Im Jahr null nach Loeb, im Jahr eins nach den Solberg-Brüdern, im Jahr zwei nach Kimi Räikkönen tut es not, einen Moment innezuhalten und zu schauen, wer denn die Großen im Spiel sind. Jetzt, wo der König des Rallyesports, das Jahrhundertgenie, der Zertrümmerer aller Rekorde bloß noch eine Rallye von der finalen Zielflagge entfernt ist: Frankreich 2013 wird das Ende der Ära Loeb markieren, das Ende einer Dominanz, wie es sie in diesem Sport nie zuvor gegeben hat und wohl auch so bald nicht wieder geben wird.

Sebastien Loeb wird eine Ära in der WRC beenden, Foto: Sutton
Sebastien Loeb wird eine Ära in der WRC beenden, Foto: Sutton

Als Sebastien Loeb 1999 in der WRC debütierte, hießen die Stars Tommi Mäkinen, Carlos Sainz, Richard Burns oder Colin McRae. Um zu gewinnen, bedurfte es eines Mitsubishi oder Subaru, später tat es auch ein Peugeot, sofern der baumlange finnische Charismatiker Marcus Grönholm am Steuer saß. Dann kam Loeb, überlebensgroß, und gewann neun Titel in Serie, alle auf Citroën, einer Marke, die bislang vor allem durch einen Monte-Carlo-Sieg im Jahr 1966 mit Pauli Toivonen am Steuer aufgefallen war (und der war von den Veranstaltern erschummelt worden.)

Wir, die wir Loeb leibhaftig erleben durften, auf dem prägenden Xsara, dann auf dem wunderschönen C4, zum Schluss auf dem putzigen DS3, sind Zeitzeugen von etwas Großem geworden. Wenn es hieß, die 1000-Seen-Rallye in Finnland sei von Nicht-Skandinaviern nicht zu gewinnen: Leg dort einen Kieselstein auf den Scheitelpunkt am Ausgang einer Kurvenkombination. Alle sind mindestens einen Meter vom Idealpunkt entfernt, nur einer nicht: Loeb. Der Rückzug des "besten Autofahrers der Welt" (© Michael Schumacher) eröffnet bei aller gebotenen Sentimentalität gigantische Perspektiven für diesen grandiosen Sport.

Sebastien Ogier tritt in die großen Fußstapfen seines Landsmanns, Foto: Sutton
Sebastien Ogier tritt in die großen Fußstapfen seines Landsmanns, Foto: Sutton

Wann Änderungen durchführen, wenn nicht jetzt? Einen Schnitt machen, mit lieb gewordenen Traditionen brechen? Fact Finding Mission bei der Akropolis-Rallye in Griechenland, einer der ikonischen Veranstaltungen im Kalender, zum 59. Mal ausgetragen, gefahren auf den staubigen, steinigen Schotterpfaden rund um den Isthmus von Korinth, tückisch bis zum letzten der insgesamt 1052 Kilometer. Die Zuschauer an der Strecke lieben WRC, zu tausenden lassen sie sich einstauben, von Hinterrädern mit Schotter beschießen, sie grillen am Rande der Sonderprüfungen, bringen Fahnen, Kameras, es ist ein gigantisches Volksfest im Gehölz, und der Speed der Helden in ihren lauten, bunten Autos lässt sie glücklich staunen, jedes Jahr wieder. Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, schlechte Stimmung? Nicht hier, nicht jetzt. Setz dir ein VW-Käppi auf, zieh dir ein Ford-T Shirt an und sei Teil dieser Party!

Gladiatoren

Die abendländische Kultur kennt grob gerechnet zehn Topoi, die erfolgreiche Geschichten beinhalten müssen. Liebe zum Beispiel (Romeo und Julia). Tragödie (Pyra¬mus und Thisbe). Coming of Age (Jugendromane). Mañana (religiöse Grundschriften, Drogenliteratur). Vor allem aber will die Menschheit Helden.

Vor dem Heldentum steht jedoch die Bewährungsprobe, nicht selten ähnelt sie dem Scheitern, zumindest kurzfristig. Sébastien Ogier etwa, gerade gewachsener Siegfried aus dem VW-Team, gereift im Kampf gegen Loeb auf gleichem Material (und da durchaus auch siegreich), gestählt durch die letzte Saison im Škoda S2000 der zweiten Leistungsklasse, aktuell WM-Führender, geht als haushoher Favorit als Erster auf die Reise.

