Assen war ja schon immer für spezielle Rennen und Überraschungen gut. Bei der allerersten Sonntagsausgabe auch. Drei Sieger, drei Premieren - großartig! Weil nicht unbedingt zu erwarten. Denn Jack Miller ist nicht die einzige Überraschung gewesen. Das Überraschendste am Moto3-Sieger Francesco Bagnaia ist das Bike, mit welchem er zu seinem ersten Sieg fuhr. Ungeheuer mutig hatte sich der 19-Jährige schon die ganze Saison über gezeigt. Das muss ein Fahrer der Moto3 2016 nämlich sein, wenn er das Pech hat, mit einer Mahindra gegen KTMs und Hondas kämpfen zu müssen. Und das muss der Mann, der von allen nur Pecco genannt wird. Vor Assen war er 2016 schon dreimal aufs Podest gefahren. Alle Experten staunten jeweils nicht schlecht, weil es mit seinem unterlegenen Bike eigentlich nicht möglich ist, bei den Werksbikes aus Österreich oder Japan mitzumischen. Alle anderen Mahindras schaffen so etwas noch nicht mal im Ansatz. Also muss bei der Startnummer 21 irgendetwas anders sein. Am Sonntag war es der unbedingte Wille von Pecco, endlich sein erstes Rennen zu gewinnen.

Bagnaia wurde zu Mahindra abgeschoben

Seit 2013 in der Weltmeisterschaft dabei, hat er schon häufiger sein Können aufblitzen lassen. Und fast immer seinen unbändigen Wunsch ganz nach vorne zu kommen. Weshalb er schließlich auch zu einem der Fahrer der VR46-Academy wurde. Vale liebt kämpferische und charakterstarke Typen. Trotzdem hat es für Bagnaia nicht zu einem Platz im offiziellen VR46-Team, mit den seiner Mahindra klar überlegenen KTM-Mopeds, gereicht. Er wurde bei Jorge Martinez' Team geparkt. Und sein Parforceritt am Sonntag dürfte eine Antwort gewesen sein. Und ein Aufschrei: "Seht her was ich kann!" Diese Mission ist mit Bravour gemeistert worden. Schon jetzt dürften etliche Moto3-Topfahrer froh sein, dass der junge Mann aus Turin in diesem Jahr Mahindra fährt. Wie er sich in der Doppellinks-Passage vor der letzten Schikane immer innen rein und in Führung gepresst hat - bemerkenswert. Und wie er dann auf den letzten Zentimetern, auf den Curbs der berühmten Schikane den Sieg vorbereitete - sagenhaft. Und gleichzeitig ein Signal, dass da definitiv ein Fahrer unbändig an sich glaubt. Trotz des unterlegenen Arbeitsgerätes. Ein Sieg, der nur mit einem ausgeprägten Charakter möglich ist.

Bagnaia holte sich den Sieg auf den letzten Metern, Foto: Milagro
Bagnaia holte sich den Sieg auf den letzten Metern, Foto: Milagro

Ähnlich die Situation in der Moto2. Takaaki Nakagami fuhr nämlich bereits seinen 111. Grand Prix. Sieben Mal hatte er es zuvor auf das Podest geschafft, aber nie gewonnen. Und nicht nur bei Honda, die in Person seines Teamchefs Taddy Okada hinter Nakagami stehen, drohte man schon zu verzweifeln. Denn eigentlich war immer wieder mal der Moto2-Titel das Ziel dieser japanischen Mission. Mit dem Fernziel, Nakagami zu einem MotoGP-Fahrer zu machen. Davon schien der aber weit entfernt. Nach seinem Debüt in der Motorrad-WM 2011 gab es zwar ein paar Highlights, aber immer wieder auch unerklärliche Einbrüche in Nakagamis Leistungskurve. Was konkret bedeutet, dass der Kalex-Fahrer vor Assen unter Druck stand. Aber genauso, wie er mit seinem - für einen jungen Japaner - Auftreten und blitzsauberen Englisch beeindruckt, gelang es ihm im Rennen von Assen, das Pendel wieder in seine Richtung ausschlagen zu lassen. Nakagami zeigte eine erstaunliche Charakterstärke, als er bei schwierigsten Bedingungen zum richtigen Zeitpunkt die Führung übernahm. Man muss mental schon sehr stark sein, um keinen geringeren als den amtierenden Weltmeister Johann Zarco hinter sich zu haben, aber trotzdem ganz cool seinen ersten Sieg zu holen. Was auch Zeit wurde. Aber Nakagami hat es geschafft. Mit Willensstärke und Charakter. Und auch wenn er gefühlt schon eine Ewigkeit dabei ist: Er ist erst 24. Und jetzt auf Platz fünf in der WM-Tabelle.

