Wie kam es zu der Entscheidung, nach all den Jahren 1988 in genau diese zwei Serien einzusteigen - einmal Formel 1 und einmal DTM?
Jürgen Hubbert: Man muss wissen, es gab Menschen im Unternehmen, die nie aufgehört haben, Motorsport zu betreiben - auch in der Zeit, in der es eigentlich keinen gab. Dr. Hörnig, der damalige Vorstand Entwicklung, hat das zugelassen und unterstützt. Er hat den Waxenbergers dieser Welt ein bisschen freie Hand gelassen, sich weiter mit Motorsport zu beschäftigen. Als ich 1987 als stellvertretendes Mitglied in den Vorstand berufen wurde und mir die Situation des Unternehmens angeschaut habe, war mir klar, dass wir uns auf einem schwierigen Weg befanden. Das hing damit zusammen, dass man aufgrund der Diskussionen im Haus die Fahrzeuge ein bisschen vernachlässigt hat. Stichwort: Integrierter Technologiekonzern. Ich hatte die Hoffnung, dass man die Marke mit Motorsportaktivitäten wieder etwas aufpolieren könnte. Ich habe mich an die 1950er Jahre zurückerinnert, die ich als Schüler miterlebt und für die ich mich begeistert habe oder auch an die 1930er Jahre. Immer waren es Zeiten, in denen es dem Unternehmen nicht besonders gut ging und der Motorsport die Marke gepusht hat. Das hat damals funktioniert. So etwas schwebte mir vor. Dann gab es eine Situation, die uns geholfen hat. Unser damaliger Tuning-Partner, Hans-Werner Aufrecht, hat gemeinsam mit Burkhard Bovensiepen ein neues Reglement für den Produktionswagensport entwickelt. Sie gründeten die ITR und dann hat sich HWA im Haus intensiv dafür eingesetzt, in die Serie einzusteigen. Und das ist dann 1988 auch passiert.
Wie schwer war es, den Motorsport wieder im Konzern zu etablieren?
Jürgen Hubbert: Wir mussten in der Anfangsphase richtig kämpfen. Das Unternehmen hat sich bis 1995 mehr mit anderen Schwerpunkten beschäftigt - bis Jürgen Schrempp kam und gesagt hat: "Zurück zum Auto!" Bis dahin war es immer ein Kampf. Werner Niefer war im Wesentlichen auf unserer Seite, genauso sein Nachfolger Helmut Werner ab 1993. Ich erinnere mich noch, als wir 1998 Formel-1-Weltmeister geworden sind. Ich war damals mit Dieter Zetsche in Japan. Wir gewinnen die Weltmeisterschaft im letzten Rennen, nehmen den Pokal, rasen damit zum Flugzeug, mieten einen Extrasitz für den großen Pokal und fliegen nach Detroit. Dort wollten wir uns in Auburn Hills mit unseren Chrysler-Vorstandskollegen treffen, um ihnen den Pokal zu präsentieren. Wir waren beide der Meinung: Jetzt werden wir gefeiert! Die amerikanischen Kollegen haben sich aber den Pokal angeschaut und gefragt: "What's that?!" Sie wollten wissen, warum wir mit einem Pokal aus einer Rennserie ankamen, von der keiner von ihnen je etwas gehört hatte. Zum Glück hat sich die Begeisterung für den Motorsport im Haus seitdem stark zum Positiven verändert.
Wie wichtig war die DTM für die Entwicklung von Mercedes und AMG?
Jürgen Hubbert: Wie gesagt, zunächst ging es hauptsächlich darum, der Marke und vor allem dem 190er ein positiveres, auch sportliches Image zu geben. Wir sind mit dem 190er 1982 in ein neues Segment eingestiegen. Wir sind dann - lange vor meiner Vorstandszeit - mit dem 190er Rennen gefahren. Beispielsweise mit Senna auf dem Nürburgring, nur um zu zeigen, dass sich die Autos auch dafür eigneten. Dann gab es die Weltrekordversuche in Nardo. Aber der größte Push kam dann mit dem Einstieg in die DTM und den ersten Erfolgen. Parallel stieg das Interesse an leistungsgesteigerten Fahrzeugen unter dem Label Mercedes AMG.
Die Erfolge in der DTM haben der Marke in den 1990ern also viel geholfen...
