Über zwei Monate ist es her, seit sich die Räder zuletzt in der Langstrecken-Weltmeisterschaft gedreht haben. Vom tödlichen Unfall von Allan Simonsen hat sich die WEC-Gemeinde soweit mittlerweile wieder erholt; das Autodromo Jose Carlos Pace ist der Auftakt zur Welttournee, die die jüngste der FIA-Weltmeisterschaften über drei Kontinente führen wird. Fakt ist: In der LMP2 und den beiden GTE-Klassen ist der Kampf um die Krone noch völlig offen, doch auch in der LMP1 wird dieses Rennen wegweisend sein. Den Auftakt machten die Boliden in der 11-Millionen-Einwohner-Metropole bereits mit einem Showrun auf öffentlichen Straßen.

Aston Martin hat sich vom Le-Mans-Schock erholt; Bruno Senna hat Heimspiel, Foto: Sutton
Aston Martin hat sich vom Le-Mans-Schock erholt; Bruno Senna hat Heimspiel, Foto: Sutton

Wenn im Stadtteil Interlagos die Motoren der Boliden auf dem 4,309 Kilometer langen, bei den Fahrern beliebten Kurs am Sonntagabend mitteleuropäischer Zeit für sechs Stunden aufheulen, geht es in der LMP1 vor allem um die Frage, ob Toyota noch irgendwie aus eigener Kraft gegen die übermächtigen Audi R18 e-tron quattro ankämpfen kann. Sollte in Interlagos eine ähnliche Klatsche wie bei den bisherigen Rennen erfolgen, wird man sich in Köln wohl vollends auf 2014 konzentrieren. Mit einem Kraftakt mit nur einem Fahrzeug und einer Menge neuen Teilen versucht Toyota, gegen die Diesel-Audi doch noch den Turnaround zu schaffen.

Audi kann defensiv agieren, doch das will Ingolstadt gar nicht. Die Niederlage in Sao Paulo aus der Vorsaison schmerzt noch immer, und das wollen die Audi-Mannen auswetzen. In der Weltmeisterschaft bringen Allan McNish, Tom Kristensen und Loic Duval durch ihren Le-Mans-Triumph einen Vorsprung von 30 Punkten auf die Teamkollegen mit. Es ist jedoch nicht damit getan, stets hinter den Teamkollegen Andre Lotterer, Marcel Fässler und Benoit Treluyer einzulaufen, da dies 35 Punkte in den letzten Rennen kosten würde. Der Vorsprung ist zwar groß, aber bei weitem nicht sicher.

Keine Schwächen in der LMP2 erlaubt

Gelöscht ist das Feuer hingegen bei den Privatteams in der LMP1. Nach dem Le-Mans-Triumph hat Strakka Racing überraschend den Stecker gezogen und will sich auf 2014 konzentrieren. Somit ist plötzlich nur noch Rebellion Racing übriggeblieben. Mangels Gegnern werden Heidfeld/Prost/Beche gegen sich selbst fahren, den zweiten Wagen hat Rebellion zurückgezogen, um die Entwicklung des R-One für 2014 zu forcieren.

Die WEC präsentierte sich am Mittwoch in den Straßen von Sao Paulo, Foto: Jeff Carter
Die WEC präsentierte sich am Mittwoch in den Straßen von Sao Paulo, Foto: Jeff Carter

In der LMP2 geht der knallharte Kampf in die nächste Runde: von den neun gemeldeten Boliden ist mehr als die Hälfte siegfähig. Nach dem großen Triumph in Le Mans hat OAK Racing zwei Eisen im Kampf um den Titel im Feuer. Doch sowohl Baguette/Gonzales/Plowman (77 Punkte) als auch Pla/Brundle/Heinemeier Hansson (73 Zähler) müssen sich wieder der üblichen Konkurrenz stellen, wenn auch mit teils anderen Besatzungen. Bei Delta-ADR greift wieder Robbie Kerr ins Lenkrad, der bereits in der vergangenen Saison am Steuer des Oreca 03-Nissan gesessen hat.

