Sie sind der Vater des Polo R WRC, jetzt haben Sie sogar Zwillinge - das Weltmeisterauto von 2013 und die neue Version von 2014. Wie kann man die beiden voneinander unterscheiden?
Francois-Xavier Demaison: Das ist in der Tat nicht so leicht, und das Offensichtlichste ist wohl das neue Design. Unter der Haube ist die 2014er-Version eine belastbarere Variante des 2013er-Polo R WRC und in vielen Bereichen stabiler und zuverlässiger. Es gibt für die Asphalt- und Schotterversionen jeweils verstärkte Aufhängungsteile und auch einige Antriebskomponenten wurden überarbeitet.

Es gab jedoch keinen technisch bedingten Ausfall für Volkswagen im Jahr 2013 - warum war die Zuverlässigkeit ein so großes Thema?
Francois-Xavier Demaison: Erst einmal wollen unsere Fahrer immer attackieren, 2014 vielleicht noch mehr als 2013. Wir hatten im vergangenen Jahr ein paar Rückschläge aufgrund der aggressiven Fahrweise der Fahrer zu verkraften, die häufig notwendig ist, wenn man um den Sieg fahren will. Doch hätten Jari-Matti Latvala und Andreas Mikkelsen damals in Finnland oder Sébastien Ogier in Deutschland bereits die verstärkten Komponenten verbaut gehabt, wären sie vielleicht ohne Zeitverlust ins Ziel gekommen. Dazu kamen ein paar weniger offensichtliche Dinge, auf die wir mit den neuen Komponenten reagieren wollten. Wir wollten den Polo R WRC also etwas kugelsicherer machen. Und natürlich wollten wir unseren Mechanikern das Leben bei den Rallyes ein wenig erleichtern.

Die Zahl der Joker war begrenzt und damit die Möglichkeiten, den Polo R WRC weitgehend zu verändern. Wie muss man sich den Abwägungsprozess beim Für und Wider der einzelnen Veränderungen vorstellen?
Francois-Xavier Demaison: Gemeinsam mit dem Technischen Direktor Willy Rampf haben wir einige Diskussionen zu dem Thema geführt. Aufgrund der limitierten Zahl der Joker haben wir uns jeweils für die zuverlässigere Variante entschieden. Es gilt: Wenn man einen Joker gezogen hat, gibt es kein Zurück - dann muss man die veränderte Komponente so einsetzen. Es gibt nur wenige Veränderungen, die die reine Performance betreffen - beispielsweise haben wir jetzt an der ein oder anderen Stelle mehr Set-up-Optionen.

Latvala adaptiert mitteleuropäischen Stil

Inwieweit wurde der Polo R WRC auf die einzelnen Vorlieben und Fahrstile der drei Fahrer umgebaut?
Francois-Xavier Demaison: Unsere beiden Top-Fahrer Sébastien Ogier und Jari-Matti Latvala haben einen grundlegend verschiedenen Fahrstil. Séb sucht stets den kürzesten Weg zwischen den Kurven, Jari-Matti stellt das Auto gern mehr quer. Séb hatte ein Jahr Test-Vorsprung und hat den Polo R WRC an seinen Fahrstil angepasst. Als Jari-Matti Ende 2012 zu uns kam, wollte er zunächst den Polo R WRC auf seine Bedürfnisse anpassen. Aber es stellte sich heraus, dass Sébs Fahrstil der schnellere ist - also hat sich Jari-Matti Stück für Stück mit seinem Fahrstil an diesen "mitteleuropäischen Stil" angepasst. Das geht nicht von heute auf morgen.

Jari-Matti Latvala passte seinen Fahrstil an., Foto: Volkswagen Motorsport
Jari-Matti Latvala passte seinen Fahrstil an., Foto: Volkswagen Motorsport

Welche Rolle haben die einzelnen technischen Partner gespielt? Der Polo R WRC hat zum Beispiel neue Stoßdämpfer bekommen ...
Francois-Xavier Demaison: Wir haben für dieses Jahr einen neuen Dämpfer entwickelt, und die große Erfahrung und das Wissen von ZF hat uns sehr viel weitergebracht. Partner wie ZF spielen eine Schlüsselrolle. Und in der Rallye-WM sind Stoßdämpfer ein ganz großes Thema. Aber das Gleiche kann man beispielsweise über Michelin in Sachen Reifen und unsere anderen technischen Partner sagen.

Wie schwer wird es sein, den Titel zu verteidigen - aus Techniker-Sicht?
Francois-Xavier Demaison: Es ist immer schwieriger, den Titel zu verteidigen, als ihn das erste Mal zu gewinnen. Ich denke, wir haben vergangenes Jahr eine Menge Menschen überrascht und manche auf dem linken Fuß erwischt. Viele, auch wir selbst, hatten nicht erwartet, dass wir von Beginn an und über die gesamte Saison vorn dabei sein würden. Jetzt sind wir die Mannschaft, die alle schlagen wollen. Es ist leicht, die Konzentration zu verlieren, einen dummen Fehler zu machen oder die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen. Man kann also schnell eine Rallye oder die Weltmeisterschaft verlieren. Jeder im Team muss hungrig auf Erfolg bleiben - Mechaniker, Ingenieure, Fahrer.

