Für puristische Racing-Fans gibt es seit kurzer Zeit einen Erzfeind: Nissan hat mit seinem Ansatz Bewunderung und Hass im gleichen Maße auf sich gezogen. Aus sportlicher Sicht ist das Projekt schon in der Konzeptionsphase zum Scheitern verurteilt gewesen: Der vorne sitzende Motor treibt primär die Vorderachse an und wird am Kurvenausgang durch ein mächtiges Hybridsystem auf der Hinterachse unterstützt, um die Vorderreifen zu entlasten. Jeder vernünftig denkende Ingenieur würde sofort abwinken. Warum macht es Nissan dann? Um eine Einzigartigkeit unter Beweis zu stellen. Ob das Projekt Erfolg hat oder nicht, ist gar nicht mal vorrangig.

Nissan hat sich in den letzten Jahren als Meister der PR erwiesen: Der sportliche Totalflop ZEOD RC wird weiterhin positiv als Ideengeber verkauft. Die meisten Adressaten werden vermutlich von dem Desaster des Projekts in Le Mans 2014 gar nichts wissen. Und so wird auch das LMP1-Projekt unabhängig vom sportlichen Erfolg als wichtiges Marketinginstrument dienen. Obwohl der skurrile Nissan GT-R LM Nismo noch kein einziges Rennen gefahren ist, kennen ihn vermutlich mehr Menschen als alle anderen LMP1. Dank Nissan wissen bereits mehr Menschen, dass es eine WEC gibt als durch alle drei bisherige Saisons zusammengenommen.

Die Marketing-Maschinerie läuft: Nissan macht die WEC weltweit bekannt, Foto: Nissan
Die Marketing-Maschinerie läuft: Nissan macht die WEC weltweit bekannt, Foto: Nissan

Während sich andere Hersteller in tagelangen Privattests von der Öffentlichkeit abschotten, geht Nissan an die Öffentlichkeit: Präsentation des Fahrzeugs beim Super Bowl vor einem Millionenpublikum, Showevents vor Fußballclubs, Ausstellungen auf Uhrenmessen, ganz offener Umgang mit der Entwicklung. Nismo-Marktingchef Darren Cox rechnete bereits mit dem "deutschen" Ansatz ab; pures Racing lässt sich im 21. Jahrhundert nicht mehr verkaufen. "Wir betreiben keinen Rennsport mehr um des Racings Willen. Diese Zeiten sind vorbei", posaunt er ganz offen heraus. Hardcore-Fans sehen nur noch rot. In einschlägigen Zeitschriften wird Nissan fertiggemacht.

Viel Arbeit für Nismo

Doch ganz ohne sportlichen Ehrgeiz geht es auch für Nissan nicht. Dass man durchaus einen hohen Anspruch verfolgt, zeigte bereits die mittlerweile legendäre Pressekonferenz von Andrew Palmer in Le Mans, der für 2016 einen Le-Mans-Sieg mit einem völlig anderen Ansatz versprach. Letzterer ist da, nur ob Ersteres klappt, ist angesichts der Entwicklung des Projekts in den letzten Monaten sehr fraglich. Palmer zog bereits 2014 die Notbremse und setzte sich zu Aston Martin ab.

Nissan muss viele Testfahrten nachholen, Foto: Harry Tincknell/Twitter
Nissan muss viele Testfahrten nachholen, Foto: Harry Tincknell/Twitter

Rein sportlich betrachtet ist das Projekt bislang ein Reinfall, folgerichtig lässt Nissan Silverstone und Spa-Francorchamps aus. Das Fahrzeug wurde viel zu spät fertig, ist unzuverlässig, und noch schlimmer: Viel zu langsam. Mit zwei Hybridsystemen würde der Frontmotorsportler viel zu viel wiegen, deshalb ließ Nissan das zweite System erst einmal ganz draußen. Damit jedoch war das ganze Konzept der Vorderreifenentlastung über den Haufen geworfen. Es kam, was kommen musste: Bei rund 500 PS auf der Vorderachse kann nicht einmal das Michelin-Know-How ein Vorderreifenmassaker verhindern.

Nissan muss enorm viel tun bis Le Mans. Überhaupt ist der Kurs an der Sarthe der einzige im Kalender, auf dem das Konzept funktionieren dürfte. Damit stößt Nissan unfreiwillig eine Debatte an, die weder ACO noch FIA schmecken dürfte: Was ist eigentlich mehr wert? Le-Mans-Sieg oder WM-Titel? Nissan gibt ganz offen zu: Man will Le Mans gewinnen, alles andere interessiert allenfalls peripher. Sieben Rennen werden für eins geopfert. Es offenbart ein Problem des WEC-Kalenders: Neben Le Mans gibt es kein einziges Highlight.

Ziel: Mehr Bekanntheitsgrad für die WEC

Max Chilton und Alex Buncombe gehören zum Fahrer-Aufgebot, Foto: Nissan
Max Chilton und Alex Buncombe gehören zum Fahrer-Aufgebot, Foto: Nissan

Ob Nissan daran etwas ändern kann? In jedem Fall bringt der Nissan-Ansatz frischen Wind in die angestaubte europäische Racing-Kultur, die noch auf dem Stand des 20. Jahrhunderts ist. Ob das gut oder schlecht für den Sport ist, wird sich zeigen. Dass Darren Cox an die WEC glaubt, zeigen seine Bemühungen wie der Vorschlag eines Qualifikationsrennens. Überhaupt ist die Langstrecken-Weltmeisterschaft die einzige Rennserie der Welt, die überhaupt noch einen dermaßen revolutionären Ansatz zulässt. Cox will so etwas fördern. Ob er damit sich mit einer besseren Vermarktung der WEC mit Rennpuristen versöhnen kann, liegt auch an der Einstellung der Fans selbst.

Sportlich wäre es wohl ein Erfolg, wenn ein Nissan dieses Jahr irgendwo die Zielflagge sieht. Performancetechnisch bewegte man sich in Sebring etwa zehn Sekunden hinter Audi. Wenn es schlecht läuft, könnten auf konventionellen Strecken Rebellion und ByKolles vorbeiziehen. Viel hängt davon ab, ob Nissan es schafft, das zweite Hybridsystem unterzubekommen, ohne zu viel Übergewicht zu haben. Das Wagnis (oder der Wahnsinn, wie es mancher ausdrückt) steht vor einem ungewissen Ausgang - doch genau das macht es auch für Nicht-Rennsportfans spannend, dem Projekt weiter zu folgen. Ob es letztlich wirklich Erfolg hat, ist tatsächlich zweitrangig.

Technische Daten Nissan GT-R LM Nismo

Einsatzteam: Nissan Motorsports
Länge: 4645mm
Breite: 1900mm
Höhe: 1030mm
Motor: 3.0l V6 Biturbo, Benzin-Direkteinspritzung
Getriebe: X-Trac 5-Gang vorn, Planetengetriebe hinten (geplant)
Energierückgewinnung: 2x ERS-K (geplant)
Energiespeicher: 2x Flywheel
Systemleistung: 1250 PS (geplant)
Hybridklasse: tba