Jürgen Hubbert: Absolut! Wo kommen Menschen, die eine gewisse Ambition für schnelle Autos haben, so nah an das Thema heran? In der DTM stehen die Fans neben den Rennautos. Dafür haben wir schon immer gesorgt. Norbert Haug war immer auch ein Marketing-Mann, dem es darum ging, Kunden einzubinden. Wir haben sehr früh, sehr großzügige Betreuungsbereiche gehabt, in die wir Kunden eingeladen haben. Und Norbert hat dafür gesorgt, dass auch die Fahrer dorthin kamen. Die Leute konnten die Fahrer, aber auch die Autos gewissermaßen anfassen. Dann kam die Idee mit dem Renntaxi auf. Das sind alles Dinge, die ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Ich bin beispielsweise mit meiner ganzen Mannschaft nach Hockenheim gefahren und alle meine Abteilungsleiter und Hauptabteilungsleiter sind in einem Rennauto gefahren. Die sind alle mit glänzenden Augen zurückgekommen. Das war eine Motivation nach innen und nach außen. Die Wirkung, die wir am Anfang erzielen wollten, für die wir gekämpft haben, haben wir am Ende auch erreicht. Und dass Mercedes heute durch die jüngsten Erfolge in der Formel 1 dominiert, basiert auf diesem Konzept.
Sie haben Norbert Haug gerade angesprochen. Ich habe ein Interview mit einem ehemaligen Audi-Verantwortlichen gelesen, der meinte, Mercedes hätte als erste Marke erkannt, dass Marketing im Motorsport unerlässlich sei. Wie kam es dazu, dass man einen Journalisten zum Motorsportchef gemacht hat?
Jürgen Hubbert: Wir hatten mit Jochen Neerpasch zwar jemanden, der das Geschäft verstand. Aber von dem Thema Marketing hatte er keine Ahnung. Er hat sich um Fahrer gekümmert, das Reglement und alle möglichen anderen wichtigen Dinge. Und letztlich ist die Entscheidung so gefallen. Am Ende hatte ich zwei ausgezeichnete Kandidaten und seltsamerweise kamen beide von Auto, Motor und Sport. Und beide hatten ihr Gespräch mit Werner Niefer. Und wie das so ist: "Wo kommst du her?" - "Aus Pforzheim!" - "Ah, aus Pforzheim - das ist dann schon die halbe Miete!" Damit war der andere mehr oder weniger raus. So einfach ist das manchmal.
Welche Fahrer waren in diesen 30 Jahren DTM die prägenden Gesichter für Mercedes?
Jürgen Hubbert: Ganz am Anfang war es Roland Asch. Er war so bodenständig, natürlich und hat Schwäbisch geschwätzt - das hat allen hier gefallen. Und er war auch noch schnell. Wir hatten ein paar, deren Namen hast du einmal gehört, zweimal gehört und dann war es relativ schnell zu Ende. Da gibt es ein paar Namen, an die selbst ich mich nicht mehr erinnere. Namen, die prägend waren, sind sicher Jörg van Ommen, Kurt Thiim und dann kam auch schon Klaus Ludwig. Er kam von Ford zu uns und war der große Star, bis Bernd Schneider kam. Aber auch Ellen Lohr war ein Star, weil sie als erste Frau ein Rennen gewonnen hat. Natürlich waren auch die ehemaligen Formel 1-Rennfahrer Mika Häkkinen, Jean Alesi, David Coulthard und Ralf Schumacher wichtig für uns und die DTM.
Können Sie sich an das kurioseste Rennen erinnern, dass sie in den 30 Jahren DTM erlebt haben?
Jürgen Hubbert: AVUS! Weil ein Auto auf dem Kopf über die Ziellinie gerutscht ist. Das war irre. Das war Dieter Quester im BMW. Er kam aus der Steilkurve heraus. ist nach einer Berührung in den Reifenstapel eingeschlagen und hat sich aufs Dach gedreht. Da war ich live vor Ort. Wir hatten ja auch immer irgendwo Angst vor schweren Verletzungen oder Toten. Insofern haben wir zwei Aspekte richtig gemacht. Dass wir von Anfang an das Thema Sicherheit propagiert haben, sowohl bei der Entwicklung der Tourenwagen als auch in der Formel 1. Mercedes hat bei vielen technischen Entwicklungen mitgewirkt, zum Beispiel beim HANS-System und auch vorher schon bei vielen anderen Dingen, die immer dazu geführt haben, dass FIA und ITR zuerst mit Mercedes gesprochen haben, wenn man etwas Neues zum Thema Sicherheit brauchte.
Wie wichtig war die DTM in dieser Zeit für die Serienentwicklung?
Jürgen Hubbert: Im Motorsport geht es um den Test bestimmter Entwicklungen unter extremen Bedingungen in extrem kurzer Zeit. Das, was im normalen Test Monate, manchmal Jahre dauert, kannst du unter Rennbedingungen innerhalb von wenigen Wochen austesten, um zu sagen, ob es funktioniert oder nicht. Der Stresstest im Motorsport kann durchaus hilfreich sein.
Was war der schönste Sieg in der DTM?
