Wie hoch sind Maverick Vinales' Bestzeiten einzuschätzen?

Einfache Antwort: Sehr hoch! Wenn ein Fahrer, der in der MotoGP mit Suzukis GSX-RR zuvor erst ein Motorrad gefahren ist nach seinem Wechsel auf eine andere Maschine direkt beide Testtage anführt, ist das eine Leistung, vor der man nur den Hut ziehen kann. Ein Blick in die Gesichter von Jorge Lorenzo und Casey Stoner, die sich in der Ducati-Box gerade unterhielten, als Vinales am Mittwoch in 1:29.975 Minuten die Testbestzeit auf den valencianischen Asphalt knallte, sagte alles.

Vinales war mit seiner Bestzeit am Mittwoch bereits um mehr als drei Zehntelsekunden schneller als mit seiner Suzuki im samstäglichen Qualifying, als er auf Startplatz vier fuhr. Zum Vergleich: Die vor ihm qualifizierten Lorenzo, Marquez und Rossi waren in den Tests um rund 1,3 Sekunden, 0,4 Sekunden und 0,6 Sekunden langsamer als in Q2.

Ein Fakt relativiert Vinales Leistung etwas. Er fuhr beide Testtage auf der Yamaha M1 des 2016er-Jahrgangs, war somit also immer auf einem vollkommen ausgereiften Motorrad unterwegs. Marquez, Lorenzo oder Rossi experimentierten hingegen mit den 2017er-Prototypen. Die werden im Normalfall zwar früher oder später schneller sein als ihre Vorgänger, dass die neuen Maschinen zu Beginn noch hinterherhinken, ist aber alles andere als ungewöhnlich. Außerdem verzichteten etwa die Honda-Piloten am Ende des Tages auf eine Attacke mit neuen Reifen, da nach der längeren Unterbrechung wegen Stürzen von Iannone und Rins die Zeit dazu fehlte.

Funktioniert das Package Lorenzo und Ducati?

Dass Jorge Lorenzo einer der besten Fahrer der MotoGP und die Ducati mittlerweile eines ihrer schnellsten Motorräder ist, steht außer Zweifel. Vor Lorenzos Debüt als Ducatisto gab es aber durchaus Zweifel, ob der dreifache MotoGP-Champion seinen blitzsauberen Fahrstil aus Yamaha-Tagen auch auf der GP17 umsetzen können wird. Nach den ersten Testkilometern sieht es so aus, als wären diese Zweifel unbegründet. 0,769 Sekunden Rückstand und P8 zum Abschluss sind kein Grund zur Panik.

Jorge Lorenzo musste die Ducati aufgrund des laufenden Yamaha-Vertrags in schwarz testen, Foto: Tobias Linke
Jorge Lorenzo musste die Ducati aufgrund des laufenden Yamaha-Vertrags in schwarz testen, Foto: Tobias Linke

Ducati-Technikguru Gigi Dall'Igna hatte am Montag erklärt, dass definitiv Anpassungen von Seiten des Herstellers und auch des Piloten nötig sein werden. Eine zweifellos richtige Einschätzung, das Ausmaß der Anpassungen könnte aber vielleicht geringer als erwartet sein. Auch aus nächster Nähe an der Strecke betrachtet wirkte Lorenzo auf der Ducati in Valencia bereits sehr sicher und souverän, seine Körpersprache in der Box und im Fahrerlager unterstreichen diesen Eindruck.

Wo steht KTM im Vergleich mit den Neueinsteigern der letzten Jahre?

Am Dienstag und Mittwoch saßen erstmals die KTM-Werkspiloten 2017, Pol Espargaro und Bradley Smith, auf der RC16. Sie beendeten die Tests auf den Rängen 17 und 20 von 25 Teilnehmern und verloren dabei im Fall von Pol Espargaro 1,878 beziehungsweise im Fall des nach wie vor nicht völlig fitten Bradley Smith 2,563 Sekunden. Somit rangiert man im Vergleich mit den ersten Resultaten der 2014 eingestiegenen Werke Suzuki und Aprilia aktuell eher auf einem Level mit den Italienern.

Suzuki beendete den dritten Testtag - damals wurde noch von Montag bis Mittwoch gefahren, wobei es am Dienstag aber regnete und die Teams somit im Wesentlichen auch nur auf zwei Testtage kamen - mit Aleix Espargaro auf Platz zehn. Rückstand: 1,000 Sekunden. Rookie Maverick Vinales wurde damals mit 2,243 Sekunden Rückstand 18. Aprilia schnitt mit dem Superbike-MotoGP-Hybrid damals insgesamt schlechter ab. 1.837 Sekunden Verspätung bedeuteten für Alvaro Bautista damals P16, Marco Melandri landete mehr als drei Sekunden zurück auf dem letzten Rang.

KTM scheint auf dem richtigen Weg zu sein, Foto: Tobias Linke
KTM scheint auf dem richtigen Weg zu sein, Foto: Tobias Linke

Für Aprilia ging es in der Folge aber eher nach hinten als nach vorne. Eine Entwicklung, die bei KTM nicht zu erwarten ist. Fakt ist auch, dass die Österreicher mit ihrem Stahlrohrrahmen und Dämpfern von WP einen momentan einzigartigen und damit zu Beginn sicherlich schwierigeren Weg gehen, was zumindest einen Teil des Rückstands rechtfertigt. Hinzu kommt, dass die MotoGP etwa für Suzuki ja nicht völliges Neuland war. Nur drei Saisons hatte man vor dem Comeback 2015 pausiert. In Anbetracht dieser Tatsachen und vor allem dem Fakt, dass die RC16 mit Ausnahme des kaputten Sensors im Rennen am Sonntag fünf Tage defektfrei funktionierte, war KTMs Debüt zwar nicht überragend, aber doch gut.

Was ist Jonas' Folger erster Platz unter den Rookies wert?

Eine Menge. Folgers MotoGP-Debüt war ein voller Erfolg. Platz zehn mit nur 0,973 Sekunden Rückstand, dazu zweitbester Satellitenfahrer hinter Cal Crutchlow. Teamkollege und Moto2-Weltmeister Johann Zarco ließ er knapp aber doch um 0,067 Sekunden hinter sich und beendete die zwei Testtage sturzfrei. Davon konnte bei Sam Lowes und Alex Rins keine Rede sein. Sie verletzten sich bereits in Valencia bei Crashes und konnten an Tag zwei nicht mehr wirklich ins Geschehen eingreifen, waren aber auch bis dahin weit hinter Folger zurück.

Umso beeindruckender wird Folgers Leistung, wenn man bedenkt, dass Zarco und vor allem Lowes ja bereits vor Valencia Erfahrungen auf einem MotoGP-Bike sammeln konnten. Zarco testete für Suzuki die GSX-RR, Lowes mehrmals Aprilias RS-GP, die er ja auch 2017 fahren wird. Für Folger war es hingegen der allererste Kontakt mit einer MotoGP-Maschine. Sein Fahrstil und auch Körpergröße und Gewicht scheinen zum größeren und schwereren Motorrad aber sehr gut zu passen.