Alles beim Alten bleibt hingegen bei Pecom Racing. Luis Perez Companc, Pierre Kaffer und Nicolas Minassian sind als Drittplatzierte der LMP2-Wertung (71 Punkte) noch in Schlagdistanz zu den beiden Morgan-Nissan von OAK Racing. Das in der Meisterschaft viertplatzierte Team, Greaves Motorsport (34 Punkte), hat eine komplett neue Fahrerpaarung: Der Deutsche Christian Zügel wird zusammen mit ALMS-Ass Gunnar Jeanette auf dem Zytek ZS11N-Nissan kombiniert. Unverändert hingegen sind die beiden Lotus-Teams, die den T128 nach den Erfahrungen aus Le Mans weiter nach vorne bringen wollen.

Kann sich Ferrari für Le Mans revanchieren?

Große Spannung herrscht in der GTE-Pro-Kategorie. Nach dem Kantersieg von Porsche sind die Zuffenhausener plötzlich mitten drin im Titelkampf. Marc Lieb, Richard Lietz und Romain Dumas führen die Meisterschaft an, haben aber nur drei Punkte Vorsprung auf Aston Martin Racing, wo man auf Revanche für den verlorenen Le-Mans-Sieg aus ist. Bei den Fahrern sieht die Situation anders aus: Durch das Jonglieren mit den Piloten liegen für Aston Martin Stefan Mücke und Darren Turner vier Punkte hinter den drei Porsche-Piloten zurück. Nach dem tragischen Unfall von Le Mans stand kurzfristig ein Rückzug der Blauen aus der WEC zur Debatte, doch im Sinne des Dänen entschied AMR sich zur Fortsetzung des Programms.

Mit 14, respektive 18 Punkten Rückstand lauern die beiden Ferrari 458 Italia von AF Corse auf den Meisterschaftsrängen drei und vier. Nach dem enttäuschenden Le-Mans-Rennen ist die Motivation sowohl bei Kamui Kobayashi und Toni Vilander als auch bei Gianmaria Bruni und Giancarlo Fisichella groß. Letztere haben im Vorjahr in Sao Paulo gewonnen und den Titelkampf noch nicht aufgegeben. Zudem profitiert AF Corse von einer Änderung der Balance of Performance, so dass die Ferrari 458 Italia bereits als Favoriten angesehen werden.

Viel Heimvorteil in der GTE Am

Kämpft um die LMP2-Krone: OAK Racing, Foto: Sutton
Kämpft um die LMP2-Krone: OAK Racing, Foto: Sutton

Bei den Amateuren ist die Meisterschaft noch völlig offen. Durch den Le-Mans-Sieg hat das IMSA Performance Team Matmut auf einen Schlag die Tabellenspitze erobert, doch diese müssen Raymond Narac, Christophe Bourret und Porsche-Werksfahrer in spe Jean-Karl Vernay nun verteidigen. Nur einen Punkt beträgt der Vorsprung auf die Corvette von Larbre Competition, die mit Heimvorteil an den Start geht: Lokalmatador Fernando Rees wird bei seinem Heimspiel seine französischen Teamkollegen Patrick Bornhauser und Julien Canal zu Höchstleistungen antreiben.

Gleiches gilt für die Drittplazierten der Meisterschaft: Vicente "Enzo" Potolicchio betrachtet als Venezolaner das Rennen in Interlagos ebenfalls als Heimrennen. Der Pilot von 8 Star Motorsports hat in der vergangenen Saison mit Starworks in der LMP2 gewonnen und will dies nun gemeinsam mit Rui Aguas und Davide Rigon in der GTE Am wiederholen. Als Favoriten gelten aber wiederum die Aston Martin. Nach dem tragischen Verlust von Allan Simonsen wird Nicki Thiim den Platz neben Christoffer Nygaard und Kristian Poulsen einnehmen. Im zweiten V8 Vantage macht Roald Goethe Pause; Jamie Campbell-Walter und Stuart Hall werden die sechs Stunden zu Zweit durchfahren. Immer auf der Rechnung haben muss man zudem den AF-Corse-Ferrari von Gerber/Griffin/Cioci.

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Mit 28 Fahrzeugen ist das Feld zwar wie üblich nach Le Mans geschrumpft, aber noch immer ansehnlich. Am Freitag stehen die ersten Trainingssitzungen auf dem Programm, Samstagabend das Qualifying, das Rennen startet am Sonntag um 17 Uhr deutscher Zeit. Erstmals wird Motorsport-Magazin.com den offiziellen englischsprachigen WEC-Stream zur Verfügung stellen und selbstverständlich einen deutschsprachigen Live-Ticker anbieten.