Wem die Sommerpause in der Formel 1 zu lang ist, der sollte besser kein Fan der World Endurance Championship werden. Nicht weniger als elf Wochen lang wurden keine Punkte in der Meisterschaft für die komplexesten Rennwagen aller Zeiten vergeben. Das sind aber immerhin noch ein paar Wochen weniger als vergangene Saison, als ein Vierteljahr lang die Motoren zumindest was den Rennbetrieb angeht stillstanden. Stillstand hat es natürlich seit Le Mans nicht gegeben; neben einem Test auf dem Eifelkurs, an dem die Mehrzahl der Teams teilnahm, stand auch eine Menge Entwicklungsarbeit auf dem Programm.

Aufwachen! Es geht wieder los!, Foto: Speedpictures
Aufwachen! Es geht wieder los!, Foto: Speedpictures

Schließlich geht es jetzt nach Le Mans auf die Welttournee und damit auf Strecken, die mehr Abtrieb erfordern. Überraschenderweise geht Audi genau den umgekehrten Weg: Das Le-Mans-Paket mit wenig Abtrieb soll künftig das primäre Aero-Paket sein. Die anderen Hersteller haben unterdessen Pakete mit viel Abtrieb für ihre LMP1-Boliden entwickelt. Gerade der Nürburgring erfordert einen sehr steilen Flügel, bevor es danach wieder auf Strecken geht, die mindestens eine lange Gerade haben.

Wenig Abtrieb als magische Audi-Waffe?

Für alle Hersteller gab es in der Pause seit Le Mans mindestens eine mehr oder wenige schlechte Nachricht: Nissan ist bis auf weiteres gar nicht mehr am Start, Toyota und Porsche mussten eine Restriktion bei der zur Verfügung stehenden Energie und beim Benzindurchfluss hinnehmen und bei Audi haben die Tabellenführer Marcel Fässler, Andre Lotterer und Benoit Treluyer (80 Punkte) nur noch einen frischen Motor für die letzten drei Rennen zur Verfügung, weil das Joest-Team mit dem Versetzen der elektronischen Plomben in Le Mans diese deaktiviert hatte und somit drei statt einem Motor von ihrem Kontingent abgezogen bekommen haben.

Jetzt mit mehr Leistung: Der Audi R18 e-tron quattro erhielt einen leichten Boost, Foto: Audi
Jetzt mit mehr Leistung: Der Audi R18 e-tron quattro erhielt einen leichten Boost, Foto: Audi

Die Tabellenführer müssen nun entweder mit den vorhanden Aggregaten haushalten oder in einem der noch ausstehenden fünf Rennen eine dreiminütige Stop&Go-Strafe absitzen. Besondere Bedeutung kommt damit nun dem zweiten Audi von Lucas di Grassi, Loic Duval und Oliver Jarvis zu, der bislang in dieser Saison vom Pech verfolgt war. Dieser muss nun den Porsche so viele Punkte wie möglich abluchsen, solange das Damoklesschwert der Strafe besteht. Die Neueinstufung mit mehr Power für Diesel sollte bei diesem Unterfangen auf jeden Fall helfen.

Wie viel kosten die neuen Beschränkungen Porsche?

Das Porsche Team geht mit einem Rückstand in der WM an den Start. Obschon der prestigeträchtige Le-Mans-Sieg erzielt werden konnte, waren die Fortschritte in der Meisterschaft minimal, da die Nico Hülkenberg, Earl Bamber und Nick Tandy diese Saison nicht mehr im Porsche 919 Hybrid an den Start gehen werden und somit keine Relevanz im WM-Kampf haben. Die Speerspitze aus Weissach sind, obwohl sie an der Sarthe nur Fünfte wurden, Romain Dumas, Neel Jani und Marc Lieb. Der Rückstand ist mit 23 Punkten aber nicht gerade gering.

Die Teamkollegen Timo Bernhard, Mark Webber und Brendon Hartley haben sich mit dem zweiten Platz in Le Mans im Titelkampf zurückgemeldet, doch der Ausfall in Silverstone schmerzt weiter gewaltig. Sie machen bei 53 Punkten Halt und haben damit 27 Zähler Rückstand auf die führenden Audi-Piloten. Zu allem Überfluss ist Porsche auch noch der größte Verlierer der jüngsten EoT-Runde: Die Benziner verloren sowohl Energie pro Runde als auch Durchfluss, während der Diesel-Audi zulegen durfte. Wie sich das letztlich auf der Strecke durchschlägt, bleibt abzuwarten.