Vor zwei Sonderprüfungen haben die Fahrer besonderen Respekt: vor der ersten von Kineta nach Pissia, weil sie beinharte 47,7 Kilometer lang ist. Und vor der folgenden, Kineta, weil sie in der Nacht gefahren wird. Die Scheinwerferbatterien auf den Motorhauben der 300plus-PS-Allradler können den griechischen Eselspfaden längst nicht alle Geheimnisse entlocken. Man erwartet eine durchschnittliche Geschwindigkeit von knapp 90 Stundenkilometern auf einer Straße, die normale PKW schlicht entzweireißen würde.

Evgeny Novikov war der Schnellste der Nacht, Foto: Sutton
Evgeny Novikov war der Schnellste der Nacht, Foto: Sutton

Alle rechnen mit einem großen Schlag von Ogier, mit einer einschüchternden Bestzeit, aber so weit kommt es nicht: Nach kaum zehn Minuten Renntempo nimmt der VW Polo R WRC kein Gas mehr an, aus die Maus. Der Militärstecker zur Benzinpumpe hat sich gelöst, werden die Mechaniker später im Service in Loutraki feststellen, wie zum Teufel das auch immer passieren konnte. Ein dummer Defekt, aber rennentscheidend. Es ist stockfinster in Griechenland, aber mit einem Mal sind alle hellwach.

Der König der Nacht (und des folgenden Morgens) heißt Evgeny Novikov, an seiner Seite das zarte Beifahrer-Genie Ilka Minor aus Österreich. Sie, die ihr WM-Handwerk am rechten Sitz des jahrelang besten Privatiers der WRC, Manfred Stohl, gelernt und später den Norweger Henning Solberg perfekt geleitet hat, führt nun zum ersten Mal einen WM-Lauf an, zumal einen so traditionsreichen. "Endlich stehen wir da, wo wir hingehören", kokettiert sie, während sie in der Dunkelheit der Servicezone steht, an ihrem PowerBar-Gel nuckelnd, ein Bild zum Einprägen.

Novikov strahlt mehr von innen. Dass er einst der jüngste Pilot war, der eine WM-Sonderprüfung gewinnen konnte, ist an diesem Abend verblasst. Jetzt hat er den nächsten Schritt geschafft, er geht als überlegen Führender in die erste Nacht. Novikov hat die dicksten cojones aller Spitzenfahrer, allerdings reißt er sich am nächsten Morgen an einem versteckten Stein eine Bremsscheibe, in weiterer Folge eine Bremsleitung, eine Felge, ein Rad und ein Federbein aus. Dennoch wird niemand bei dieser Rallye so viele Sonderprüfungs-Bestzeiten aufstellen wie unser tapferer Mann aus Moskau.

Mikko Hirvonen kommt einfach nicht in Fahrt, Foto: Citroen
Mikko Hirvonen kommt einfach nicht in Fahrt, Foto: Citroen

Auf dem Papier hätte nun Mikko Hirvonen, Loebs ehemaliger Kronprinz im Team von Dauerweltmeister Citroën, das Zepter an sich reißen müssen, doch das einstmals unerschrockene Elmsfeuer irrlichtert in dieser Saison bloß. Früher wäre er diesen Speed zu Fuß gegangen. Bevor jetzt einer ungnädig wird: Wessen Vorderräder wegen eines technischen Problems bereits auf der ersten Sonderprüfung nicht mehr das tun, was ihnen das Lenkrad befiehlt, dem ist Vorsicht am lauten Pedal nicht als Hasenfüßigkeit auszulegen.

Und trotzdem ist Hirvonen, mit seinen 15 WRC-Siegen statistisch gesehen der Erfolgreichste der aktuellen Generation, weit davon entfernt, die ihm zugedachte Rolle auszufüllen, nämlich den WM-Pokal für Citroën Sport zu verteidigen. Hirvonen ist kein Loeb, und selten war er weiter davon entfernt als in dieser Saison, ausgerechnet in jener, da es zählen würde.

Ein Match um die Spitze bewegt sich lange Zeit auf Zeitraffer-Niveau. Aber wenn einer eine Entscheidung erzwingen will, geht es nur noch um die Reflexe aus dem Stammhirn: Im Grenzbereich muss das Auto zu einem Körperteil werden, das man bei 160 km/h zentimetergenau auf der Schotterfahrbahn positioniert, aus Instinkt und im blinden Vertrauen auf die Ansage des Beifahrers. Im Moment kann das Sébastien Ogier am besten und neuerdings auch sein Teamkollege, der 28 Jahre alte Finne Jari-Matti Latvala, seit gefühlt zehn Jahren ein Mann der Zukunft, pendelnd zwischen sauschnell und fehleranfällig. Bei VW, so scheint's, hat er endlich seine Heimat gefunden. Während er früher bei Ford Wasserträger spielen musste, lässt ihm der so kluge wie ruhige VW-Motorsport-Direktor Jost Capito Freiraum: "Bei uns darf jeder Fahrer gewinnen."

