"Noch eine Runde", lautete das Gebet von Lando Norris im Cockpit. Es blieb nicht erfüllt, als er sieben Zehntel hinter Max Verstappen als Zweiter das Rennen der Formel 1 in Imola beendete. Natürlich nicht, ein Grand Prix hat schließlich eine fixe Distanz. Doch es gibt Mittel und Wege, um eine Runde mehr zu bekommen. Oder gar nicht in diese Lage zu kommen. Haben McLaren und Norris etwas falsch gemacht? Die Analyse dröselt drei Faktoren auf.

Faktor 1: Wie bekommt Lando Norris noch eine Runde?

Ein Rennen der Formel 1 um eine Runde verlängern? Geht nicht. Den zweiten Stint um eine Runde verlängern? Geht natürlich! Einfache Mathematik liefert auf diese Frage eine einfache Antwort. Schon am Freitag hatte die Konkurrenz beobachtet, dass McLaren den Hard-Reifen sehr gut am Leben halten konnte. Norris zog ihn im Rennen nach Runde 22 auf. Wie bekommt man noch eine Runde? Indem man in Runde 21 stoppt.

Doch es gibt gute Gründe für Runde 22. "Den ersten Stint kontrollierte Verstappen, wir mussten in den Spiegel schauen", meint McLaren-Teamchef Andrea Stella. Auf dem Start-Medium war der Red Bull das schnellste Auto. Norris war vielmehr in Reichweite eines Undercuts des drittplatzierten Charles Leclerc. Bei einem davonfahrenden Verstappen erklärte McLaren das Verhindern diesen zur Priorität.

Als diese Gefahr akut wurde, war weiters der von weit hinten mit Hard auf einer Alternativ-Strategie fahrende Sergio Perez noch immer im Boxenstopp-Fenster. Eine delikate Situation, weiß Stella: "Wenn Leclerc auf dieser Strecke stoppt und Perez in der DRS-Zone erwischt, fliegt er vorbei und schafft den Undercut."

Obendrauf hatte McLaren auf dem Medium mehr Probleme als erwartet und beobachtete, dass selbst die Hard-Starter über die Distanz nicht besonders gut aussahen. Man entwickelte deshalb eine Abneigung gegen die Idee, früh zu stoppen und einen zu langen zweiten Stint zu fahren. Mit allen diesen Faktoren im Hinterkopf wählten die McLaren-Strategen Runde 22 mit Bedacht und nach Rücksprache mit dem Fahrer als frühesten sinnvollen Zeitpunkt.

Faktor 2: Was hat Charles Leclercs Fehler mit dem Sieg zu tun?

Schon am Funk wurde Norris daher nach dem Stopp schon angehalten, den Hard möglichst sachte ins Arbeitsfenster zu bringen. Dieses war in Imola sehr klein, und sobald man die Reifen einmal überhitzte, drohten ernste Probleme. "Es war von seiner Position aus sehr taktisch", lobt Stella seinen Fahrer. "Er hat gute Arbeit verrichtet, um die Reifen für den langen zweiten Stint zu sparen."

Nur hatte Charles Leclerc im Ferrari zu Beginn keine so großen Probleme mit dem Arbeitsfenster und begann nach wenigen Runden Druck zu machen. "Wir haben das Auto eher für kühlere Temperaturen abgestimmt", erklärt Norris die lange Eingewöhnungsphase. So kam Leclerc in sein DRS-Fenster und ließ nicht mehr locker. Erst ein Ausrutscher in der Variante Alta verschaffte Norris in Runde 47 Luft. Prompt musste er sich nicht mehr nach hinten orientieren und begann die Aufholjagd zu Verstappen.

Dieses Leclerc-Intermezzo kann aber nicht als alleiniger Grund festgemacht werden, warum Norris so lange brauchte, bis er in Gang kam. Fahrerisch war er in dem Zeitrahmen schwer beschäftigt. Sein McLaren hatte mit dem harten Reifen die Pace, nicht aber die Balance zur Jagd auf Max Verstappen. Gegen eine zu starke Vorderachse kämpfte Norris mit den vom Cockpit aus verstellbaren Setup-Optionen - Bremsbalance, Differenzial-Einstellungen: "Ich habe praktisch alle meine Schalter geändert, um den Hinterreifen zu helfen."

