Sieben Stunde Porsche auf einer leeren Strecke fahren - dazu noch den einzigartigen 919 Hybrid - und dann auch noch dafür bezahlt werden. Wer würde da auf den ersten Blick nicht gerne mit Marc Lieb tauschen? Doch was sich nach einem Lebenstraum anhört, entpuppt sich schnell als Marter monströsen Ausmaßes. 750 Kilometer in einem LMP1 sind kein Pappenstiel, und so schämt sich Lieb auch nicht, gegenüber dem Goodwood Magazin zuzugeben: "Wenn man sieben Stunden im Auto sitzt, ist es einfach nur noch ein harter Tag. Der letzte Stint war echt nicht schön."

Fünf Tage lang testete Porsche auf dem Bahrain International Circuit die 2015er-Ausbaustufe des 919 Hybrid auf Herz und Nieren und spulte dabei Tausende von Kilometern ab. "Physisch ist es wirklich anstrengend zu fahren. Wenn man den ganzen Tag im Auto sitzt, ist es sehr hart. Härter als Le Mans", gesteht der 34-Jährige. Das liege vor allem an den hohen G-Kräften. Doch Lieb hat Leidensgenossen, was die Sache für ihn einfacher macht: "Wir haben im Team eine sehr gute Atmosphäre, und das bedeutet viel."

Gesunde Rivalität und nützliche Kooperation

Seine Teamkollegen können aber nicht nur eine Hilfe, sondern auch Ansporn sein, zumal es mittlerweile zwei Fahrer mit Formel-1-Erfahrung im Porsche Team gibt. "Es geht nicht nur um Mark [Webber] und Nico [Hülkenberg]", relativiert Lieb. "Wir haben verdammt gute und schnelle Fahrer im Team. Timo [Bernhard] und Romain [Dumas] haben so viel Erfahrung. Neel [Jani] hat ebenfalls viel Erfahrung in Prototypen und Brendon [Hartley] ist ein sauschneller Kiwi. Man versucht einfach, nicht der Langsamste zu sein."

Tausende von Kilometern wurden in Bahrain zurückgelegt, Foto: Porsche
Tausende von Kilometern wurden in Bahrain zurückgelegt, Foto: Porsche

Manchmal lässt sich das aber nicht verhindern, zumal der Fahrer nicht immer Einfluss auf seine Performance hat: "Es verändert sich immer wieder über eine Runde und über längere Stints hinweg - je nach Verkehr." Unterm Strich aber befruchten sich die Teamkollegen (in ihrer Performance, nicht im wahrsten Sinne des Wortes) gegenseitig: "Es ist interessant zu sehen wie alles zusammenarbeitet. Wo sonst kann man die Daten aus demselben Fahrzeug mit fünf Teamkollegen teilen? Man kann sich sehr verbessern, das ist brillant!"

Lieb selbst musste lange warten, bis er LMP-Luft schnuppern konnte. Auch während des RS-Spyder-Programms blieb er in den GT-Klassen und kam somit erst mit 33 Jahren zu den Prototypen. Dem ultimativen Test sollte er beim WEC-Finale in Brasilien unterzogen werden, als sich sein Porsche mit dem Toyota der Weltmeister Sebastien Buemi und Anthony Davidson eine sechsstündige Hetzjagd in Sao Paulo lieferte.

Stress und Spaß beim Finale in Sao Paulo

"Das war wirklich schwierig. Das Hauptproblem sind die Geschwindigkeitsunterschiede. Das ist manchmal wirklich schwierig das abzuschätzen; manchmal kommt man mit 60 km/h mehr auf ein GT-Fahrzeug zugeschossen. Der sieht einen vielleicht erst, wenn man 200 Meter hinter ihm ist. Binnen einer halben Sekunde ist man da und er weiß nicht, ob du links oder rechts vorbei gehst." Brasilien sei deshalb so schwierig gewesen, weil die Strecke kurz und eng ist und solche Situationen öfter als sonst zustande kamen.

Volle Attacke: Das Duell mit Toyota in Sao Paulo sorgte für viel Spaß, aber auch haarige Momente, Foto: Andre Lemes
Volle Attacke: Das Duell mit Toyota in Sao Paulo sorgte für viel Spaß, aber auch haarige Momente, Foto: Andre Lemes

Das sorgt bisweilen für Stress: "In meinem zweiten Stint habe ich mich echt mies gefühlt, weil ich so viele Fehler gemacht habe. Allerdings habe ich keine Zeit auf Davidson verloren." Lieb lacht über das, was danach geschah: "Nach dem Rennen bin ich zu ihm hingegangen und habe ihm gesagt: ‚Man, ich habe so viele Fehler gemacht!‘ und er antwortete: ‚Ich auch‘. Aber wenn dir halt jemand im Funk sagt, dass du gerade zwei Sekunden im Verkehr verloren hast, dann gehst du mehr Risiken eben ein." Wie viele kritische Momente hat das nach sich gezogen? "In Brasilien eine Menge!"

Trotz der Schwierigkeiten im Verkehr habe ihm das Finale 2014 aber viel Freude bereitet: "Mit dem neuen Asphalt konnte man jede Runde wie in Qualifying angreifen. Wir haben absolut Vollgas gegeben. Der Typ, der den Asphalt gelegt hat, sollte jede Rennstrecke der Welt asphaltieren. Einfach phänomenal! Alle haben gesagt, dass es brillant war und es hat einfach nur Spaß gemacht."