Die MotoGP-Saison 2016 ist die wohl ausgeglichenste seit Einführung der Serie im Jahr 2002. Das beweisen Siege von drei Herstellern, fünf Teams und sechs Fahrern in den ersten elf Rennen. Und das beweist auch die Tatsache, dass mindestens eine Hand voll Fahrer am Sonntag in Silverstone um den Sieg kämpfen können, obwohl das Rennen aller Voraussicht nach gar nicht bei nassen Bedingungen über die Bühne gehen wird. Wer auf trockener Strecke dennoch marginal die Nase vorne hat, zeigt unser Favoritencheck.

Marc Marquez: Der WM-Leader darf sich bei einem Trockenrennen in Silverstone wohl mit der Favoritenrolle anfreunden. Denn in den Longruns von FP2 und FP3 war niemand über mehrere Runden so schnell wie Marquez. Seine Zeiten pendelten praktisch durchgehend zwischen hohen 2:00 und niedrigen 2:02 - ein Bereich, in den die Konkurrenz nur vereinzelt vordringen konnte. Startplatz fünf ist für Marquez zwar nicht unbedingt ideal, für einen Mann seiner Klasse und mit seiner Stärke im Zweikampf aber auch kein großes Drama. "Ich glaube, wir können um den Sieg kämpfen", gab er selbst am Samstagabend zu Protokoll. Und in der Tat: Wenn Marquez die Startphase gut übersteht, führt der Weg zum Sieg wohl über ihn.

Maverick Vinales: Schon sechs Saisonsieger, doch das Wunderkind muss weiterhin auf seinen ersten MotoGP-Triumph warten. Die Chancen auf Platz eins waren für Vinales aber wohl noch nie so groß wie an diesem Wochenende in Silverstone. Denn ausnahmsweise könnten die Wetterbedingungen ihm und Suzuki am Sonntag einmal in die Hände spielen. In den Trainings war Vinales 2016 ja schon oft stark, die Rennen gingen meist aber entweder bei großer Hitze oder Regen über die Bühne. Die Suzuki GSX-RR braucht jedoch kühle, trockene Verhältnisse. Und genau diese soll es am Sonntag bei etwa 19 Grad Außentemperatur geben. Vinales war in FP3 bei ähnlichen Verhältnissen fast so schnell wie Marquez, der Sieg ist also von Startplatz zwei aus greifbar. "In der Theorie sieht es schon so aus, als hätten wir eine Chance auf den Sieg. Das Bike funktioniert und ich habe viel Vertrauen, was hier sehr wichtig ist. Wir sind bereit, und wenn sich die Chance bietet, werden wir sie auch nutzen", meinte ein entschlossener Vinales am Samstag. Sein Vorteil gegenüber Marquez: Er kämpft nicht um die Weltmeisterschaft.

Vinales wittert in Silverstone seine Chance, Foto: Suzuki
Vinales wittert in Silverstone seine Chance, Foto: Suzuki

Andrea Iannone: Dritter Favorit, drittes Motorrad. In den Trockentrainings war Andrea Iannone zusammen mit Marquez und Vinales einer der schnellsten Fahrer im Feld. Im nassen Qualifying kam er nur auf Startplatz acht, doch für ihn gilt wie für Marquez, dass so etwas mit einer Aufholjagd schnell korrigiert werden kann. Iannone legte im Longrun nicht ganz die Konstanz von Marquez an den Tag, ist aber was den reinen Speed betrifft auf Augenhöhe mit dem WM-Leader. Die langen Geraden von Silverstone spielen dem Ducatisto, der sich in Silverstone nie wohlgefühlt hatte, in die Hände. "Diese Strecke war für mich immer schwer, aber jetzt fühle ich mich hier super wohl. Das ist ein magischer Moment für mich", zeigte sich Iannone selbst erstaunt. Für das Rennen ist er daher optimistisch: "Unsere Pace ist gut und konstant. Wir haben sicherlich eine Chance auf den Sieg." Dass er das Zeug dazu hat, wissen wir ja spätestens seit dem Österreich-Grand-Prix.

