Was für ein Aufwand: Insgesamt 8.000 Reifen transportiert Michelin mit 20 Sattelaufliegern nach Le Mans. "Für jedes der von uns ausgerüsteten Fahrzeuge rechnen wir mit rund 30 Sätzen Slick-Reifen", rechnet Gérard Bombled, Einsatzleiter des Langstrecken-Engagements von Michelin, vor. Gelagert werden die Reifen in einem neuen, großzügig dimensionierten Zelt mit 800 Quadratmeter Grundfläche, das Michelin in diesem Jahr erstmals in Le Mans einsetzt. 55 Monteure sowie 28 Reifeningenieure und -techniker kümmern sich um die Belange der 26 Partnerteams und stehen als Ansprechpartner zur Verfügung. Hinzu kommen 15 Chemiker, Forscher und Technische Assistenten, die am Rennwochenende ebenfalls vor Ort sind und die gesammelten Daten und Erkenntnisse unmittelbar in die weitere Reifenentwicklung einfließen lassen.

Für alle Bedingungen die optimalen Reifenlösungen

Den Piloten stehen insgesamt vier verschiedene Typen Slicks zur Wahl. Neben den drei regulär während des Rennens eingesetzten ("soft", "medium" und "hard") hält Michelin noch eine ganz spezielle Laufflächenmischung für besonders hohe Asphalttemperaturen bereit, die üblicherweise nur während des ersten Turns zum Einsatz kommt. Das ideale Temperaturfenster eines Slicks liegt zwischen 80 und 100 Grad. Generell gilt: Je wärmer es ist, desto härter sollte die Laufflächenmischung des Reifens sein. Dank der ständigen technischen Weiterentwicklung und der Erfahrung der Michelin Techniker können die Teams heute in der Nacht bis zur vier Turns mit einem Satz Pneus absolvieren. Nur zur Erinnerung: Vier Stints à zwölf oder 13 Runden bedeuten immerhin rund 700 Kilometer oder mehr als drei Stunden Renntempo. Für die Michelin Partner ein unschätzbarer Vorteil: In Le Mans dürfen während der Boxenstopps nicht zeitgleich die Reifen gewechselt und getankt werden. Darüber hinaus ist die Anzahl der Mechaniker und der Pressluftschrauber begrenzt, sodass immer nur zwei Pneus gleichzeitig getauscht werden können - eine Zeit raubende Angelegenheit. Die Teams gewinnen daher wertvolle Sekunden, wenn sie nicht bei jedem Halt vor ihrer Box auch neue Räder aufziehen müssen.

Foto: Sutton
Foto: Sutton

Neben den Trockenreifen stehen zwei verschiedene sogenannte "Intermediates" für Mischbedingungen und ein reiner Regenreifen zur Verfügung. "Bei der Entwicklung dieser Nässe-Spezialisten profitierten wir sehr von unseren seit 2004 gesammelten Erfahrungen in der europäischen und der amerikanischen Le Mans Series, wo wir häufig Regenrennen bestritten haben", so Matthieu Bonardel. Bei Nässe können Regenreifen bis zu fünf oder gar sechs (!) Stints absolvieren, da das auf der Strecke befindliche Wasser eine Kühlfunktion übernimmt und sich die Haltbarkeit der Reifen dadurch deutlich erhöht. Sobald der Kurs jedoch abtrocknet, steigt der Verschleiß rapide an. Die optimale Arbeitstemperatur der Regenreifen, deren Lauffläche übrigens ein Negativprofil-Anteil von mindestens 25 Prozent aufweisen muss, liegt zwischen 40 und 50 Grad.

Qualifying-Reifen offenbaren Potenzial

Für die beiden Qualifikationstrainings am Mittwoch und Donnerstag der kommenden Woche haben die Piloten zudem die Wahl zwischen zwei speziellen Qualifying-Reifen. Dabei handelt es sich um einen besonders weichen Pneu, der eigentlich nur über eine fliegende Runde optimal funktioniert, und einen etwas weicheren, der durchaus auch mehrere Versuche erlaubt. "Das Potenzial eines Qualifying-Satzes optimal zu nutzen, ist eine Kunst", verrät Bonardel. "Selbst erfahrene Piloten sind immer wieder überrascht von der Tatsache, dass sie bis zu 30 Meter später bremsen und Kurven zum Teil 20 km/h schneller durchfahren können. Das Potenzial dieser Pneus baut sich sukzessive auf, bis sie für einen bestimmten Zeitraum geradezu phänomenalen Grip bieten. Anschließend lässt die Leistungsfähigkeit schlagartig nach - so als ob der Fahrer über einen Ölfleck gefahren wäre."

Der weichere der beiden Qualifikationsreifen wurde beim offiziellen Test am vergangenen Sonntag vom Pescarolo-Team gefahren und ermöglichte dabei einen Zeitgewinn von rund drei Sekunden pro Umlauf: "Der Pneu offenbarte zudem Potenzial für mehr als nur eine fliegende Runde", verrät Bonardel. "Jean-Christophe Bouillon zeigte sich von der allgemeinen Performance und den enormen Seitenführungskräften begeistert."