Viele Stürze, einige Reifenplatzer und unzufriedene Fahrer: In den ersten Monaten unter Michelin-Monopol lief einiges schief. Motorsport-Magazin.com nahm Michelins MotoGP-Boss Nicolas Goubert ins Kreuzverhör.

Monsieur Goubert, ein für Michelin ereignisreiches erstes Saisondrittel liegt hinter uns. Sind Sie mit Ihren Reifen bislang zufrieden?
Nicolas Goubert: Es liegen ereignisreiche Rennen hinter uns, aber wir sind mit unserer aktuellen Position zufrieden. Man darf nicht vergessen, dass wir sieben Jahre aus der Weltmeisterschaft raus waren. Es gab in den ersten Rennen ein Auf und Ab, aber zum Beispiel in Le Mans lief alles schon recht glatt für uns.

Sie hatten also Probleme, wie etwa die vielen Stürze in Argentinien, erwartet?
Nicolas Goubert: Zugegeben: Mit Problemen wie in Argentinien hatten wir natürlich nicht gerechnet. Wir wussten, dass es gerade dort und in Austin sehr schwierig für uns werden würde. Die Art des Problems hat uns aber ein bisschen auf dem falschen Fuß erwischt. Das Positive war aber, wie schnell wir darauf reagieren konnten. Zwischen Argentinien und Austin lag ja nur eine Woche und wir konnten dennoch einen veränderten Reifen bringen. Dass wir so schnell reagieren konnten, wurde im ganzen Fahrerlager sehr positiv aufgenommen.

Da wurden alte Tugenden wieder schlagend. Denn schon in der letzten Ära war Michelin ja dafür bekannt, dass man oft über Nacht in Frankreich noch eine neue Reifenmischung für den Rennsonntag anfertigen konnte.
Nicolas Goubert: Man hat gar keine andere Wahl, als so schnell auf Unerwartetes zu reagieren. Der Rhythmus der MotoGP ist extrem hoch und wir haben Rennen im Zwei- bzw. manchmal sogar Ein-Wochen-Takt. Unter einem Reifenmonopol muss man nicht gar so rasch reagieren können, als wenn es eine Konkurrenzsituation gäbe. Aber in diesem Fall ging es um die Sicherheit der Fahrer, deshalb war unsere Reaktion so schnell.

Nicolas Goubert im Gespräch mit MSM-Redakteur Michael Höller, Foto: Tobias Linke
Nicolas Goubert im Gespräch mit MSM-Redakteur Michael Höller, Foto: Tobias Linke

Die erste Schrecksekunde des Jahres hatte Michelin bereits Anfang Februar, als Loris Baz beim Test in Sepang der Hinterreifen platzte. Welche Gedanken gingen Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?
Nicolas Goubert: Die Unfallursache bei Baz war eine Beschädigung von außen durch irgendein Teil oder einen Stein auf der Strecke. Wir haben in unserem Hauptquartier in Frankreich viel Zeit in die Analyse gesteckt und konnten am Ende beweisen, dass der Grund dieses Platzers nicht der Reifen selbst war.

Es gab danach aber in Argentinien bei Scott Redding und bei einem Test in Jerez bei Yonny Hernandez ähnliche Probleme. Beide fahren wie Baz eine Ducati. Warum macht der Hinterreifen gerade bei diesem Hersteller solche Probleme?
Nicolas Goubert: Das war ein unglücklicher Zufall, denn auch bei Hernandez wurde der Reifen von irgendetwas von außen beschädigt. So etwas kann jedem Hersteller passieren. Das ist nichts, was in irgendeiner Weise mit Ducati zusammenhängt.

Und bei Scott Reddings Reifenplatzer in Argentinien?
Nicolas Goubert: Da müssen wir klar sagen, dass unser Reifen nicht robust genug war. Das Zusammenspiel aus anspruchsvollem Streckenlayout, hoher Temperatur und einem relativ schweren Fahrer hat zu dem Schaden geführt. Wir müssen natürlich Reifen produzieren, die bei allen Piloten halten. Egal, ob derjenige jetzt 1,80 oder 1,50 groß ist, ob sein Fahrstil mit viel Sliding verbunden ist oder nicht oder ob das Motorrad viel Power hat oder wenig. Der Reifen von Redding war in dieser Situation nicht robust genug und das war klar unser Fehler.