Das dauerte gut 15 Runden. Kaum hatte er das im Griff, lief er ab Runde 40 auf fünf Überrundete auf. "Verwirbelte Luft schien ein großer Faktor, mit jedem Überrundeten hast du Pace verloren", meint Andrea Stella. Da überrascht es auch nicht, dass bei Verstappen die Reifenprobleme erst richtig begannen, als er eben diese Überrundungsgruppe passierte. Der Red Bull hatte Mühe, die Kerntemperatur des harten Reifens zu halten, und zunehmendes Rutschen verschlimmerte die Lage.

Erst gegen Runde 50 kam dann für Norris alles zusammen. Die Überrundeten waren weg, das McLaren-Handling passte, es gab keinen Druck mehr von Leclerc, die Reifen erholten sich, Verstappens Probleme nahmen zu. Nur waren es jetzt nicht einmal mehr 15 Runden bis Rennende.

Hätte eine weitere Runde Norris überhaupt geholfen?

Die Summe sorgt also für die späte Aufholjagd. Chancen, diese "eine Runde" irgendwie zu finden, waren so gesehen definitiv mehrere da. Doch die Entwicklung des Rückstandes von Norris auf Verstappen zeigt ein letztes Problem auf. In Imola ist es sehr schwierig zu überholen. Klar ersichtlich an dem Moment, an dem Norris erstmals auf unter zwei Sekunden an Verstappen herangefahren war. Und dann erst einmal nicht mehr näher kam.

Das ist genau der Abstand, in dem man bereits die verwirbelte Luft spürt, aber keinen DRS-Vorteil hat. "Ein paar Runden hatte ich Probleme, aber sobald ich verstand, wie ich fahren musste, konnte ich noch einmal näherkommen", hält Norris dagegen. Nur: Das war wohl zu wenig Pace-Vorteil, um in Imola eine Überholchance zu haben. Wer weiß, meint Norris: "Mit einer weiteren Runde hätte er wenigstens in Kurve 1 verteidigen müssen, vielleicht wäre dabei was rausgekommen."

Faktor 3: Was hat Nico Hülkenbergs Windschatten mit dem Sieg zu tun?

Realistisch gesehen war McLaren im Rennen trotzdem chancenlos. Die "Renn-Maschine" Max Verstappen, wie ihn Red-Bull-Teamchef Christian Horner danach nannte, machte unter dem Strich das ganze Wochenende über den Unterschied. Obwohl der RB20 rückblickend nicht das beste Auto war. Sieg trotz schwer kontrollierbarer Reifenprobleme, aber vor allem auch eine knappe Pole. Letztere stellte sich als wirklich entscheidend heraus.

McLaren hatte auf dem Papier am Samstag einen Vorteil von einer Zehntel gegenüber Verstappen. Der jedoch arrangierte sich mit Nico Hülkenberg: "Wir waren Windschatten-Buddys. Schon in Q2, und in Q3. Ich gab ihm einen Windschatten bis Kurve 17, er mir einen bis Kurve 2." Dieser Windschatten war es, der Verstappen vorbei an Oscar Piastri und Lando Norris auf die Pole zog.

Die McLaren-Box verabsäumte es außerdem, Piastri auf Verkehr hinzuweisen, und handelte ihm drei Strafplätze ein. Geht es nur nach Pace, und wäre Verstappen in der zweiten Reihe gestanden, so hätte McLaren fast sicher gewonnen. Denn selbst wenn der Red Bull zu Rennbeginn besser war, so betrug der Vorteil trotz freier Fahrt nicht einmal eine halbe Sekunde. Das reicht definitiv nicht für ein Überholmanöver.

Hätte Verstappen also nach dem Start hinter Piastri und Norris festgesteckt, wäre es das wohl für ihn gewesen. Er könnte dranbleiben, doch mit einem Undercut hätte er sich maximal einen der beiden geholt. Und im zweiten Stint wären die Probleme auf dem harten Reifen in der verwirbelten Luft hinter einem hypothetisch führenden Piastri oder Norris sogar noch schlimmer gewesen. In dem Fall wäre der McLaren-Sieg vielleicht auch an Piastri gegangen. Der das bessere Qualifying fuhr.

Verstappen wackelt! Hat Leclerc Norris den Sieg gekostet? (09:56 Min.)