77 Mal mit allen vier Rädern in der Luft, reine Flugzeit mehr als eine halbe Minute - bei der "Neste Oil Rally Finland" kehrt die legendäre Prüfung "Ouninpohja" zurück. Was dem Rennfahrer die Nürburgring-Nordschleife, ist dem Rallye-Fahrer diese Vollgas-WP durch die Wälder rund um Jyväskylä, wo der achte Saisonlauf zur FIA Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) ausgetragen wird. Den Tempo-Rekord auf "Ouninpohja" hält seit 2013 das Volkswagen Duo Sebastien Ogier/Julien Ingrassia, die den Polo R WRC mit der Startnummer eins als WM-Führende auch 2015 zum Sieg führen wollen.

Unter vielen großen Gegnern finden sich zwei allerdings bereits im eigenen Lager: Ihre Volkswagen Teamkollegen Jari-Matti Latvala/Miikka Anttila gehen mit Heimvorteil und als Vorjahressieger an den Start und Andreas Mikkelsen/Ola Floene fühlen sich auf temporeichen Strecken besonders zu Hause und sind in der Fahrer- und Beifahrerwertung die ärgsten Verfolger der Doppelweltmeister und Tabellenführer aus Frankreich. Bei den WM-Rallyes mit dem höchsten Durchschnittstempo - Finnland und Polen - ist Volkswagen zudem seit 2013 ungeschlagen und geht mit einer großen Portion Selbstvertrauen das "Air Race auf vier Rädern" an.

"Viele bezeichnen die Rallye Finnland gern als 'Formel 1 im Wald'", so Volkswagen Motorsport-Direktor Jost Capito. "Wir bei Volkswagen glauben, dass auch die Bezeichnung 'Air Race auf vier Rädern' den Besonderheiten dieser ikonischen Rallye nahekommt. Nirgends in der Rallye-Welt haben es die Fahrer mit so vielen Kuppen und damit weiten Sprüngen zu tun. Und nirgends werden bei so hohem Tempo die Schotter-Straßen im Wald so schmal wie in Finnland. Hier kommt es auf fahrerische Präzision an, auf das Vertrauen der Fahrer in ihre World Rally Cars und auf ein perfektes Set-up. Wir glauben, dass wir mit Sebastien Ogier, Jari-Matti Latvala und Andreas Mikkelsen nicht nur die besten Fahrer, sondern mit dem Polo R WRC auch das beste technische Paket für die Rallye Finnland haben. Genau das wollen wir zum dritten Mal in Folge unter Beweis stellen."

Auf der Ouninpohja beträgt die reine Flugzeit mehr als eine halbe Minute, Foto: Sutton
Auf der Ouninpohja beträgt die reine Flugzeit mehr als eine halbe Minute, Foto: Sutton

Das Spektakulärste, seit es Rallyes gibt

Die Rallye Finnland bildet die Essenz dessen, was für wahre Fans den Rallye-Sport ausmacht - vormals als "1000-Seen-Rallye" ausgetragen, bildet die Rallye rund um die Studentenstadt Jyväskylä seit mehr als vier Jahrzehnten ununterbrochen den finnischen Lauf zur Rallye-Weltmeisterschaft. Neben der Rallye Monte Carlo ist sie der prestigeträchtigste Lauf im Kalender, nur die Rallye Großbritannien wurde als WM-Rallye genauso häufig - 41 Mal - ausgetragen. Ihren Ruf als "Gravel Grand Prix" (zu Deutsch: "Schotter-Grand-Prix") verdiente sie sich mit ihrem typischen Streckenverlauf auf schnellen, flüssig zu befahrenden Schotter-Straßen, die im Vergleich mit anderen Schotter-Rallyes den Asphalt-Rallyes am nächsten kommen. Und natürlich mit ihrem enormen Durchschnittstempo: Unter den zehn temporeichsten Rallyes aller Zeiten ist die Rallye Finnland achtmal vertreten - und nimmt die vier Spitzenpositionen ein.