Jürgen Hubbert: Das kann ich gar nicht sagen. Die Sensation um Ellen Lohrs Sieg war natürlich etwas Außergewöhnliches. Sie war die erste Frau, die ein DTM-Rennen gewonnen hat. Und unsere jahrelange Dominanz am Norisring sozusagen im "Feindesland".
Und was war die schönste Meisterschaft?
Jürgen Hubbert: In der Formel 1 ist es einfach. Wir haben 1994 angefangen und es ging gar nichts, es folgte ein Nackenschlag auf den anderen. Autos, denen auf der Zielgeraden in der vorletzten Runde der Motor hochging - und das vor Riesenpublikum. 1994, 1995 und 1996 waren Katastrophenjahre, 1997 kam dann Ron und sagte: "It's coming, it's coming! You can smell it!" Und ich dachte mir: "Was? Spinnt der?!" Und dann haben wir in Australien gewonnen. Das war 1997 - der erste Mercedes-Sieg mit David Coulthard. Und im nächsten Jahr wurden wir Weltmeister. Das kann man nicht toppen. Auch wenn jedes Rennen und jede Saison ihre eigene Geschichte schreibt. Und in der DTM: Klar, die ersten Erfolge waren wichtig, aber jede Meisterschaft ist immer speziell. Der aufregendste Moment war sicherlich der Satz am Funk von Audi: "Schieb ihn raus!" Das konnte man sich ja nicht vorstellen, dass ein Rennleiter zu seinem Fahrer so etwas sagt und der das auch noch macht.
Gegen welche Marke sind Sie in der DTM am liebsten gefahren? Und welche war die, die man am liebsten geschlagen hat?
Jürgen Hubbert: Es war immer BMW. Das ist unser natürlicher Wettbewerber - bis heute. Audi kam ja erst viel später dazu. Und wir wussten natürlich, dass Herr von Kuenheim damals seine Mannschaft zusammengetrommelt hat und sie im Grunde darauf eingeschworen hat: "Mercedes schlagen! Wir wollen vorne sein!" Uns ging es aber auch um den sportlichen Wettkampf und die Serie an sich. Sonst wären wir damals, als uns alle anderen Marken verlassen haben ausgestiegen, anstatt das mit der deutsch-italienischen Meisterschaft durchzuziehen. Wir haben uns gesagt: Die Serie ist zu wertvoll, als dass man sie wegschmeißen darf. Trotz nicht unerheblichem Aufwand, und geliebt wurden wir im Haus dafür auch nicht. Weil: Fiat oder Alfa schlagen? "So what!" Aber es hat sich bewährt. Die DTM ist heute die zweitattraktivste Meisterschaft nach der Formel 1.
Wie kam es dazu, 2000 die DTM wiederzubeleben?
Jürgen Hubbert: Hans-Werner Aufrecht hat unheimlich dafür gekämpft. Natürlich hat er uns im Rücken gehabt und gewusst, dass wir mitziehen. Deswegen hat er auch antichambrieren und sagen können: "Mercedes bleibt dabei - es lohnt sich für euch!" Ein Grund für Audi und BMW, wieder mitzumachen - das war dann ziemlich schnell klar.
Was war für Sie das spektakulärste DTM-Auto?
Jürgen Hubbert: Ein Coupé sieht immer besser aus als eine Limousine. Aber im Grunde sind die Autos mit jeder Modellgeneration attraktiver geworden. Wenn ich mir den Spoiler des 190 23 -16 anschaue, dass der im Straßenverkehr überhaupt zugelassen wurde, kann ich bis heute nicht verstehen.
Was war aus Ihrer Sicht die goldene Zeit der DTM?
Jürgen Hubbert: Der Anfang war großartig, aber mit Schwerpunkt auf "groß". Es fuhren in der ersten Saison über 50 Fahrer mit und es ging wild durcheinander. Es waren Talente dabei, die sich zu Weltklassefahrern entwickelt haben und es waren Amateure dabei, die auch mitgefahren sind. Es war eine Findungsphase. Es gab in dem Sinne auch keine breite Öffentlichkeit. Dann haben die Hersteller ein umfangreiches Rahmenprogramm entwickelt. Auch das Erste Deutsche Fernsehen hat mit den Liveübertragungen dazu beigetragen, dass die DTM an Bedeutung gewonnen hat. Dass Formel 1-Fahrer in die DTM eingestiegen sind, sagt ja etwas aus über die Qualität der Rennen und deren Bedeutung für den Motorsport.
Vervollständigen Sie zum Abschluss bitte noch den folgenden Satz: Für mich persönlich sind die 30 Jahre in der DTM...
Jürgen Hubbert: ...eine ungeheuer schöne Erfahrung, die wie gewünscht dazu beigetragen hat, die Attraktivität der Marke Mercedes zu steigern.
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