Yamaha: Als Favoriten in das Wochenende gegangen, straucheln die Yamaha-Piloten auf trockener Fahrbahn mächtig. Weder Valentino Rossi noch der dreifache Silverstone-Sieger Jorge Lorenzo fühlen sich wirklich wohl, beide sind sicher, noch nicht das ideale Setup gefunden zu haben. Während Lorenzo vor allem die Bodenwellen auf der Strecke zu schaffen machen, fehlt es Rossi an Grip auf beiden Reifen. Rossi selbst stapelte tief: "Wenn es am Sonntag trocken ist, werden wir unter den aktuellen Umständen nicht sehr schnell sein." 'The Doctor' plant daher eine radikale Setupänderung im Qualifying und will damit die Wende noch schaffen. Etwas, dass er auch seinem Teamkollegen zutraut. "Sowohl Jorge als auch ich können noch konkurrenzfähig werden", ist Rossi überzeugt. Vor allem im Fall von Rossi sicherlich richtig, für ganz vorne wird es aber wohl schon einem kleinen Motorradwunder bedürfen.

Rossi mangelt es noch an Grip, Foto: Yamaha
Rossi mangelt es noch an Grip, Foto: Yamaha

Cal Crutchlow und Dani Pedrosa: Marc Marquez ist in der Startaufstellung nur drittbester Honda-Pilot, die auf den Rängen eins und vier stehenden Crutchlow und Pedrosa sind aber dennoch deutlich schwächer einzustufen. In Trockenrennen konnten beide Fahrer 2016 noch nicht überzeugen und daran wird sich wohl auch in Silverstone nicht allzu viel ändern. Während ein Blick auf Crutchlows Longrun-Performance zumindest noch ein Spitzenresultat erhoffen lässt, wird sich Pedrosa wohl wieder einmal mit einem bestenfalls durchschnittlichen Ergebnis zufrieden geben müssen.

Die Tipps der Redaktion

Andrea Blendl: Wie schön wäre es, wenn Cal Crutchlow auf heimischem Terrain einen Sieg einfahren könnte. Doch die MotoGP ist ein hartes Geschäft, und ich glaube nicht, dass der Wettergott morgen wieder ein Einsehen mit den britischen Fans haben wird. Ich denke, die Strecke bleibt zum Rennen trocken, und damit ändert sich das Kräfteverhältnis wieder zugunsten Ducati und Suzuki. Altmeister Rossi aber findet im Warm-Up noch ein Quäntchen und kann seine gute Startposition in einen Sieg verwandeln, den er gegen Vinales verteidigt. Auf Platz drei prescht Iannone, der das Feld von hinten aufrollt.

Andreas Top-3-Tipp: 1. Rossi, 2. Vinales, 3. Iannone

Tobias Ebner: Ich weiß es nicht wieso, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Sieger morgen Marc Marquez heißen wird - und zwar unter allen Bedingungen. Der Spanier hat meines Erachtens an diesem Wochenende einfach Speed und Konstanz am besten in sich vereint. Ebenso sehe ich Maverick Vinales auf dem Podium, er und seine Suzuki präsentieren sich in Silverstone in Top-Form. Der letzte Platz auf dem Siegertreppchen geht an einen Yamaha-Piloten. Vinales, Rossi und Lorenzo kämpfen bis zum Schluss um Platz zwei.

Tobias' Top-3-Tipp: 1. Marquez, 2. Vinales, 3. Rossi

Die Redaktion ist sich uneinig: Rossi, Marquez, Vinales? Oder gar Crutchlow?, Foto: Repsol Media
Die Redaktion ist sich uneinig: Rossi, Marquez, Vinales? Oder gar Crutchlow?, Foto: Repsol Media

Sophie Riga: Ich prophezeie den zweiten Crutchlow-Sieg in Folge. Wunschdenken? Vielleicht ein bisschen, aber im Qualifying hat der Lokalmatador gezeigt, wie stark er in Silverstone ist. In Kombination mit dem Glückshormon-Schub von erstem GP-Sieg, Heimrennen und neugeborener Tochter geht bestimmt einiges. Fuchs Rossi kann sich unter jeglichen Bedingungen auf Rang zwei halten, Marc Marquez kämpft sicher weiter nach vorn und wird Dritter.

Sophies Top-3-Tipp: 1. Crutchlow, 2. Rossi, 3. Marquez

Markus Zörweg: In Silverstone darf zum siebten Mal in diesem Jahr ein Fahrer über seinen ersten Saisonsieg jubeln. In diesem Fall wird es sogar wie zuletzt bei Miller, Iannone und Crutchlow der erste MotoGP-Erfolg sein. Maverick Vinales nützt die für ihn idealen Bedingungen perfekt aus und fährt ohne den Druck eines Titelkampfes den Sieg ein. Marc Marquez sammelt als Zweiter wichtige Punkte für die Weltmeisterschaft, Valentino Rossi kann mit Rang drei nur Schadensbegrenzung betreiben.

Markus' Top-3-Tipp: 1. Vinales, 2. Marquez, 3. Rossi