Viel Gewohntes, nichts Gewöhnliches

Drift, Sprung, Vollgas - den wohl ultimativen Adrenalinstoß erfahren die Rallye-WM-Piloten bei der Rallye Finnland im Allgemeinen und auf der Sonderprüfung "Ouninpohja" im Besonderen. Auf dem 33,01 Kilometer langen Streckenverlauf der 2013er-Version des WP-Klassikers hoben die World Rally Cars exakt 77 Mal ab und waren insgesamt 30,4 Sekunden in der Luft - einzigartig im Vergleich mit den WPs der übrigen Rallye-Welt. Der längste Sprung der Rallye-WM-Geschichte gelang Markko Märtin anno 2003 mit 57 Metern und 171 Kilometern in der Stunde. Ein anderer Rekord von "Ouninpohja" ging allerdings an Sébastien Ogier anno 2013, als er die Prüfung im Polo R WRC mit einem mittleren Tempo von 130,75 km/h absolvierte.

Neben der Rückkehr von "Ouninpohja" nach einem Jahr Pause bietet die Rallye Finnland 2015 viele Klassiker auf - darunter "Himos", "Jukojärvi" und andere. Nicht nur für Finnen Musik in den Ohren: 2015 werden exakt 320 WP-Kilometer auf 20 Wertungsprüfungen ausgetragen. Gänzlich neu sind nur die sogenannte Powerstage "Myhinpää" sowie einzelne kurze Abschnitte anderer WPs.

Im ewigen Duell der großen Rallye-Nationen liegen Finnland und Frankreich eng zusammen, Foto: Sutton
Im ewigen Duell der großen Rallye-Nationen liegen Finnland und Frankreich eng zusammen, Foto: Sutton

Finnen versus Franzosen

Erstmals in der jüngeren Geschichte der Rallye-Weltmeisterschaft hat Frankreich im ewigen Duell der großen Rallye-Nationen die Führung übernommen. Mit seinem Sieg bei der Rallye Polen erhöhte Sebastien Ogier das Konto Frankreichs auf 174 Triumphe, Finnland liegt mit 173 Erfolgen knapp dahinter. Natürlich eine Frage der Ehre: Bei seiner Heim-Rallye möchte Jari-Matti Latvala für seine Heimat Finnland ausgleichen. Die Chancen stehen statistisch betrachtet außerordentlich gut für "JML" - unter den aktuellen Rallye-WM-Piloten ist er der einzige Fahrer, der die Rallye bereits zweimal gewann. Zudem ging im Vorjahr der Sieg denkbar knapp an Latvala. Angesichts von nur 3,6 Sekunden Vorsprung ging dieser Erfolg - übrigens im ewig-packenden Duell mit Sebastien Ogier - unter die zehn knappsten Entscheidungen in die Geschichte der Rallye-WM ein.

Rundes voraus bei der Rallye Finnland

Die Volkswagen Fahrer haben während der Rallye Finnland ein paar statistische Meilensteine im Visier. Jari-Matti Latvala beispielsweise strebt nicht nur die 400. Prüfungsbestzeit seiner Karriere an - nur noch drei weitere fehlen "JML" zum Erreichen dieser runden Zahl -, sondern auch den 50. Podestplatz in seiner Laufbahn. Sebastien Ogier könnte im Falle eines Sieges in der ewigen Bestenliste mit Marcus Grönholm gleichziehen, den 30. Karriere-Erfolg feiern und damit auf Rang zwei hinter seinem Landsmann und Rekord-Weltmeister Sebastien Loeb aufschließen. Auf dem Weg dorthin würden drei weitere Prüfungsbestzeiten ausreichen, um die 250. WP mit dem Polo R WRC zu gewinnen. Auch in der Volkswagen Domäne Powerstage peilen die Volkswagen Piloten eine nächste Wegmarke an: In Finnland wäre der 125. Zusatzpunkt für die Marke in der 33. Powerstage seit Januar 2013 möglich - derzeit sind es 122. Bei der Powerstage gibt es im Schema 3-2-1 für die besten drei Duos Zusatzpunkte in Fahrer- und Beifahrermeisterschaft. 25 Mal entschieden Volkswagen Piloten bisher eine Powerstage für sich.

