Die LMP1 hat ein Problem. Am vergangenen Wochenende in Le Mans wurde das deutlich. Die vermeintliche Königsklasse der Langstrecke taumelte von einer Panne in die nächste und bezwang die wesentlich billigere Armada der LMP2 letztlich nur mit einem einzigen Auto. Man muss sich daher die Frage gefallen lassen: Macht die LMP1 in dieser Form noch Sinn?

Die Ausgangslage war schon vor dem Rennen denkbar schlecht: Nur sechs Boliden nach Reglement der höchsten Klasse standen in der Startaufstellung. So wenige wie nie zuvor seit Einführung dieser Kategorie im Jahr 2004. Das Hauptproblem dabei: Nur ein einziges privat eingesetztes Auto war dabei - und das schmierte schon auf der ersten Runde ab. Peinlicher geht es kaum.

Erfolg der LMP2 schwächt private LMP1

Den Schwund der LMP1-Privatiers haben sich ACO und FIA selbst zuzuschreiben: Mit der Einführung der Hybriden schraubten sie die Kosten und Komplexität der Autos in unerschwingliche Höhen. Vorsorglich erlaubte das Reglement Privatiers erst gar nicht den Einsatz von Hybridsystemen. Stattdessen schaffte man eine Sub-LMP1 für reine Verbrenner, an der binnen vier Jahren nur zwei Teams (Rebellion und Kolles) teilnahmen.

"Private LMP1-Fahrzeuge machen eigentlich keinen Sinn mehr", zeigte sich Mark Webber im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com in Le Mans überzeugt. Alexander Wurz erklärte auch warum: "Bei dieser aufwändigen Technologie können Private unmöglich bei den Rundenzeiten mithalten. So leicht kannst du deren Autos per Reglement gar nicht machen und so viel Spritverbrauch kannst du ihnen gar nicht zugestehen, dass sich das noch ausgeht."

Auch aerodynamische Zugeständnisse und noch nicht verworfene Flausen wie eine mögliche Einführung von DRS für private LMP1 machen das Kraut da nicht mehr fett. Und eine künstliche Beschleunigung privater LMP1-Autos auf Niveau der Hersteller-Hybriden würde deren Millionen-Investment ja wieder ad absurdum führen. Jahrelang bemühten sich die Organisatoren, die LMP2 billiger und attraktiver für Privatiers zu machen: Einheitsmotor, Kunden-Chassis - all das fruchtete, denn die LMP2 stellte mit 25 Fahrzeugen 2017 die umfangreichste Klasse und bot tollen Rennsport mit prominenten Namen wie Nelson Piquet jr., Bruno Senna oder Rubens Barrichello.

24h Le Mans 2017: So hat Porsche das Rennen erlebt: (02:22 Min.)

Selbst Rebellion - bis zum Vorjahr privater LMP1-Mohikaner neben Colin Kolles' Truppe - dürfte den vermeintlichen Abstieg nicht bereut haben: Beide Wagen duellierten sich lange Zeit um die Klassen-Spitze und schafften es aufgrund der technischen Mängel der Factory-LMP1 auch auf das Podest. Auch wenn man nachträglich disqualifiziert wurde: So viel TV-Zeit wie diesmal hatte die Truppe in ihrer gesamten Ära in der Königsklasse nicht. Warum also sollte ein kleiner Rennstall das finanzielle Abenteuer LMP1 wagen, wenn es für einen Bruchteil des Budgets auch in der LMP2 geht? Mehr Jackie Chans braucht Le Mans!

GT - die günstige Alternative

Dass auch die großen Werke durch die hochkomplexen Hybriden angreifbar sind, zeigte sich in Le Mans: Toyota hatte schon zu Rennhälfte alle drei Boliden aus dem Kampf um den Sieg verabschiedet (auch wenn einer das Rennen sogar beenden konnte), Porsche hatte früh einen Rückschlag nach einem Defekt der Antriebseinheit an der Vorderachse erlitten und verlor das Titelverteidiger-Auto in Führung liegend wegen technischer Probleme. Am Ende kam von fünf millionenschweren Factory-Prototypen kein einziger ohne Mängel durch. Vorsprung durch Technik sieht wahrlich anders aus.

