Erstmals seit 2004 sind in dieser Saison sechs große Hersteller in der MotoGP engagiert. Der Kampf um Titel, Siege und Punkte könnte enger als jemals zuvor werden. Motorsport-Magazin.com überprüft, welches Werk mit seinen Fahrern und dem Motorrad die besten Chancen in diesem Wettstreit hat.

Yamaha

Die Fahrer: Umstellungsprobleme ist ein Begriff, der im Wortschatz von Maverick Vinales anscheinend nicht vorkommt. Schon beim Aufstieg in die Moto2 und nur ein Jahr später in die MotoGP, zeigte der Spanier, wie schnell er sich auf einem neuen Motorrad zurechtfinden kann. Nach seinem Wechsel zu Yamaha untermauerte er das einmal mehr. Die Test-Bestzeiten in Valencia, Sepang, Phillip Island und Doha sprechen eine sehr deutliche Sprache. Der Yamaha-Neuling ist absolut startklar für die neue Saison. Vinales fühlt sich auf der Maschine pudelwohl, ist auch mental und körperlich in überragender Form.

Rossi hatte bei den Tests noch Probleme, Foto: Yamaha
Rossi hatte bei den Tests noch Probleme, Foto: Yamaha

Etwas mehr Sorgen macht man sich bei Yamaha aktuell wohl um Valentino Rossi. Natürlich ist der Altmeister nicht bekannt dafür, bei Testfahrten oder in Trainingssessions überragende Leistungen zu zeigen. Rossi war und ist ein Pilot, der an einem Rennsonntag noch einmal mächtig zulegen kann. Hat er sonst aber stets die Ruhe weg, machte er in diesem Winter keinen Hehl daraus, dass er mit der neuem M1 noch nicht wirklich eine Einheit bildet. "Wir haben das Motorrad noch nicht völlig verstanden", stellte er mehrmals fest. Seine großen Schwankungen in den Testergebnissen unterstreichen das.

Das Motorrad: Die Yamaha M1 des Jahres 2017 zählt zweifelsohne wieder zu den besten Motorrädern im Feld, ist aktuell vielleicht sogar das schnellste unter ihnen. In puncto Handling ist man wie gewohnt vorne mit dabei, auch die Probleme aus dem Vorjahr, als man unter zu starker Reifenabnutzung über eine Renndistanz litt, scheint man in den Griff bekommen zu haben. Dazu präsentierte Yamaha als erster Hersteller seine Verkleidung mit innenliegenden Winglets, scheint also auch in diesem Bereich voll im Zeitplan zu liegen.

Endlich Action! Rossi und Vinales in Sepang: (00:43 Min.)

Fazit: Yamaha ist vor der Saison 2017 auf einem sehr guten Weg. Die neue M1 scheint im Vergleich mit ihrer Vorgängerin noch einmal stärker geworden zu sein, dazu hat man mit Maverick Vinales einen mehr als würdigen Nachfolger für den dreimaligen Weltmeister Jorge Lorenzo gefunden. Hat sich auch Valentino Rossi einmal auf dem neuen Bike zurechtgefunden, werden die Herrschaften in Blau nur schwer zu schlagen sein.

Honda

Die Fahrer: Marc Marquez zeigte in diesem Jahr eine für ihn typische Vorbereitung. Der amtierende Champion war meist schnell, legte aber auch zahlreiche Stürze hin. Alleine am letzten Tag in Katar crashte er drei Mal. Dass das allerdings für die Rennen 2017 nichts bedeuten muss, zeigte Marquez im Vorjahr, als er zwar viele Crashes verzeichnete, im Rennen aber meist sitzen blieb. An der Form des Weltmeisters gibt es also wohl nichts auszusetzen, auch seine beim Privattest in Jerez ausgekugelte Schulter sollte beim Saisonstart in Katar keine Probleme mehr machen.

Wie so oft trat Marquez Teamkollege Dani Pedrosa bei den Testfahrten unscheinbar auf. Bei genauerer Betrachtung seiner Ergebnisse wird aber klar, dass der kleine Katalane in der Saisonvorbereitung 2017 so stark wie schon lange nicht mehr unterwegs war. Nach Rang fünf in Sepang schloss er die Tests auf Phillip Island und in Doha jeweils als guter Dritter ab. Auch Marquez warnte bereits vor seinem Stallgefährten. Bleibt Pedrosa Verletzungsfrei, könnte er die große Überraschung des Jahres werden.

Live-Action: Marquez und Pedrosa auf Phillip Island: (00:46 Min.)

