Die GTE-Pro-Wertung ist eigentlich Werkssport in seiner reinsten Form: keine bevorzugten Kundenteams, keine ausgeliehenen Werksfahrer und keine Vorjahreswagen. Für Le Mans hieß das für den Veranstalter ACO traditionell zwei Wagen pro Hersteller, um die Kosten noch relativ niedrig und den Wettbewerb eng zu halten. Allerdings wären Aston Martin, Corvette, Ferrari und Porsche nach dem überhasteten Rückzug von SRT 2014 in sehr intimer Runde gewesen. Ferrari bzw. Ram Racing tanzt allerdings etwas aus der Reihe und hält die Starterzahl immerhin noch bei neun GTE-Boliden, die den Sieg der Nicht-Prototypen unter sich ausmachen werden.

Aston Martin: Nur ein Trumpf auf der Hand?

Aston Martin Racing (AMR) hat sein Motorsportprogramm im Vergleich zu 2013 und den Ankündigungen zu Jahresbeginn stark zurückgefahren: In Le Mans wollte das Team eigentlich mit einem Wagen mehr starten, doch es blieben nur zwei Wagen pro GTE-Wertung über. Noch deutlicher wird es bei der Fahreraufteilung, die in diesem Jahr qualitativ weit auseinander geht. Stefan Mücke und Darren Turner sind noch über jeden GT-Zweifel erhaben, aber ob ihr Partner Bruno Senna neben seiner Schnelligkeit auch die Disziplin für den Sieg beim Langstreckenklassiker hat, wird sich zeigen.

Der zweite "Werks"-Vantage wird von Bamboo Enginnering betreut, die in der Tourenwagen-WM den großen Durchbruch als Chevrolet-Kunden nicht geschafft haben. Auch wenn das Talent des früheren brasilianischen Sim-Racers Fernando Rees unbestritten ist, so ist die Konkurrenz einfach stärker besetzt. Lediglich ein Podium in der WEC und der letzte Rang der Herstellerwertung für Aston Martin lassen Böses vermuten. Der Speed des Vantage, der im letzten Jahr das Maß der Dinge und das größte Pfund im Kampf um den Sieg in Le Mans war, ist über den Winter verloren gegangen.

Aston Martin Racing, #97: Darren Turner, Stefan Mücke, Bruno Senna
Aston Martin Racing, #99: Alex MacDowall, Darryl O'Young, Fernando Rees

Corvette: Mit neuem Wagen und bewährten Fahrern zum Sieg?

Die neue Corvette C7.R debütiert in diesem Jahr an der Sarthe; sie kommt jedoch alles andere als ungetestet. Nach vier Rennen in der USCC sieht es für die Mannen um Doug Fehan dank zweier Siege jenseits des Atlantiks solide aus. Allerdings konnte Corvette ausgerechnet bei den Langstreckenrennen in Daytona und Sebring kein Podium verbuchen – ein schlechtes Omen für Le Mans?

Corvette vertraut auf die gleichen Fahrertrios wie im Vorjahr: Magnussen und García werden erneut von Jungspund Jordan Taylor unterstützt, dessen Vokuhila ihm als Markenzeichen mehr Beachtung eingebracht als die Siege und Grand-Am-Meisterschaft im Daytona-Prototypen seines Vaters. Die Stammkräfte Gavin und Millner wissen mit Richard Westbrook einen Könner an ihrer Seite. Sollten die C7.R problemlos über die Zeit kommen, dann ist ein Podestplatz nicht unwahrscheinlich und darüber hinaus noch mehr möglich.

Corvette Racing, #73: Jan Magnussen, Antonio García, Jordan Taylor
Corvette Racing, #74: Oliver Gavin, Tommy Milner, Richard Westbrook

Ferrari: Darf es 33 Prozent mehr sein?

Die numerische Überlegenheit der Ferrari 458 Italia ist in der GTE-Pro-Wertung bei weitem nicht so erdrückend wie bin der Pro Am. Da neben den beiden Wagen von AF Corse auch Ram Racing mit einem Fahrzeug gemeldet ist, hat Maranello ein Fahrzeug mehr als die Konkurrenz – was bei der Übersichtlichkeit des Feldes ein großer Vorteil sein kann. Zwei Polepositions in den beiden WEC-Rennen und die Führung in der Herstellerwertung schieben Ferrari zusätzlich die Favoritenrolle an der Sarthe zu.

Bei AF Corse geht nichts ohne die GT-Asse Bruni und Vilander, die allerdings den deutlich schwächeren ex-Formel-1-Piloten Fisichella mitziehen müssen. Ferrari-Testfahrer Rigon und GP2-Talent Calado müssen sich als Team noch finden. Dabei soll ihnen der routinierte Beretta helfen. Ram Racing ist Ferrari-Kunde und doch wegen der Qualität der Fahrer als Werksteam gemeldet. Wer McLaren-Leihgabe Parente in seinen Reihen hat, braucht sich jedoch vor kaum einer Konkurrenz zu fürchten. Aus Budgetgründen ließ das Team das Rennen in Spa aus - gerade in Le Mans kann man jedoch beim Kampf um den Klassen sieg nicht auf den Pfenning schauen.

AF Corse, #51: Gianmaria Bruni, Toni Vilander, Giancarlo Fisichella
Ram Racing, #52: Matt Griffin, Álvaro Parente, Federico Leo
AF Corse, #71: Davide Rigon, James Calado, Olivier Beretta

Porsche: Ist in diesem Jahr kein Porsche-Dusel nötig?

Was der Bayern-Dusel im Fußball ist, ist der Porsche-Dusel in Le Mans. Natürlich braucht es harte Arbeit, viel Talent und noch mehr finanzielle Ressourcen, aber der letztjährige Sieg - übrigens der einzige in 2014 - fiel eher in die Kategorie Überraschung. Dabei ist die GTE-Abteilung von Porsche viel zu gut besetzt, um sich nachsagen lassen zu müssen, dass man nur mit Glück triumphiert.

Makowiecki und Holzer gewannen den WEC-Auftakt in Silverstone und verdoppelten damit die Sieganzahl des 911 RSR. Lietz hat schon drei GT-Klassensiege auf dem Konto und war bereits in Großbritannien am Erfolg beteiligt. Bergmeister und Pilet sind mit zwei zweiten Plätzen die personifizierte Konstanz und haben mit Tandy einen der weltweit besten Porsche-Experten als Verstärkung zugeteilt bekommen. In diesem Jahr geht Porsche also nicht als Underdog ins Rennen und kann damit zeigen, dass Glück nicht der entscheidende Faktor für den Sieg sein muss.

Porsche Team Manthey, #91: Patrick Pilet, Jörg Bergmeister, Nick Tandy
Porsche Team Manthey, #92: Marco Holzer, Frédéric Makowiecki, Richard Lietz