Jetzt mit weniger Leistung: Kann Porsche den Wegfall von Power kompensieren?, Foto: Porsche
Jetzt mit weniger Leistung: Kann Porsche den Wegfall von Power kompensieren?, Foto: Porsche

Abwarten kann Porsche im Titelkampf aber nicht in der Hoffnung, dass Audi sich irgendwann gegen Saisonende eine Motorenstrafe einfängt. Stuttgart muss agieren und schnell ein paar Punkte abfeilen. Vieles hängt vom High Downforce Kit ab, das Porsche lange geheim gehalten hat. Es muss bereits am Nürburgring stechen, denn sonst kann die Meisterschaft früher vorentschieden sein als sich Porsche und die Fans das wünschen würden. Am Nürburgring dürfen acht statt sechs Reifensätze verwendet werden - ein Vorteil für den weniger reifenschonenden Porsche.

Toyota auf der Suche nach Schadensbegrenzung

Bezüglich Toyota ist die Vorentscheidung eigentlich schon gefallen: Der TS040 Hybrid geht auf Abschiedstour und weicht für 2016 einem neuen Konzept mit Turbomotor. Am Nürburgring gibt es den direkten Vergleich im High-Downforce-Trimm für den Rest der Saison, doch schon die Testergebnisse weisen wieder einen Zwei-Sekunden-Abstand für das Kölner Team aus. Der Nürburgring setzt dem Sauger mit seinen über 600 Höhenmetern mehr zu als den Turbos der Konkurrenz.

Zwar ist die Saison noch nicht einmal bei der Hälfte angekommen, doch schon ist klar, dass es wohl besser ist, sich auf den TS050 Hybrid für die kommende Saison zu konzentrieren. Hoffnung macht noch einmal die Tatsache, dass Anthony Davidson, Sebastien Buemi und Kazuki Nakajima in Silverstone aus eigener Kraft aufs Podium gekommen sind und der Nürburgring ebenfalls viel Abtrieb erfordert.

Ausgerollt: Toyota genießt Heimvorteil, kämpft aber mit stumpfen Waffen, Foto: Toyota
Ausgerollt: Toyota genießt Heimvorteil, kämpft aber mit stumpfen Waffen, Foto: Toyota

Rebellion: Angriff auf Toyota?

Nach einem etwas holprigen Start mit AER-Power hat Rebellion Racing in Le Mans wichtige Erfahrungen sammeln können und wird den umgebauten R-One erstmals mit viel Abtrieb zum Einsatz bringen. Ob die Kinderkrankheiten schon zum zweiten Rennen auskuriert werden konnten, bleibt abzuwarten. In Le Mans waren Nicolas Prost, Nick Heidfeld und Mathias Beche bei den Rundenzeiten gar nicht so weit von Toyota weg. Mit etwas Entwicklungsarbeit könnte hier möglicherweise bald eine Lücke geschlossen werden.

Währenddessen muss sich die andere Fahrerpaarung erst noch zusammenfinden. Daniel Abt, Dominik Kraihamer und Alexandre Imperatori werden am Ring ihr zweites gemeinsames Rennen in Angriff nehmen. Auch für dieses Trio gilt es, die Möglichkeiten des neu bestückten R-One auszuloten. Da Rebellion beim Test Ende Juli nicht dabei gewesen ist, fehlen Erfahrungswerte auf dem Nürburgring. Diese hat ByKolles Racing, allerdings stellt sich beim CLM P1/01 die andauernde Frage nach der Zuverlässigkeit. In Le Mans wurden nicht weniger als zehn Benzinpumpen verschlissen. Simon Trummer und Pierre Kaffer werden diesmal von WTCC-Ass Tiago Monteiro verstärkt.

Wieder mit einem Gibson: Die LMP2 verspricht Hochspannung, Foto: Speedpictures
Wieder mit einem Gibson: Die LMP2 verspricht Hochspannung, Foto: Speedpictures

LMP2: Strakka Racing als Überraschungskandidat

Die LMP2-Kategorie wird die nächste Runde im großen Kampf KCMG vs. G-Drive Racing sehen. Das Team aus Hong Kong vertraut nun wieder auf die Dienste von Nick Tandy, der einen Le-Mans-Sieg später wieder zu seinem Team aus Silverstone zurückkehrt und Matt Howson und Richard Bradley verstärken wird. Nur vier Punkte trennen den Oreca 05 und das russische Verfolgerteam rund um Gustavo Yacaman, Pipo Derani und Ricardo Gonzales. Das eigentlich vom Einsatzteam Oak Racing bevorzugte Fahrzeug von Roman Rusinov, Julien Canal und Sam Bird fährt noch den verlorenen Punkten aus Spa hinterher und hat 14 Punkte Rückstand auf KCMG.