Der Vorderreifen steht aber auch sehr in der Kritik. Viele Fahrer beschweren sich, dass die Front ohne Vorwarnung plötzlich wegrutscht. Wie reagiert ihr darauf?
Nicolas Goubert: Wir hatten besonders in Argentinien und Austin ein Problem damit. Das müssen wir zugeben. Wir wussten bereits, dass diese beiden Strecken dem Vorderreifen alles abverlangen und deshalb hatten wir Angst, dass unsere Gummimischung nicht robust genug sein könnte. Letzten Endes waren die Reifen dadurch aber viel zu hart, weshalb es dort so viele Stürze gab. Erschwerend kam noch hinzu, dass es vereinzelt nasse Flecken auf dem Asphalt gab. Das sind Bedingungen, die man einfach nicht vorhersehen und sich dadurch nicht für sie wappnen kann. Wir haben im Vorjahr zwar dort getestet, aber unser Material war damals noch ein ganz anderes und auch die äußeren Bedingungen waren andere. In Argentinien hat uns die fehlende Erfahrung dazu verleitet, zu konservativ zu entscheiden. Aber ich verspreche, dass uns ein derartiger Fehler nicht noch einmal unterlaufen wird.

Das Rennen in Jerez war das langsamste seit 2012. Was waren die Gründe dafür?
Nicolas Goubert: Das war die direkte Konsequenz aus der für Austin veränderten Reifenkonstruktion, die wir wegen dem Redding-Zwischenfall in Argentinien vornehmen mussten. In Austin lief mit diesem neuen Hinterreifen alles glatt und die Rundenzeiten entsprachen in etwa denen aus dem Vorjahr auf Bridgestone. Also brachten wir diesen Reifen auch nach Jerez, wo die Piste aber um einiges rutschiger war. Unterschiedliche äußere Bedingungen führen natürlich auch zu unterschiedlicher Performance der Reifen. In Jerez beklagten sich deshalb plötzlich alle über ein durchdrehendes Hinterrad. Deshalb war das Rennen in Spanien so langsam. Der Reifen hatte einfach zu wenig Bodenhaftung auf dieser Low-Grip-Strecke.

Die neuen Intermediates stoßen im Fahrerlager auf nicht allzu große Freude. Wieso wurde dieser Reifen überhaupt eingeführt?
Nicolas Goubert: Das war eine klare Forderung der Dorna. Die Gründe dafür können wir nachvollziehen: Bei auftrocknender Strecke würde in einem Training niemand rausfahren. Da die Dorna aber auch vermehrt Trainingsübertragungen im Fernsehen forcieren möchte, haben sie uns recht deutlich mitgeteilt, dass sie Intermediates haben wollen.

Der Reifen kostete Dani Pedrosa in Aragon den Kampf um den Sieg, Foto: Offizieller Dani Pedrosa Fanclub/Facebook
Der Reifen kostete Dani Pedrosa in Aragon den Kampf um den Sieg, Foto: Offizieller Dani Pedrosa Fanclub/Facebook

Dennoch setzen die Fahrer sie kaum ein. Im ersten Training in Mugello herrschten zum Beispiel perfekte Intermediate-Bedingungen. Dennoch sagte etwa Marc Marquez, dass er nicht der Erste sein wollte, der diesen Reifen testet und deshalb erst gar nicht raus fuhr. Wieso verschmähen die Fahrer diesen Reifen?
Nicolas Goubert: Die Piloten kennen den Reifen leider noch nicht. Generell ist es sehr schwierig, unter Intermediate-Bedingungen eine MotoGP-Maschine um eine Strecke zu bugsieren. Da lässt sich niemand auf gefährliche Spielchen ein, erst recht nicht, wenn es sich um ein Training handelt. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass wir diesen Reifen in den kurzen Qualifyings unter den entsprechenden Bedingungen noch sehen werden. Das Problem in Rennen mit schlechter Wetterprognose ist hingegen, dass man ja nur zwei Motorräder zur Verfügung hat und im Regelfall eines mit Trocken- und das andere mit Regen-Setup. Auf welches sollte man also den Intermediate aufziehen?

Bei der Forderung nach Intermediates hat die Dorna die Rechnung wohl ohne den Wirt gemacht - in diesem Fall also die Fahrer. Wie wichtig ist das Feedback der Fahrer bei der Weiterentwicklung der Reifen? Ist das persönliche Feedback wichtiger oder die reinen Daten, die Michelin ohnehin selbst sammelt?
Nicolas Goubert: Für uns ist das Feedback der Fahrer definitiv wichtiger. Beim Motorradfahren hat das subjektive Empfinden eines jeden Einzelnen sofort Einfluss auf die Rundenzeit. Wenn sich ein Fahrer auf seinem Bike nicht sicher fühlt, kann er auch nicht schnell sein. Wir nehmen uns die Rückmeldungen aller Fahrer daher sehr zu Herzen, müssen aber in einem zweiten Schritt natürlich in den Daten nachschauen, ob wir erkennen können, was der Fahrer gemeint hat. Für uns hängt die Entwicklung der Reifen von einem Zusammenspiel der Faktoren Profil, Innenkonstruktion und Gummibelag ab. Das müssen wir unter einen Hut bekommen und das geht am Ende ohnehin nur mit einem Kompromiss aus allen drei Faktoren.

Welche Headline würden Sie gerne am Ende der Saison über Michelin lesen?
Nicolas Goubert: Michelin 2016 - ein geglücktes Comeback!

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