Das Motorrad: Die Geschichte wiederholt sich. Honda ist, wie schon in den vergangenen beiden Jahren, mit seinem Motor nicht zufrieden. Eigentlich müsste man sagen: Mit seinen Motoren. Denn den gesamten Winter über testete man zwei Konfigurationen, einen 'Screamer' und einen 'Big Bang' mit ungleichmäßiger Zündreihenfolge. Um die Entscheidungsfindung zu erleichtern, wurde sogar der Privattest in Jerez eingeschoben. Mit der endgültigen Wahl des Motors wartete man bis nach den Testfahrten in Katar, auf welche Variante sie gefallen ist, wurde nicht verraten. Klar ist aber, dass keine der beiden Versionen überragend funktionieren kann, wenn man mit der Entscheidung so lange zuwartet. Auch die von Honda in Katar erstmals verwendete Doppelverkleidung wirkte alles andere als ausgereift, sah eher nach Hinterhofwerkstatt als MotoGP-Hightech aus.

Fazit: An den Piloten liegt es wohl kaum, wenn Honda 2017 in der MotoGP nicht die erste Geige spielt. Sowohl Marquez als auch Pedrosa zählen auch in diesem Jahr zweifelsohne zu den stärksten Fahrern im Feld. Einen Strich durch die Rechnung machen könnte den beiden Spaniern aber ihre RC213V. Natürlich, die Maschine kann in diesem Jahr stark sein. So sicher wie beim Erzrivalen Yamaha, dürfen sich die Honda-Leute da aber bei weitem nicht sein.

Ducati

2017 erstmals in Rot: Jorge Lorenzo, Foto: gp-photo.de
2017 erstmals in Rot: Jorge Lorenzo, Foto: gp-photo.de

Die Fahrer: Neuzugang Jorge Lorenzo brauchte so seine Zeit, ehe er auf der Ducati Desmosedici zurechtkam. Kein Wunder, wechselte er doch von der traditionell sehr gut fahrbaren Yamaha auf die vor allem nach dem Winglet-Verbot wieder deutlich zickigere Ducati. Bei den ersten Wintertests in Sepang hatte Lorenzo an Rang zehn noch ziemlich zu knabbern, mit den Plätzen acht auf Phillip Island und vier in Doha ging es aber ständig bergauf. Der dreifache MotoGP-Weltmeister wird die Umstellung wohl meistern, die Frage ist nur, wie lange er dafür braucht.

Auf der anderen Seite der Garage sitzt mit Andrea Dovizioso ein Mann, den man mittlerweile durchaus als Ducati-Urgestein bezeichnen darf. 2017 wird seine fünfte Saison im Team sein. Mit Ausnahme von Phillip Island war 'Dovi' bei den Wintertests stets vorne mit dabei, verpasste die Gesamtbestzeit in Katar nur um 71 Tausendstelsekunden. Ob Dovizioso in das Konzert der ganz Großen mit Marquez, Rossi und Co. vorstoßen kann, darf aber zumindest bezweifelt werden.

Das Motorrad: An Power mangelt es der traditionell leistungsstarken Ducati auch 2017 ganz sicher nicht. Auf der langen Start-Ziel-Geraden des Losail International Circuit fuhr man der Konkurrenz teilweise im zweistelligen km/h-Bereich davon. Dieser Überschuss an Power erlaubt es Konstrukteur Gigi Dall'Igna natürlich, der Desmosedici mehr Anpressdruck als den anderen Motorrädern zu verpassen. Das radikale neue Design im Hammerhai-Look, das in Katar erstmals gezeigt wurde, ist der zu Carbon gewordene Beweis dafür. Funktioniert dieses Aerodynamik-Konzept wie geplant, könnte die Ducati 2017 zu einer echten Waffe werden.

Lorenzos und Doviziosos neue Arbeitsgeräte: (00:21 Min.)

Fazit: Die Ducati Desmosedici GP17 ist das wohl brutalste Bike im Grid der MotoGP. Power ohne Ende, kombiniert mit der vielleicht unkonventionellsten Verkleidung der Geschichte. Bei den Erfolgen, die Ducati in den letzten Jahren im Bereich der Aerodynamik gefeiert hat, darf man davon ausgehen, dass auch dieses Konzept funktionieren wird. Und dann könnte die GP17 zu einer echten Rakete werden. Die Frage ist aber, ob der doch eher als starker Platzfahrer bekannte Andrea Dovizioso und der noch in der Umstellung befindliche Jorge Lorenzo aktuell das Zeug haben, um das Potenzial der Maschine voll abzurufen.

Suzuki

Die Fahrer: Suzuki hat bei der Wahl seiner Fahrerpaarung für 2017 eine Menge Mut bewiesen. Mit Andrea Iannone hat man einen zweifelsohne schnellen Piloten verpflichtet, der seinem Spitznamen 'The Maniac' allerdings doch sehr oft alle Ehre macht. Lediglich acht Zielankünfte im Vorjahr, bei denen Iannone auf Ducati allerdings einen Sieg und drei weitere Podien feiern durfte, untermauern das eindrucksvoll. Nun soll der Sturzpilot aber die Rolle des Teamleaders einnehmen, schließlich ist sein Stallgefährte mit Alex Rins ein MotoGP-Rookie. Und an solche darf man erfahrungsgemäß keine allzu großen Erwartungen stellen.

