Marc, du wirkst 2016 als wärst du ein komplett anderer Marc Marquez. Hat sich etwas an deiner grundsätzlichen Einstellung geändert? Oder sorgen die veränderten äußeren Umstände wie Einheitselektronik und Michelin-Reifen dafür, dass du vorsichtiger zu Werke gehst?

Marc Marquez: Ich nehme noch immer in allen Rennen sehr viel Risiko und fahre permanent am Limit. Aber meine generelle Einstellung hat sich geändert in Situationen, in denen ich Probleme bekomme. Bis vergangenes Jahr habe ich bedingungslos gepusht. Wenn ich mich jetzt nicht perfekt wohl fühle auf dem Motorrad, dann gehe ich nur bis ans Limit und nicht darüber hinaus. Ich konzentriere mich dann nur auf mich selbst und blende die anderen Fahrer aus. Das hat sich im Vergleich zum Vorjahr geändert. Letzten Endes nehme ich aber noch genug Risiko und 2016 können Fehler sehr leicht passieren. Vor allem wegen unseren Problemen mit Elektronik und Reifen gehe ich die Rennen in dieser Saison ein wenig anders an.

Honda hatte im Winter massive Probleme. Bislang hattest du in deiner Karriere aber stets ein Top-Motorrad. Wie schwierig fällt dir die Arbeit in dieser Saison?

Marc Marquez: Ich bin in dieser Saison zumindest konzentrierter und versuche all die neuen Herausforderungen zu meistern. Wir haben Probleme und das hat sich schon bei den Wintertests herauskristallisiert. Seit Saisonstart konnten wir uns ein wenig näher an die Spitze kämpfen. Aktuell ist unsere Leistung sehr abhängig von der jeweiligen Streckencharakteristik. Jetzt sind wir in der Lage, aus eigener Kraft um die WM zu kämpfen. Das hat in den ersten drei bis vier Rennen noch nicht so ausgesehen.

Wenn dir jemand vor Saisonstart gesagt hätte, dass du zur Sommerpause umgerechnet fast zwei Siege Vorsprung auf den ersten Verfolger hast: Hättest du das geglaubt?

Marc Marquez: (lacht) Nein! Das hätte ich nie und nimmer geglaubt. Nach den Wintertests war mein Ziel, dass ich zu Saisonhalbzeit noch halbwegs im Rennen um den Titel bin.

Bei deinen ersten beiden WM-Titeln hattest du jeweils das klar beste Motorrad unter dir. Das ist in dieser Saison nicht der Fall. Würde dir ein WM-Titel 2016 deshalb mehr bedeuten?

Marc Marquez: 2014 hatte ich klar das beste Bike, deshalb konnte ich auch zehn Rennen in Serie und die WM gewinnen. 2015 hatten wir schon Probleme und in dieser Saison wurde es noch schlimmer. Ich habe deshalb meine Herangehensweise ein wenig geändert und es wurde in den letzten Rennen sukzessive besser. Ich bin stolz, dass uns dieser Schritt gelungen ist.

Unter diesen Voraussetzungen: Hast du weniger Erfolgsdruck verspürt als in den Jahren zuvor?

Marc Marquez: Nein. In dieser Saison habe ich sogar mehr Druck verspürt als im Vorjahr - gerade weil die Wintertests so schlecht verliefen. Ich erlege mir ohnehin immer selbst den größten Erfolgsdruck auf und vor Saisonstart war ich echt nervös.

Du kommst mit den Michelin-Reifen anscheinend besser zurecht als deine Rivalen. Was machst du besser als die anderen Fahrer?

Marc Marquez: Bei den Wintertests bin ich öfter gestürzt als alle anderen Fahrer. Da musste ich erst ausprobieren, wo das Limit der Reifen ist. (lacht) Mit dem Bridgestone konntest du über die Front viel härter pushen. Jetzt ist es mit Michelin genau umgekehrt und du musst viel über das Heck machen. Alle Fahrer haben ihre Stärken und Schwächen. Valentino zum Beispiel ist sehr gut im Managen der gebrauchten Reifen. Wir versuchen einfach aus jedem Crash zu lernen um das künftig zu verhindern.

In welchen Bereichen musstest du deinen Fahrstil durch die neuen Reifen am meisten umstellen?

Marc Marquez: Bis zum vergangenen Jahr war meine größte Stärke das späte Bremsen an den Kurveneingängen. Ich konnte mit hoher Geschwindigkeit und großem Druck auf der Vorderradbremse und einem rutschenden Heck in die Kurven gehen. Ich wollte diesen Stil auf Michelin erhalten, aber nach unzähligen Crashes im Winter musste ich etwas ändern.

Motorsport-Magazin.com traf Marquez am Red Bull Ring zum Interview, Foto: Tobias Linke
Motorsport-Magazin.com traf Marquez am Red Bull Ring zum Interview, Foto: Tobias Linke

Musstest du deinen Fahrstil von einer Saison auf die andere schon je so massiv umstellen?

Marc Marquez: Der Umstieg von Moto2 auf MotoGP fiel mir damals leicht. Der Wechsel von 125cc auf Moto2 hingegen war ähnlich hart wie die aktuelle Umstellung. Mit den Jahren bekommst du aber die nötige Erfahrung und weißt, was du tun musst. Daher würde ich sagen, dass der Wechsel zwischen 125er und Moto2 härter war.

Sollte es zu einem neuerlichen Titel-Showdown zwischen dir, Jorge Lorenzo und Valentino Rossi kommen: Hast du Angst vor einer neuerlich vergifteten Atmosphäre wie im Saisonfinale des Vorjahres?

Marc Marquez: Wenn wir alle drei in den letzten Rennen noch im Titelkampf sein, wird die Atmosphäre nicht allzu toll sein. Jeder wird in seiner Box sein eigenes Ding durchziehen und sich konzentrieren. Das ist normal. Es macht aber überhaupt keinen Unterschied, gegen wen du am Ende konkret kämpfst. Und nach Saisonende sollte wieder alles gut sein.

Nach den Geschehnissen im Saisonfinale 2015: Passt du jetzt mehr auf deine Äußerungen in den Medien auf?

Marc Marquez: Nein. Ich bleibe der gleiche Marc und werde mich nicht ändern. Jeder hat ein Recht auf seine Meinung über mich, aber man darf sich dadurch als Fahrer nicht von seinem Weg abbringen lassen.

Wirst du aufgrund deines großen WM-Vorsprungs an deiner Herangehensweise an die Rennen in der zweiten Saisonhälfte etwas ändern?

Marc Marquez: Der Schlüssel für die zweite Saisonhälfte ist, die Mentalität der ersten neun Rennen beizubehalten. Neun Rennen sind eine Menge und da kann noch alles passieren. Das Schöne am Motorradsport ist ja, dass ein 50-Punkte-Vorsprung in der WM binnen zwei Rennen durch Stürze weg sein kann. Ich werde alles so machen wie in der ersten Saisonhälfte. An das Verwalten meines Vorsprungs werde ich frühestens drei oder vier Rennen vor Schluss denken.