Die Saison der Formel Renault 3.5 endete, wie sie anfing - könnte man meinen, denn sowohl beim Auftakt in Aragon, als auch beim Weltfinale in Barcelona war spanischer Boden der Schauplatz. Was an den acht Wochenenden dazwischen jedoch gezeigt wurde, war feinster Motorsport. Der große Sieger hieß am Ende Carlin, denn das britische Team zeigte den Gegnern 2011 gekonnt die Grenzen auf. Mit dem F1-verdächtigen Fahrerduo Rob Wickens und Jean-Eric Vergne trumpfte die Truppe groß auf. Am Ende der Saison hatte man doppelt so viele Punkte wie der erste Verfolger Fortec gesammelt.

Die Nummer 1: Robert Wickens setzte sich am Ende nicht nur teamintern sondern auch in der Meisterschaft durch, Foto: WS by Renault
Die Nummer 1: Robert Wickens setzte sich am Ende nicht nur teamintern sondern auch in der Meisterschaft durch, Foto: WS by Renault

Zurücklehen und das teaminterne Titelduell genießen, konnte bei Carlin aber trotzdem niemand. Zu nervenaufreibend war der Zweikampf an der Spitze - die Piloten fochten den Titel in diesem Jahr auf der Strecke wirklich Rad an Rad aus. Beim Saisonauftakt hatte Carlin zwar nur durch Wickens zweitem Platz im ersten Rennen Grund zur Freude, denn die beiden Läufe gewannen Alex Rossi und Kevin Korjus - doch schon das zweite Rennwochenende des Jahres in Spa bot einen Vorgeschmack auf das, was die Zuschauer 2011 erwarten sollte. Mit einem gleichermaßen halsbrecherischen wie bewundernswerten Manöver schnappte sich Vergne in Lauf zwei in Les Combes die Führung von seinem Teamkollegen.

Spannung in Spa

Es folgte für den Franzosen der erste Sieg des Jahres und nachdem Wickens im ersten Rennen am Samstag seinerseits den Premierentriumph eingefahren hatte, schien der Druck bei Carlin von Beginn an groß. Dass Vergne bereits so früh in der Saison alles riskierte, um im Team nicht die Gunst zu verlieren, zeigte, dass er bereits kurz nach dem Saisonstart Angst hatte, ihm würden die Felle davonschwimmen. In Monza setzte Vergne sogar noch einen drauf. Während Wickens in beiden Läufen ausschied, holte der 21-Jährige einen Sieg und einen zweiten Platz, nur um sich in der Tabelle ganz vorne wiederzufinden.

An Daniel Ricciardo führte im Fürstentum kein Weg vorbei, Foto: WS by Renault
An Daniel Ricciardo führte im Fürstentum kein Weg vorbei, Foto: WS by Renault

Doch der Schlagabtausch an der Spitze ging weiter. Wickens sicherte sich beim Saisonhighlight in Monaco P2 - in Sachen Sieg führte an diesem Tag im Mai kein Weg an Daniel Ricciardo vorbei. Der Australier triumphierte im Fürstentum nicht nur im Rennen, er holte sich zuvor auch noch die Pole-Position und die schnellste Rennrunde. Bei dem folgenden Auftritt auf dem Nürburgring machte Wickens Vergne das Ergebnis aus Monza nach. Der Franzose musste im ersten Lauf in der Eifel hingegen einen von nur zwei Saisonausfällen hinnehmen. Am Sonntag konnte er mit P4 immerhin den Schaden im Gesamtklassement minimieren.

Dass ein Hollywooddrehbuchautor die Carlin-Saison nicht besser hätte schreiben könnte, zeigte sich bei den Events in Ungarn und England. In Budapest gewann Vergne gleich beide Läufe, während Wickens es nicht einmal aufs Podest schaffte - in Silverstone tauschten die Stallgefährten dann abermals ihre Rollen und auch das Ergebnis, wodurch unter dem Strich eine erstaunliche Ausgeglichenheit an der Spitze entstand. Der Rest des Feldes geriet zu diesem Zeitpunkt der Saison beinahe etwas ins Abseits, denn alles konzentrierte sich ausschließlich auf das Carlin-Duo. Dass sich Wickens und Vergne, trotz des engen Duells ganz vorne, außerhalb des Cockpits noch so gut verstanden, überraschte viele Beobachter.

Vergne gewann in Ungarn gleich beide Läufe, Foto: WS by Renault
Vergne gewann in Ungarn gleich beide Läufe, Foto: WS by Renault

Showdown in Spanien

Doch als hätte man es geahnt, wurde auch diesbezüglich noch eine Menge Zündstoff geliefert und als sich der Titelkampf nach dem vorletzten Rennen in Paul Ricard, bei dem Vergne vor heimischen Publikum auf Grund eines langen Boxenstopps einen fast sicheren Sieg im zweiten Lauf herschenken musste, zuspitzte, schien auch die Stimmung bei Carlin weitaus weniger entspannt. Das erste Rennen in Südfrankreich hatte der Lokalmatador ohnehin gewonnen, Wickens war ihm mit P2 aber erneut dicht auf den Fersen geblieben. Der Sieg am Sonntag ging dann an Alex Rossi, der sich am Ende auch den dritten Gesamtrang 2011 sicherte - wenn auch mit gehörigem Abstand auf die Spitze.

Für ein großes Finale in Barcelona war folglich alles angerichtet. Wickens holte sich im ersten Rennen überlegen den Sieg vor Vergne. In den allerletzten Lauf des Jahres ging der Kanadier daher mit dem hauchdünnen Vorsprung von lediglich neun Zählern. Doch bereits in der ersten Rennrunde kam es zum großen Knall und keiner der beiden Titelaspiranten kehrte unversehrt aus der Startphase zurück, da die Carlin-Kollegen in den ersten Kurven gleich mehrmals aneinander geraten waren. Wickens war mit seinem ramponierten Boliden daraufhin in einen Crash verwickelt und flog aus dem Rennen. Der Kanadier zitterte bereits um seinen Titel, da Vergne nach seinem Ausfall nur einen fünften Platz zum Meisterschaftsgewinn benötigte.

Barcelona-Sieger Albert Costa wusste die Vorzüge des Rennfahrerlebens durchaus zu genießen, Foto: WS by Renault
Barcelona-Sieger Albert Costa wusste die Vorzüge des Rennfahrerlebens durchaus zu genießen, Foto: WS by Renault

Dann machten sich jedoch auch bei seinem Stallgefährten die Folgen der anfänglichen Kollision bemerkbar und Vergne fiel immer weiter zurück, ehe er auf dem beinahe schon aussichtslosen zwölften Platz auf Grund eines weiteren Kontakts mit Fairuz Fauzy ganz aufgeben musste. Den Tagessieg schnappte sich nach zwei Jahren Anlauf nahezu unbemerkt Albert Costa - alle Augen waren in Barcelona fortan nur noch auf Wickens gerichtet, der den Titel auch auf Grund seiner herausragenden sieben Pole-Positions durchaus verdient hatte. Vergne dürfte seine Niederlage trotzdem nur wenig schmerzen, hat sich der Red-Bull-Junior als Belohnung für seine Leistungen 2011 für kommende Saison doch ein F1-Cockpit bei Toro Rosso gesichert.