Da musste sich selbst Toyota-Präsident Akio Toyoda per Aussendung eingestehen: "Während die Hybrid-Technologie ihre Vorzüge in den 6-Stunden-Rennen der WEC präsentiert, ist sie vielleicht noch nicht bereit für die Distanz von 24 Stunden." WEC schön und gut - letztlich zählt aber für alle Beteiligten nur Le Mans. Wenn mit Toyota der zweitgrößte Autohersteller der Welt das Abenteuer LMP1 nicht erfolgreich stemmen kann, warum sollte sich dann die kleinere Konkurrenz an derartigen Projekten die Finger verbrennen und hunderte Millionen versenken? Zumal mit den boomenden GT-Klassen auch für die Hersteller eine deutlich billigere - wenn auch nicht so prestigeträchtige - Alternative vorhanden ist.

Zu den seit Jahren vorhandenen GT-Werkseinsätzen von Porsche, Ferrari, Corvette und Aston Martin gesellte sich im Vorjahr in pompöser Manier Ford, 2018 soll BMW folgen. Sechs vollwertige Factory-Engagements? Davon kann eine LMP1 nur träumen. ACO und FIA wollen gegensteuern, müssen dabei aber einen gordischen Knoten lösen. Peugeot verhandelte die Eckpunkte des neuen Reglements ab 2020 mit und saß gemeinsam mit Toyota und Porsche am Verhandlungstisch.

Alle Hoffnungen hängen an Peugeot

Die Franzosen pochen auf deutlich einfachere Technik - sogar das Wort Einheitsbauteile soll vereinzelt gefallen sein. Für Toyota, vor allem jedoch Porsche, sind es aber genau diese technischen Freiheiten, die das Engagement rechtfertigen. "Wenn hier zu viel beschnitten wird, dann wird es für uns uninteressant", gestand Porsches LMP1-Boss Fritz Enzinger gegenüber Motorsport-Magazin.com ganz offen.

Peugeot hat eine lange Le-Mans-Tradition - aber kommt man je wieder?, Foto: G. Chardonnens
Peugeot hat eine lange Le-Mans-Tradition - aber kommt man je wieder?, Foto: G. Chardonnens

Peugeot käme also nur zu Konditionen, die Toyota und/oder Porsche verscheuchen würden. Man würde Äpfel gegen Birnen tauschen und hätte am Ende wieder nur Obstsalat - nur eben mit anderen Zutaten. Doch es ist ohnehin noch längst nicht sicher, dass die Franzosen nach der milliardenschweren Übernahme von Opel überhaupt weitere hunderte Millionen in den Motorsport stecken wollen.

Wurz sieht noch kein Problem, sollten zumindest die beiden aktuell involvierten Hersteller dabei bleiben: "Über weite Strecken war Le Mans vom Duell zweier Marken geprägt. Es war eher die Ausnahme, dass es drei gleichzeitig gab. Und selbst als Audi alleine fuhr, konnten sie ihre Siege hier marketingtechnisch gut verkaufen."

Aber auch nur, weil man von Veranstalter-Seite immerhin das Duell privater Davids gegen die Goliaths von Audi verkaufen konnte. Die Anzahl der privaten LMP1 waren zu Audis Monopolzeiten (2004-2006) noch im zweistelligen Bereich. Trotz einiger Ankündigungen - zum Beispiel Kunden-Chassis von Ginetta - ist unklar, ob es 2018 überhaupt noch private LMP1 geben wird.

Und wenn sich dann auch noch Toyota oder Porsche verabschieden? Oder sich die "Spielwiese für neue Technologien" erneut eine Blöße wie am vergangenen Wochenende gibt? Ein drittes Defekt-Debakel darf sich Toyota 2018 wohl nicht mehr leisten, sonst droht Gefahr vom Rotstift des Vorstandes im stolzen Japan.

Zu wenige Autos, zu viele Defekte, sinnlos für Privat-Teams. Noch befindet sich die LMP1-Klasse im grünen Bereich, doch die Könige der Langstrecke sind angezählt.