Nach Ogiers Technikproblemen war es Latvala, auf dem in Griechenland der Druck des Teams lastete, und er ging souverän damit um. Auf den ausgefahrenen, prügelharten Schotterpisten lauert hinter jedem Eck der eine Felsbrocken, das eine Loch, und die Rallye ist gelaufen. Nimmt man aber zu viel Tempo raus, wird man zum Futter für die Gegner, die anhand der Zwischenzeiten im Cockpit jedes Nachlassen sofort bemerken.

Jari-Matti Latvala schwankt noch zwischen Fehlern und Geschwindigkeit, Foto: Volkswagen Motorsport
Jari-Matti Latvala schwankt noch zwischen Fehlern und Geschwindigkeit, Foto: Volkswagen Motorsport

Sieger Latvala hat sich bei seiner triumphalen Heimkehr in den Servicepark bei jedem Einzelnen bedankt, hat jeden im Team umarmt, auch die Mechaniker vom Ogier-Auto und jene seines jungen norwegischen Teamkollegen Mikkelsen.

Innerhalb einer halben Saison ein funktionierendes Team zur dominanten Truppe geschmiedet, die bereits ewig dauernde Citroën-Dominanz gebrochen zu haben: Dieses Verdienst gebührt der unaufgeregt- sachlichen Art von Jost Capito. Mehr als die Hälfte der einst so dominanten VW-Dakar- Mannschaft hat den Übergang zur WRC geschafft, die Ergänzungen sind international und verpassen der Crew aus Hannover einen bunten Anstrich.

Trotz aktuell überbordender Erfolge gibt Capito als Saisonziel aus, "bis zum Schluss um einen der beiden WM-Titel, Fahrer oder Team, zu kämpfen", und findet dabei in Latvala einen überraschenden Fürsprecher: "Ich habe viele Saisonen unter den Top-3 der Fahrer-WM beendet, aber ich habe noch nie die Team-WM gewonnen. Das ist mein Ziel für heuer. Alles andere nehme ich, wie es kommt."

Für 2014 hätten die Hersteller neue, verbesserte Autos an den Start bringen dürfen. VW hat freiwillig darauf verzichtet, in Kenntnis der Probleme der Gegner: Citroën schielt mit einem Auge auf die Tourenwagen-Szene als künftiges Betätigungsfeld, Ford ist bloß noch das Eigeninteresse von M-Sport-Boss Malcom Wilson, kein Werkseinsatz mehr. Und wenn 2014 Hyundai als neuer Hersteller die Bühne betritt, ist es bloß fair, ihm die Chance zu geben, möglichst auf Augenhöhe zu beginnen.

Neue Regeln

Denn eines ist klar: Die großartige WRC, diese live kaum zu überbietende, sportlich so hochstehende Serie, bringt ihre Kraft im Moment nur unzulänglich auf den Boden. Ein Jari-Matti Latvala kann in weiten Teilen Europas unerkannt auf die Straße gehen, "und in Kalifornien bin ich bei meinen Urlauben überhaupt ein Außerirdischer".

Hätte der Finne einen Wunsch frei, er würde sich globale Live-Übertragung der WRC wünschen, wenigstens am Sonntag. Dem Mann kann womöglich geholfen werden, wird hinter den Kulissen doch von allen Seiten an einer adäquaten Präsentation gearbeitet. WRC ist allerhöchste Chefsache. (Den Griechenland-Siegerpokal hat Jari-Matti Latvala zum Beispiel aus den Händen von FIA-Präsident Jean Todt höchst selbst empfangen; eine Ehre, die selbst einem Formel-1-Sieger in der Regel nicht zuteilwird.)

Nun muss überlegt werden, wie die Rallye-WM in Zukunft wieder den Sprung nach vorne schafft - vor allem im TV. Rallye-Chefin Michèle Mouton (selbst eine Rallye-Legende) und die WRC-Veranstalter überdenken derzeit die WRC neu: Was wäre mit einem Marathon-Tag ohne Service? Wie bringt man die Sonderprüfungen besser zur Geltung? Was macht man am Sonntag? Wie wäre es mit einem Shootout auf der letzten Sonderprüfung: Den Sieg machen sich der Schnellste und der Zweitschnellste der bisherigen Rallye aus, Platz 3 der Dritt- und der Viertschnellste und so weiter, hinauf bis Platz 9?

Viele Ideen liegen am Tisch, werden diskutiert, verworfen, mehrheitsfähig gemacht oder demokratisch durch etwas Besseres ersetzt. Spannende Zeiten für die Rallye-WM.