Stimmen vor der Rallye Finnland

Sebastien Ogier: Ich habe vor der Rallye ein paar Tage Urlaub gemacht, was immer ganz gut ist, um den Kopf freizubekommen. Zur Mitte der Saison kann man so die Akkus aufladen. Was die Rallye Finnland angeht, gehört sie definitiv zu meinen Favoriten im Kalender. Man bekommt im Auto ein wirkliches Gefühl für die Geschwindigkeit. Wir vergleichen es gern mit einer Achterbahnfahrt. Es geht ständig auf und ab, die Piste ist praktisch nie ebenerdig. Es gibt viele weite Sprünge über blinde Kuppen. Man sieht oft gar nicht, wo die Strecke hinführt, weshalb ein korrekter Aufschrieb sehr wichtig ist. Man muss zudem genau wissen, wie sich das Auto beim Sprung über die Kuppen verhält, um keine bösen Überraschungen zu erleben. Bei der Rallye Finnland gibt es ein wirkliches Highlight: die 'Ouninpohja'-Prüfung. Wenn man mich bitten würde, die besten Prüfungen der ganzen Meisterschaft zusammenzustellen, dann wäre 'Ouninpohja' zweifellos dabei. Vor zwei Jahren sind wir sie schon in voller Länge gefahren und ich habe damals eine Rekordzeit aufgestellt. Auch dieses Jahr möchte ich dort wieder ganz vorn sein. Das wird allerdings nicht einfach, denn die Finnen sind für gewöhnlich bei ihrem Heimspiel immer sehr stark. Vor allem rechne ich in diesem Jahr auch wieder mit meinem Teamkollegen Jari-Matti Latvala. Ihn gilt es zu schlagen.

Jari-Matti Latvala: Finnland zählt zu den anspruchsvollsten und schnellsten Rallyes im WM-Kalender. Jeder Sprung ist mit Vorsicht zu genießen. Meine Teamkollegen Sebastien Ogier und Andreas Mikkelsen sind derzeit in sehr guter Form und werden bestimmt alles geben, um zu gewinnen. Aber das möchte ich auch. Umso wichtiger ist es für mich, von der ersten Sekunde an voll konzentriert zu fahren und auf jedem Meter zu kämpfen. Mein Ziel: diesen emotionalen Moment auf dem Siegertreppchen vom vergangenen Jahr wieder zu erleben. Die Rallye Finnland war damals unglaublich für mich. Den Moment, als ich auf dem Podium stand, die Siegertrophäe in den Händen hielt und mir all meine Fans zujubelten, werde ich nie vergessen. Die Rallye Finnland ist mein Heimspiel, das gibt einem natürlich Extra-Motivation, aber man steht auch besonders unter Druck. In solchen Momenten ist mein Mentraltrainer Christoph Treier besonders wichtig für mich. Er hilft mir dabei, ruhig und gelassen an den Start zu gehen.

Andreas Mikkelsen: Die zurückliegende Rallye in Polen verlief für uns sehr gut. Wir haben während der gesamten Zeit den Druck auf Ogier aufrechterhalten. Mal sehen, was in Finnland jetzt möglich ist. Ich erwarte, dass die Rallye deutlich schwieriger für mich sein wird. Polen war für alle Fahrer mehr oder weniger Neuland. Es gab viele neue Wertungsprüfungen. Die Rallye Finnland besteht hingegen aus vielen Klassikern, die viele Fahrer sehr gut kennen. Ich habe über die Jahre in Finnland aber viel dazugelernt und denke, dass ich mit der Spitze mithalten kann. Ich wäre allerdings mit einem Podiumsplatz schon sehr zufrieden.

Was die Rallye Finnland anspruchsvoll macht, sind die vielen Sprünge über teilweise blinde Kuppen, die man mit enormer Geschwindigkeit nimmt. Das gefällt mir sehr. Man muss das Auto vor den Sprüngen genau ausrichten, um nicht falsch zu landen und womöglich von der Bahn abzukommen. Der Aufschrieb muss einfach stimmen, weshalb die 'Recce' im Vorfeld auch sehr wichtig ist. Das Highlight der Rallye Finnland ist die weltbekannte 'Ouninpohja'-Wertungsprüfung. Sie ist unglaublich schnell und anspruchsvoll. Vor allem die ersten 20 Kilometer haben es in sich. Es geht mit hoher Geschwindigkeit über breite Straßen, ein Sprung reiht sich an den nächsten. Auf der 'Recce' vor der Rallye kann man schwer einschätzen, wie schnell man tatsächlich über die Kuppen fahren kann, da man bei der Besichtigung nicht schneller als 70 km/h fahren darf. Während der Rallye hat man dort allerdings beinahe 200 Sachen drauf. Auch hier ist der Aufschrieb das A und O. Der Respekt vor dieser Wertungsprüfung ist enorm.