Ein gehöriges Wort um den Sieg mitsprechen möchte jetzt auch Strakka Racing. Nachdem der Dome S103 von nun an als LMP1-Testträger sein Dasein fristen wird, wird der ultraschnelle Gibson 015S zur Einsatzwaffe. Beim Test zeigten Nick Leventis, Danny Watts und Jonny Kane gleich einmal mit einer Bestzeit, dass ab sofort mit ihnen zu rechnen ist. Während die Rentner-Spaßtruppe von Oak Racing pausiert und Extreme Speed Motorsports und Signatech Alpine unverändert antreten, gibt es Neuigkeiten bei Morand Racing: Da Zoel Amberg gesundheitsbedingt fürs Erste aussetzen muss, wird Oliver Webb und Pierre Ragues nun Archie Hamilton zur Seite gestellt.

Nimmt Porsche den Siegesrausch in die WEC mit?

Aston Martin und Ferrari konnten diese Saison schon gewinnen, Foto: Speedpictures
Aston Martin und Ferrari konnten diese Saison schon gewinnen, Foto: Speedpictures

In der GTE Pro gibt es ein neues Balancing, das insbesondere Porsche einen Boost gibt. Der wäre womöglich gar nicht nötig gewesen, denn die GT-Abordnung aus Stuttgart schwimmt aktuell in der USCC auf einer Welle des Erfolgs. Insbesondere Patrick Pilet kommt mit dem Rückenwind von nicht weniger als drei US-Siegen hintereinander mit stolz geschwellter Brust an den Nürburgring. Ob der Franzose mit seinem Landsmann Fred Makowiecki den Heimsieg für Porsche holen kann? An der Zeit wäre es, schließlich fehlt Porsche noch ein GT-Sieg in dieser WEC-Saison.

Die Le-Mans-Glorie ist diesmal in die Vereinigten Staaten gegangen, doch AF Corse nahm die meisten WEC-Punkte für die Plätze zwei und drei mit. Aber es waren nicht die Tabellenführer Gimmi Bruni und Toni Vilander, die die meisten Zähler einheimsten, sondern die Teamkollegen James Calado und Davide Rigon, die daher nun auf vier Punkte an die Teamkollegen herangekommen sind. Das Le-Mans-Chaos hat dafür gesorgt, dass urplötzlich die SMP-Piloten aus der GTE Am, Viktor Shaitar, Alexey Basov und Andrea Bertolini, auf Platz drei der GT-Gesamtwertung auftauchen.

Die Aston-Martin-Abordnung wird angeführt von den überraschend starken Fernando Rees, Alex MacDowall und Richie Stanaway, die mit ihrem Sieg in Spa alle überraschten. Sie liegen 9 Punkte in der Tabelle hinter dem viertplatzierten Richard Lietz und 22 hinter der Tabellenspitze. Nur zwei Punkte dahinter ist der Young-Driver-Aston-Martin von Marco Sörensen und Christoffer Nygaard klassifiziert. Die AMR-Topstars Stefan Mücke und Darren Turner, am Nürburgring durch Jonny Adam verstärkt, konnten ihr Pech auch diese Saison nicht abschütteln und sind hoffnungslos abgeschlagen.

Auf einer Welle des Erfolgs: Patrick Pilet siegte in der USCC dreimal hintereinander, Foto: Speedpictures
Auf einer Welle des Erfolgs: Patrick Pilet siegte in der USCC dreimal hintereinander, Foto: Speedpictures

In der GTE Am bleibt Aston Martin der Topfavorit für die verbleibenden Rennen, obschon der SMP-Ferrari dank des Le-Mans-Sieges einen großen Vorsprung genießt. Die Frage bleibt, wie gut Paul Dalla Lana den bitteren Abflug in Führung liegend eine Stunde vor Schluss in Le Mans verkraftet hat. In der Amateurwertung führen Shaitar/Basov/Bertolini derzeit mit 80 Punkten vor Emmanuel Collard, Francois Perrodo und Rui Aguas im befreundeten AF-Corse-Ferrari mit 66 Punkten und Patrick Dempsey, Marco Seefried und Patrick Long im Proton-Porsche mit deren 54. Erst dahinter kommt das in den ersten Rennen dominante Aston-Martin-Gespann von Dalla Lana, Pedro Lamy und Mathias Lauda mit 53 Punkten daher.

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Start des Rennens ist am Sonntag um 13 Uhr. Wer den vierten Lauf der Langstrecken-Weltmeisterschaft nicht live vor Ort verfolgt, wird von den TV-Zeiten eher enttäuscht sein: Eurosport geht erst um 18 Uhr auf Sendung, ansonsten bleibt der kostenpflichtige Stream auf der WEC-Homepage. Natürlich wird Motorsport-Magazin.com das gesamte Rennen im Live-Ticker covern.