Das rote Licht blinkt, alle Kameras sind auf ihn gerichtet, hunderte Journalisten, mit Kugelschreiber und Notizblock bewaffnet, hängen an seinen Lippen. Doch statt die Aufmerksamkeit zu genießen, scheint sich Kimi Räikkönen bei der FIA-Pressekonferenz in Barcelona bloß zu denken: "Hilfe, ich bin kein Star - holt mich hier raus." Seit dem Beginn seiner Karriere ist ihm der Zirkus rund um die Formel 1 verhasst. Wenn er mit Medienvertretern spricht, dann spricht er nicht, sondern flüstert und nuschelt, wofür er von vielen in der Vergangenheit als Schreckgespenst oder PS-Autist verteufelt wurde.

"Er ist nicht jedermanns Liebling, aber das muss er auch nicht sein. Es gibt viele Journalisten, die mit ihm nicht klarkommen, aber das ist nicht sein Problem", nimmt ihn sein ehemaliger Weggefährte bei Sauber, Jo Leberer, in Schutz. "Die F1 ist ein Männersport. Er ist rau, früher hat man ihn mit Frauen und Partys assoziiert. Deshalb ist Kimi so beliebt - auch in Deutschland -, weil er anders ist. Für einen Vorhang-Sponsor oder Haushaltsgerätehersteller ist er nicht geeignet, aber das ist nicht der Sinn und Zweck eines Rennfahrers."

Und wer Räikkönen genau beobachtet, der sieht, dass nicht bei allen Journalisten auf seiner Stirn sofort das Wörtchen "Bullshit" aufleuchtet. Nach dem Qualifying saß er in Barcelona gut gelaunt im Lotus-Motorhome, trank Wasser aus einer Flasche in Gummibärchen-Form und sprach 18 Minuten lang mit Heikki Kulta, einem finnischen Journalisten. "Die Leute glauben gerne, von Details auf das Ganze schließen zu können. Wir Menschen mögen Klischees, da stören natürlich Differenzierungen", sagt Kulta.

Zwei Jahre F1-Pause haben Räikkönen nicht verändert, noch immer will er sich dem Formel-1-Zirkus nicht anpassen. Doch die F1 scheint sich nun ihm anzupassen, allen voran Lotus, die anders als McLaren oder Ferrari den Finnen so nehmen wie er ist und mit seinem Image spielen. In Malaysia verteilte das Team Eis mit den besten Grüßen von Räikkönen - in Anspielung auf den Grand Prix von 2009, als Räikkönen noch vor Rennabbruch aus dem Auto stieg und sich ein Eis genehmigte.

Das gesamte Fahrerlager scheint froh zu sein über die Rückkehr eines echten Typs. "Es war traurig, als er die F1 verließ und ich bin froh, dass er wieder zurück ist", sagt etwa Johnny Herbert. "Ich mag Kimi, besonders die Art und Weise wie er pusht und das Maximum aus dem Auto herausholt. Er mag den ganzen Kram mit den Medien nicht, aber da ist er nicht der Einzige. Nur er zeigt es eben mehr als andere." Auch Damon Hill lobt gegenüber Motorsport-Magazin.com: "Kimi macht sein eigenes Ding. Er ist nicht an dem Zirkus rundherum interessiert, ihm geht es ganz allein um das Fahren. Er lässt seine Performance auf der Strecke für sich sprechen."

Kimi Räikkönen fuhr 2012 bislang sechs Mal aufs Podium, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen fuhr 2012 bislang sechs Mal aufs Podium, Foto: Sutton

Aber nicht nur in seiner Art ist Räikkönen der Alte, sondern auch in Sachen Talent hat er nichts eingebüßt. In seinem erst vierten Rennen für Lotus stand der Finne auf dem Podest, - zum Vergleich: Michael Schumacher gelang dies erst nach zweieinhalb Comeback-Saisons in diesem Jahr in Valencia und der Deutsche ist immerhin siebenfacher Champion, während Räikkönen es zu nur einem Titel geschafft hat - und wie viele seiner Kritiker meinen, dies auch nur mit Glück.

