Der Italiener Max Biaggi war schon immer eine Persönlichkeit mit Ecken und Kanten. Nie nahm der Römer ein Blatt vor den Mund und er scheute auch keine linken Aktionen, wurde auf und hinter Podesten gegenüber anderen Fahrern auch gern mal handgreiflich. In einigen Gegnern hat er seine Meister gefunden, in 2010 zeigte der 39-jährige aber noch einmal auf.

Elf lange Jahre hat es gedauert, ehe Biaggi seinen fünften Weltmeister-Titel einfahren konnte. Zu den vier Triumphen aus der 250ccm-Klasse fügte er in 2010 den der Superbike-Weltmeisterschaft hinzu. Warum der fünfte Titel so lange gedauert hat, das weiß der Römer selbst auch nicht so recht. "Ich habe mir dieselbe Frage gestellt", sagte er der Gazzetta dello Sport. "Vielleicht war es mein Schicksal auf Aprilia zu warten, dieselbe Firma, in der ich vor langer Zeit begonnen habe."

Mit 39 Jahren gehört Biaggi irgendwie schon zu den Opas der Rennsport-Szene. Alle anderen Weltmeister waren dieses Jahr viel jünger - Sebastian Vettel wurde mit 23 Jahren zum jüngsten Formel 1-Weltmeister aller Zeiten, Jorge Lorenzo war auch nicht älter. "Es ist sich für Vettel einfach so ausgegangen. Er ist ein neues Phänomen in der F1, denn das Durchschnittsalter war in den letzten 20 Jahren bei den Champions sehr hoch", kommentierte Biaggi dies.

"Auf der anderen Seite ist Lorenzo die Folge der Taktik der MotoGP", sinnierte der Aprilia-Werkspilot weiter. "Die sind sich sicher, das jüngere Sieger vom Marketing-Standpunkt her gut sind. Lorenzo ist 23, aber er fuhr schon in der Weltmeisterschaft, als er 15 war. Das macht ihn nach seinem eigenen Recht zu einem Veteran."

Von Schumacher hätte sich Biaggi etwas mehr erhofft., Foto: Bridgestone
Von Schumacher hätte sich Biaggi etwas mehr erhofft., Foto: Bridgestone

Biaggi von Schumacher enttäuscht

Biaggi verfolgt als Italiener auch die Formel 1. Besonders schaut er dabei natürlich auf den Ferrari-Rennstall, aber in 2010 auch darauf, was Rekordweltmeister Michael Schumacher zu bieten hatte. "Michael [Schumacher] ist ein Fahrer, für den ich den größten Respekt habe, sein Talent ist unbestritten", lobte er. "Trotzdem habe ich mehr von ihm erwartet."

Biaggi selbst hatte den Helm Ende 2006 schon ein Mal an den Nagel gehangen und kehrte dann ein Jahr später auf der Alstare Suzuki in der Superbike WM in den Rennsport zurück. "Meine Rückkehr war erfolgreich, denn ich verdiente es. Nachdem ich 2006 aufhörte, wäre ich nicht zurückgekommen, wenn ich nicht gedacht hätte, dass ich erfolgreich sein könnte. Ich gewann bei meiner ersten Ausfahrt, dominierte bei meinem Superbike-Debüt 2007 in Katar." Und trotzdem dauerte es vier weitere Saisons, ehe er sich wieder eine Weltmeisterkrone aufsetzen durfte.

Im Motorradsport geht es für Biaggi teilweise grausam zu. Der Italiener beklagt, dass es da einfach keinen Zusammenhalt und kein Füreinander gibt. "Es gab im Motorradrennsport niemals Team-Play, zumindest habe ich keines gesehen. Vielleicht kommt es eines Tages dazu, denn im modernen Motorradrennsport geht man in die Richtung, die F1 zu kopieren, sogar die negativen Aspekte. Aber mit dieser Entscheidung werde ich nie einverstanden sein."

