Es sollte das Jahr des Jorge Lorenzo werden. Jetzt wird es vielleicht das Jahr des Andrea Dovizioso. Den WM-Titel wird wohl keiner der beiden Ducatisti holen, aber Desmo-Dovi könnte endlich einen der ganz großen Namen im eigenen Team aus eigener Kraft besiegen. Es wäre der verdiente Lohn für einen, der sich wie kein anderer in den vergangenen viereinhalb Jahren abmühen musste.

Rückblende: Dovi kommt 2013 zu Ducati, wo man gerade die Scherben der Rossi-Ära aufkehrt. Eigentümer Audi hatte soeben erst Bernhard Gobmeier zum neuen Chef der Roten Rennfraktion gemacht und so richtig wusste zu diesem Zeitpunkt eigentlich keiner, wie man Ducati wieder zurück auf die Siegerstraße führen sollte.

In diesem Chaos ging die Saison 2013 komplett in die Hose: Man blieb zum ersten und bislang einzigen Mal ohne Podestplatz und schrieb mit 155 Punkten in der Konstrukteurs-WM den schlechtesten Wert der Geschichte an. Die einzig gute Tat des Jahres in Bologna: Die Verpflichtung Gigi Dall'Ignas unter dem es ab 2014 endlich wieder bergauf ging.

Viereinhalb Jahre harte Arbeit

Mit dabei an vorderster Front: Dovizioso, der bei Ducati mittlerweile eine Institution ist und mitverantwortlich, dass man den Turnaround in den vergangenen Jahren geschafft hat. Dovizioso ist ein Arbeiter, dem Starallüren völlig fremd sind und der stets Klartext spricht. Oft sogar zu klar: wenn er offen über die Schwachpunkte der Desmo aufklärt oder überzogene Erwartungshaltungen der Teamleitung relativiert.

So etwa auch am Sonntag auf der Pressekonferenz nach dem Rennen: "Wir können in einigen Rennen schnell sein, aber unsere Basis ist nicht gut genug für 18 Rennen. Manche Leute nennen meine Einstellung negativ, ich nenne sie realistisch." Daher verwunderte mich bei einem Pressetermin in Jerez auch Dovis klare Antwort auf meine Frage nicht, ob er denn mit derart krassen Anpassungsschwierigkeiten von Lorenzo auf der Ducati gerechnet hätte.

"Klar habe ich damit gerechnet! Immerhin fahre ich das Ding seit vier Jahren und kenne die Grenzen dieses Motorrads", antwortete er mir. Genau das könnte nun zu seinem moralisch vielleicht größten Triumph werden: Der Sieg über Lorenzo.

Das Bild täuscht: Dovizioso ist 2017 alles andere als der Hintermann, Foto: Ducati
Das Bild täuscht: Dovizioso ist 2017 alles andere als der Hintermann, Foto: Ducati

Einige Steine im Weg

Denn Dovizioso musste schon einiges über sich ergehen lassen: 2011 etwa wollte man ihn bei Repsol Honda trotz gültigen Vertrags vor die Tür setzen, weil man Platz für Casey Stoner brauchte. Man konnte einen Verbleib erstreiten, Dovi bekam das dritte Motorrad und bedankte sich mit sieben Podestplätzen und WM-Rang drei.

2013 wiederum kam er als "italienischer Notnagel" für den zu Yamaha abgewanderten Superstar Rossi, harrte bei teils chaotischen Bedingungen innerhalb der Roten Rennfraktion aus und baute an der Seite von Dall'Igna das Team neu auf. Letztlich hat er bei Ducati jeden einzelnen seiner Teamkollegen nach Punkten bezwungen: 140:126 gegen den kürzlich verstorbenen Nicky Hayden 2013, 187:74 gegen einen teils inferioren Cal Crutchlow 2014 und zuletzt 333:300 in zwei Jahren gegen Andrea Iannone.

2017: Desmo-Dovis Jahr?

2017 war Dovizioso als Nummer zwei eingeplant. Lorenzo sollte der neue Platzhirsch werden, der Ducati zurück zum Titel führt. Nach sechs Rennen kann man getrost sagen: Mission klar verfehlt! Desmo-Dovi hat 70 Prozent mehr Punkte auf dem Konto als der dreifache Weltmeister und musste sich seinem vermeintlichen Meister einzig in Jerez unterwerfen: Einer Strecke, auf der Dovi in der MotoGP noch nie besser als Fünfter war und Lorenzo in zehn Jahren achtmal auf dem Podest stand.

Von den letzten zehn Rennen hat Dovizioso zwei gewonnen: Das kann im gesamten MotoGP-Feld sonst nur noch Maverick Vinales von sich behaupten. Und seit Sonntag kann auch niemand mehr behaupten, Dovi könne nur bei schwierigen Wetterbedingungen gewinnen. Die Last, die da von seinen Schultern fiel, konnte man bis nach Mallorca aufprallen hören.