Wie stark schätzen Sie die neue und alte Konkurrenz im Vergleich zum vergangenen Jahr ein?
Francois-Xavier Demaison: Ich nehme jeden einzelnen Gegner extrem ernst. Sie könnten in diesem Jahr das mit uns machen, was wir in der vergangenen Saison mit ihnen gemacht haben. Da denke ich vor allem an Hyundai. Citroën und Ford haben sich jeweils mit einem frischen Fahrerkader neu aufgestellt und sind ebenso heiß darauf, uns zu schlagen. Das Jahr 2014 wird definitiv nicht leicht für uns und wir werden uns nicht ausruhen.

Wussten Sie das...

... die Motorhaube des Polo R WRC grundsätzlich identisch mit der eines Serien-Polo ist? Die acht Kilogramm schwere Motorhaube wurde lediglich mit Lüftungsschlitzen versehen, um die Motorwärme optimal abzuführen.

... die Scheibenbremsen eines Polo R WRC Temperaturen von bis zu 900 Grad Celsius aushalten? In der Rallye-WM kommen innen belüftete Scheibenbremsen aus Stahl zum Einsatz. Die Firma Alcon aus England baut die Hochleistungsbremsen mit einem Durchmesser (vorn) von 355 Millimetern.

... die Volkswagen Mechaniker zum Austausch eines Radträgers sieben Minuten brauchen? Dazu muss zuerst das Rad abmontiert, die Bremse ausgebaut und danach alles wieder montiert werden.

Der Heckflügel sorgt bei weiten Sprüngen für bessere Flugeigenschaften., Foto: Volkswagen Motorsport
Der Heckflügel sorgt bei weiten Sprüngen für bessere Flugeigenschaften., Foto: Volkswagen Motorsport

... im Polo R WRC 2014 bislang der maximale Bremsdruck mit 74,8 bar gemessen wurde? Möchte man diesen Druck nachfühlen, muss man 748 Meter tief tauchen. Achtung: Das hält nicht jedes U-Boot aus.

... der Automobil-Weltverband (FIA) den Motor bei Bedarf in 300 Einzelteile zerlegt, um zu prüfen, ob er dem Regelwerk entspricht? Jedes Teil und auch jede Schraube wird von der Qualitätssicherung bis auf ein Tausendstel Millimeter (1 µm) geprüft. Zum Vergleich: Das ist 500 Mal kleiner als ein Salzkorn oder 150 Mal feiner als ein menschliches Haar.

... in einem Polo R WRC umgebaute Serientüren verbaut sind? Von innen wird die Verkleidung entfernt und durch leichtes Karbon ersetzt. Für den Aufprallschutz sorgt ein spezieller Sicherheitsschaum der FIA, der zwischen der Karbonverkleidung und dem Türblatt verbaut wird.

... eine Seitentür weniger als die Hälfte der Seitentür eines Serien-Polo wiegt? Da auf elektronische Bauteile, wie Fensterheber, verzichtet wird, bringt eine WRC-Tür ca. 12 Kilogramm auf die Waage. Zum Vergleich: Eine Serientür wiegt ca. 25 Kilogramm.

... eine Tür blitzschnell ausgetauscht werden kann? Bei einer Rallye dauert es keine 30 Sekunden, bis eine beschädigte Tür aus- und eine neue eingehängt wird.

... die Stoßdämpfer Kräften von bis zu vier Tonnen ausgesetzt werden? Etwa bei Schlägen durch Steine und Bodenunebenheiten.

Die Türen am Polo R WRC wiegen etwa 12 Kilogramm., Foto: Volkswagen Motorsport
Die Türen am Polo R WRC wiegen etwa 12 Kilogramm., Foto: Volkswagen Motorsport

... neben den Bremsen auch die Stoßdämpfer hohen Temperaturen ausgesetzt sind? Die Einrohr-Stoßdämpfer von ZF sind sehr leicht und werden bis zu 150 Grad Celsius heiß. Im Vergleich zu einem Seriendämpfer federn sie 5 Mal schneller.

... die Bremssättel eines World Rally Car wassergekühlt sind? Bei einem Serienauto und auch bei einem Formel-1-Auto geschieht die Kühlung ausschließlich durch Luft. Im Vergleich zur Formel 1 erreichen Rallye-Autos keine so hohen Geschwindigkeiten, um mithilfe des Fahrtwindes die Bremsscheiben abzukühlen.

... bei der Entwicklungsphase von Stoßdämpfern und Co. jeder Vorschlag der Volkswagen Mechaniker beachtet wurde? Damit ein Service schnell vonstattengehen kann, schlugen die Mechaniker vor, leicht zugängliche Schrauben in einheitlicher Größe zu verbauen. Die Mechaniker ersparen sich dadurch die Zeit, entsprechendes Werkzeug wechseln zu müssen.

... der Heckflügel bei weiten Sprüngen für bessere Flugeigenschaften sorgt? Das drei Kilogramm Aerodynamik-Anbauteil aus Karbon sorgt in Kurven für Abtrieb und vor allem bei weiten Sprüngen für bessere Flugeigenschaften. Gäbe es keinen Heckflügel, würde der Polo R WRC bei weiten Sprüngen mit der Schnauze zuerst landen.

... die Volkswagen Fahrer in einem an ihren Körper perfekt angepassten Schalensitz Platz nehmen?

... Reifen-Heizdecken, wie sie aus der Formel 1 bekannt sind, in der FIA Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) verboten sind?