Und bei der Plauderei über die Formel 1 darf natürlich auch nicht fehlen, dass Ferrari und Fernando Alonso den schon fast sicher geglaubten WM-Titel in Abu Dhabi mehr oder minder stümperhaft verspielten. "Sie hatten unglaubliches Pech", so Biaggi. "Sie hätten es verdient gehabt, zu gewinnen, nach dem fantastischen Comeback von Alonso. Rennen sind manchmal grausam, wir müssen das akzeptieren können."

Lob an Lorenzo

Dass sich Biaggi mit seinem italienischen Landsmann Valentino Rossi nie verstanden hat, ist lange kein Geheimnis mehr. Umso mehr dürfte er sich dieses Jahr gefreut haben, dass Jorge Lorenzo Rossi vom Thron gestoßen hat. Für nächstes Jahr hat Biaggi seinen Landsmann gar nicht auf der Rechnung.

"Lorenzo hatte eine ausgezeichnete Saison und hat einen großartigen Job gemacht. Er war richtig fantastisch. Ich bin mir sicher, dass er auch nächstes Jahr derjenige sein wird, den es zu schlagen gilt. Aber passt auf Stoner auf…", lautete die Voraussage Biaggis für die kommende MotoGP-Saison.

TV-Einschaltquoten bei Superbike WM steigern

Durch seinen Titelgewinn in der Superbike WM hofft Biaggi, dass in Italien nun die Einschaltquoten bei den Rennen dieser Serie steigen werden. Dabei lobt er den Job, den der italienische Sender La7 mache, allerdings habe den Italienern in den letzen Jahren einfach ein Idol gefehlt. "In der Vergangenheit war der Sport ein Nachteil, denn noch nie hatte ein italienischer Rennfahrer die Superbike-Meisterschaft gewonnen. Jetzt, wo wir das erreicht haben, gibt es Hoffnung, dass die Einschaltquoten steigen werden."

Italien befindet sich derzeit auf einem Hoch, was die großen Superstars der Zweiradszene angeht. Doch in den kleinen Klassen rückt derzeit nicht viel nach. Das sieht auch Biaggi als Problem, der die ausgezeichnete Jugendförderung aus Spanien lobt. "Das liegt an der Sportpolitik der Verbände. Die Spanier haben die MotoGP dominiert, denn ihr Verband machte und macht einen fantastischen Job. Wir können nicht erwarten, dass Superstars ganz von alleine wachsen. Wir machen in Italien keinen schlechten Job, da wir bereits ein paar davon haben. Ein paar mehr könnten in der Zukunft kommen, aber das braucht Geduld."

Vaterfreuden

Weder Alex Barros noch Leon Haslam haben etwas mit der Namenswahl vom Biaggi-Nachwuchs zu tun., Foto: Honda
Weder Alex Barros noch Leon Haslam haben etwas mit der Namenswahl vom Biaggi-Nachwuchs zu tun., Foto: Honda

Am 16. Dezember wurde Biaggi zum zweiten Mal Vater. Seine erstgeborene Tochter Ines Angelica bekam da ein gesundes Brüderchen, welches auf den Namen Leon Alexandre hört. Die Namenswahl hatte laut dem stolzen Papa aber weder etwas mit seinem Konkurrenten und diesjährigen Vizeweltmeister Leon Haslam, noch mit seinem ehemaligen MotoGP-Kontrahenten Alex Barros zu tun. "Das ist nur ein Zufall. Das sind ziemlich geläufige Namen. Eleonora [Biaggis Frau] und ich mochten beide."

Weltmeister zu werden ist für Biaggi die eine Sache, Vater zu werden die andere. Beides bezeichnet er als etwas ganz Besonderes. Doch wenn dann noch beides zusammen in einem Jahr passiert, dann ist das das höchste der Gefühle. "Es ist der größte Erfolg, den du anstreben kannst", meinte er zur Weltmeisterschaft. "Doch der Titel 2010 war für mich viel besonderer, denn ich wurde zum zweiten Mal Vater. Und Vater zu werden ist auch ein Quell heller Freude."