Das Motorrad: Die GSX-RR wurde im Winter völlig überarbeitet, ein neuer Motor soll mehr Leistung bringen, das gute Fahrverhalten der letzten Jahre aber beibehalten werden. In Doha, wo eine Menge Power gefragt ist, enttäuschte man mit den Rängen 13 und 15 aber dennoch. Aktuell sieht es so aus, als wäre Suzuki noch nicht auf dem Niveau von Yamaha, Ducati oder Honda.

Blick hinter die Kulissen des Suzuki-MotoGP-Teams: (01:41 Min.)

Fazit: 2017 könnte einen Rückschlag für Suzuki darstellen. Mit Maverick Vinales musste man einen der überragenden Piloten der MotoGP abgeben, weder Andrea Iannone noch Alex Rins haben aktuell das Potenzial ihn vollwertig zu ersetzen. Dazu kommt ein Motorrad, das zwar nicht schlecht, aktuell aber wohl auch nur das viertstärkste im Feld ist. Große Sprünge wird man damit in dieser Saison wohl nicht machen.

Aprilia

Die Fahrer: Im dritten Jahr nach dem MotoGP-Einstieg will man bei Aprilia endlich Spitzenresultate sehen. Das scheint man über einen radikalen Schnitt erreichen zu wollen, trennte man sich doch nach der Saison von beiden Fahrern, also Stefan Bradl und Alvaro Bautista. Mit Aleix Espargaro wurde ein durchaus starker Pilot verpflichtet, der noch dazu aus seinen zwei Jahren als Werksfahrer bei Suzuki sicherlich viel wertvolle Erfahrung mitbringt. Espargaro scheint sich auf der RS-GP auch gut zurechtzufinden, beendete die Tests in Sepang, Phillip Island und Doha auf den Rängen 13, 10 und 12. Nur im hinteren Bereich des Feldes war bei den Tests Rookie Sam Lowes zu finden, der noch dazu seinem Ruf als Sturzpilot alle Ehre machte. Er wird Aprilia zumindest in diesem Jahr sicherlich nicht an die Spitze führen.

Aleix Espargaro und Sam Lowes im Doppel-Interview: (11:45 Min.)

Das Motorrad: 2017 ist die erste Saison, in der Aprilia ein Motorrad nur weiterentwickeln muss, anstatt ein völlig neues Bike zu konstruieren. Den Einstieg 2015 machte man ja mit einer Mischung aus Superbike und MotoGP-Maschine, im Vorjahr kam der erste Prototyp. Mit dem machte man schon Ende 2016 Fortschritte, darauf will man nun aufbauen.

Fazit: Vor allem die positiven Kommentare von Aleix Espargaro über die neue Aprilia lassen vermuten, dass man in Noale durchaus auf dem Weg ist, zumindest den Anschluss an die erfolgreichen Hersteller zu schaffen. Die RS-GP ist 2017 sicherlich besser als je zuvor und mit Espargaro hat man einen gleichermaßen erfahrenen wie schnellen Piloten im Team, der durchaus das eine oder andere starke Resultat einfahren könnte.

KTM

Die Fahrer: Superstars wie Marc Marquez, Valentino Rossi oder Jorge Lorenzo konnte KTM im ersten Jahr des MotoGP-Projekts wenig überraschend nicht an sich binden. Mit Pol Espargaro und Bradley Smith hat man aber eine durchaus ordentliche Fahrerpaarung gefunden, die zu mit dementsprechendem Material durchaus in der Lage ist, um Spitzenergebnisse in der MotoGP mitzufahren. Nach drei beziehungsweise vier Jahren in der Königsklasse verfügen Espargaro und Smith darüber hinaus wohl auch schon über die Erfahrung, um ein Motorrad zu entwickeln.

Das Motorrad: Die KTM RC16 ist aktuell noch eine große Baustelle. Das ist im ersten MotoGP-Jahr aber ganz normal und keineswegs sorgenerregend, erst recht nicht wenn man wie KTM praktisch das gesamte Motorrad selbst baut und dabei noch dazu mit dem Stahlrohrrahmen einen ungewöhnlichen Weg geht. Die Leistung des V4-Triebwerks stimmt jetzt schon und glaubt man den Fahrern, ist man auch in den Bremszonen gut aufgestellt. Lediglich in den Kurven und an deren Ausgang verliert man noch zu viel Zeit. Hier braucht man wohl noch Zeit, um alle Parameter wie Rahmen und Elektronik in Einklang zu bringen.

KTM MotoGP Launch 2017: (04:35 Min.)

Fazit: Allzu viel darf man von KTM im ersten MotoGP-Jahr nicht erwarten. Wie schwer ein Einstieg aktuell ist, hat man bei Suzuki und Aprilia 2015 gesehen. Und damals mussten die Neulinge nur gegen drei etablierte Werke kämpfen, bei KTM sind es nun schon fünf. Das Projekt wird seine Zeit brauchen, Fortschritte im Laufe des Jahres darf man aber auf jeden Fall verlangen.