"Michael brauchte nahezu ein Jahr, um halbwegs vorne mitmischen zu können. Kimi kam zurück und war sofort vorne mit dabei", betont Jackie Stewart. "Sie sind zwei verschiedene Persönlichkeiten. Kimi ist ein echter Racer, Michael ist es nicht und war es nie. Er hatte ein gutes Auto, ein gutes Team und fuhr gut. Aber bei Kimi liegt mehr Herz und Seele drin." Unumstritten ist Räikkönen deutlich jünger als Schumacher und hatte mit dem E20 von Beginn an ein gutes Auto zur Verfügung, doch genauso unumstritten ist, dass die Fahrzeugbeherrschung des Finnen ihres Gleichen sucht.

"Was Kimi aus einem Auto herausholen kann, sieht man selten", sagt Leberer im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Er erinnert sich an eine Anekdote aus der gemeinsamen Zeit bei Sauber: "Wir haben mal mit dem Mountainbike trainiert und er ist auf dem Hinterreifen den Berg hinauf gefahren. Er hat das Rad hochgezogen und ist losgefahren. Wie er den Berg runtergefahren ist - da hat es schon teilweise geschneit gehabt, es lagen Blätter und Laub herum - da dachte ich mir nur, dass er dabei draufgehen und mich Peter Sauber deswegen umbringen wird. Der ist gefahren wie ein Wahnsinniger - im positiven Sinn. Er hat das Mountainbike absolut beherrscht und das Maximum herausgeholt."

Während Leberer vom fulminanten Comeback des Finnen nicht überrascht ist, mussten einige Kritiker ihre Meinung revidieren. "Ich habe am Anfang des Jahres gesagt, dass ich nicht glaube, dass Kimi es hinbekommt. Deswegen muss ich mich echt an der eigenen Nase packen und zugeben: ich hatte Unrecht. Kimi ist aus dem Stand wieder voll dabei", räumt Christian Danner ein. "Er kommt mit allen modernen Gegebenheiten, den Autos ohne Tankstopps und den Pirelli-Reifen, perfekt klar. Seine Leistung ist einfach super."

Dabei bleibt Räikkönen weiter Räikkönen. So weigert er sich, für Lotus in den Simulator zu steigen, weil er lieber "richtige Autos auf der Strecke fährt", und ließ den wichtigen Test in Mugello ausfallen, weil ihm das vorhergesagte, regnerische Wetter missfiel. Früher hätte man Räikkönen daraus einen Strick gedreht. Heute steigert das viel mehr die Bewunderung für seine Leistung. "Es ist so irre, was er manchmal macht. Manchmal kommt er gar nicht. Es ist unfassbar. Aber das ist Kimi, er ist halt so. Das mache ich ihm nicht zum Vorwurf. Er bringt seine Leistung auf diese Art und Weise - nicht anders", sagt Danner. Das Wort Motivationsproblem, das seitjeher im Zusammenhang mit Räikkönen auftauchte, scheint in diesem Jahr nicht mehr im Wortschatz der Journalisten zu existieren. Im Wortschatz des Finnen kam es sowieso nie vor.

Kimi Räikkönen zeigt Michael Schumacher ein erfolgreiches Comeback, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen zeigt Michael Schumacher ein erfolgreiches Comeback, Foto: Sutton

"So lange ich weiß, dass ich 100 Prozent gegeben habe und ich glücklich mit meiner Fahrweise bin, bin ich zufrieden. Das ist ehrlich. Wem das nicht genügt, dem genügt es eben nicht", stellte Räikkönen klar. So ehrlich ist er auch, wenn er von seiner eigenen Leistung enttäuscht ist wie in Bahrain. Auf dem Weg zum Podest gratulierte ihm Red-Bull-Teamchef Christian Horner mit den Worten: "Starkes Rennen, Kimi!" Die knappe Antwort des Finnen lautete: "Nicht gut genug."

Räikkönen will nur eines: Rennen fahren und Rennen gewinnen – dieses Ziel hat er nach seinem F1-Comeback noch nicht erreicht. "Die junge Generation hat das Ruder übernommen und Kimi gehört in Sachen Konkurrenzfähigkeit eindeutig in diese Kategorie. Ich denke, Kimi wird mehr Erfolg haben als Michael", meint Herbert. Auch Hill erwartet sich noch einiges vom 33-Jährigen. "Kimi verfügt über immenses Talent und Erfahrung. Und er ist noch jung. Ich fing erst mit 33 Jahren in der F1 an. Anfang 30 ist ein gutes Alter für einen Rennfahrer, somit ist es für ihn die optimale Zeit, in die F1 zurückzukehren." Das Comeback ist Räikkönen zweifelsohne gelungen – und es geht 2013 weiter.