lauteten die Worte des 27-Jährigen, nachdem die langwierigen Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung mit McLaren gescheitert waren. Hamiltons letztes Highlight im Chrom-Cockpit erfolgte beim Debüt des Circuit of the Americas, welches er siegreich bestritt, während er beim Saisonfinale in Brasilien in Führung liegend von Nico Hülkenberg torpediert wurde und ausschied. Schlussendlich standen für ihn vier Siege und drei weitere Podiumsplatzierungen auf der Habenseite.

Hamilton setzte sich in Austin letztmalig für McLaren den Siegerhut auf, Foto: Sutton
Hamilton setzte sich in Austin letztmalig für McLaren den Siegerhut auf, Foto: Sutton

Die Saison des Jenson Button hatte drei Glanzlichter in Form der Siege in Australien und Brasilien sowie beim Ardennenklassiker von Spa zu bieten. In den Titelkampf konnte der Champion von 2009 jedoch nie eingreifen, was zu einem Gutteil seiner über sechs Rennen andauernden Misserfolgsserie geschuldet war, sodass er zwischen Bahrain und Silverstone lediglich sieben magere Zähler sammelte. Immerhin gelang es ihm in Belgien nach über drei Jahren Pause die Pole Position zu erringen, auch wenn er im Qualifying-Duell gegen Hamilton mit 4:16 ganz klar das Nachsehen hatte. Im nächsten Jahr kommt auf den Routinier die Rolle des Team-Leaders zu, wenn er Hamilton-Nachfolger Sergio Perez an die Hand nehmen und ihn in die Abläufe bei McLaren einführen muss.

Pro: Langeweile war 2012 bei McLaren ein Fremdwort. War die Mannschaft gerade nicht auf der Rennstrecke erfolgreich, sorgten Lewis Hamilton und seine Zukunftsplanungen für jede Menge Gesprächsstoff. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass der MP4-27 ein äußerst schneller Bolide war, der mit den Pirelli-Walzen jedoch zeitweise auf Kriegsfuß stand und nicht über die beste Standfestigkeit verfügte. Im Grunde hatten Hamilton und Button ein Weltmeisterauto zur Verfügung, dem lediglich die letzte Konstanz fehlte, um ganz vorne stehen zu können. Hinzu gesellte sich das äußerst gelungene Design des Wagens, der auf die unschöne Stufennase verzichtete und mit britischer Eleganz überzeugte. Unter dem Strich bleibt eine durchaus gelungene Saison, in der jedoch noch mehr als das Erreichte möglich gewesen wäre. Philipp Schajer

Contra: Am Anfang der Saison hätte ich vermutlich mein Geld auf McLaren gesetzt. Die Briten hatten das schnellste Auto im Feld, mit Lewis Hamilton einen absoluten Ausnahmekönner in ihren Reihen und mit Jenson Button einen Fahrer, der die heiklen Pneus wie kein anderer behandeln kann. Dass letztendlich nur der dritte Rang in der Konstrukteurswertung stand, ist für mich die größte Enttäuschung der Saison. Mit miserabler Standfestigkeit des MP4-27 und verpatzten Boxenstopps hat McLaren wohl nicht nur die Weltmeisterschaft verloren, sondern auch Lewis Hamilton, der bei Mercedes eine neue Herausforderung sucht. Die Briten haben in dieser Saison ihr Potential einfach nicht ausgeschöpft und aus einer hervorragenden Basis beim Auto viel zu wenig gemacht. Mit dem Abgang von Lewis Hamilton haben sie sich zudem nachhaltig geschwächt. Christian Menath