Nakagami gab in Assen alles für seinen ersten GP-Sieg, Foto: Milagro
Nakagami gab in Assen alles für seinen ersten GP-Sieg, Foto: Milagro

Miller zeigt es den Kritikern

Zwei tolle Siege von zwei tollen Typen also in Moto3 und Moto2. Dem ganzen wurde aber dann in der Königsklasse die Krone aufgesetzt. Von vielen war Jack Miller nämlich vorher schon als gescheitertes Honda-Experiment bezeichnet worden. Nicht nur Valentino Rossi hatte Kritik geübt, als Honda 'Jackass' als ersten Fahrer seit einst Garry McCoy von der kleinsten in die größte Klasse transferierte. Seitdem hatte es viele Stürze und viele defekte Motorräder gegeben. Der Einzige, den diese Tatsache nicht zu nervös machte, schien Jack Miller persönlich zu sein. Miller war wie immer. Für jeden Blödsinn zu haben, immer ein freundliches Wort auf den Lippen, immer bereit den Fans für Selfies oder Autogramme zur Verfügung zu stehen. Am Sachsenring 2011 hatte der junge Mann aus Down Under sein WM-Debüt gegeben. Und einen Großteil seiner Karriere mit unterlegenem Material zu kämpfen. Was ihn aber nie daran hinderte, permanent gute Laune zu verbreiten. Auch weit weg von Zuhause, strahlte er immer eine unglaubliche Zuversicht aus. Obwohl es sicherlich nicht einfach ist, wenn man sich mitten in der Pubertät in einem deutschen Meisterschaftslauf am Schleizer Dreieck wieder findet. Oder 15.000 Kilometer von Eltern und Freunden entfernt ein Jahr in Chemnitz wohnt. Jack Miller ist seinen Weg gegangen. Immer. Und zwar ganz egal, was andere so von sich gaben.

Assen war erst sein 25. MotoGP-Rennen. Einige Male hatte sein Können aufgeblitzt. Wie letztes Jahr in Silverstone, als es ebenfalls nass war und er seinen damaligen Teamchef Lucio Cecchinello mit einer sagenhaften Fahrt Richtung Podest verzückte. Die aber leider wenige Minuten später zu einer ausgemachten Depression bei Cecchinello führte, da der gute Jack seinen Teamkollegen Cal Crutchlow und sich selbst ins Aus beförderte. Man muss schon ein besonderes Kaliber sein, wenn man das alles wegstecken kann. Und immer noch an sich glaubt. Denn die Statistik notierte lediglich einen Platz zehn für Miller aus. Viele fingen schon an, ihn wieder aus der MotoGP raus zu schreiben. Und was macht Jackass? Er hat geantwortet. Und zwar auf seine Art. Mit dem ersten Sieg eines Kundenbikes in der MotoGP seit zehn Jahren. Zum ersten Mal seit Casey Stoner wurde die australische Hymne gespielt. Sensationell.

Miller ließ Marquez in Assen stehen, Foto: Estrella Galicia 0.0 Marc VDS
Miller ließ Marquez in Assen stehen, Foto: Estrella Galicia 0.0 Marc VDS

Und der Bursche ist ja auch erst 21 Jahre alt. Beim Promoter des Phillip-Island-Grand-Prix' dürften die Champagner-Korken geknallt haben. Aber auch bei Honda. Und bei Marc van der Straten, seinem Boss bei Marc VDS, sowieso. Und ich glaube nicht, dass es im Fahrerlager auch nur einen Menschen gibt, der diesem Typen den Sieg nicht gegönnt hat. Und auch wenn es gewagt ist: Ich behaupte, dass Assen nicht der einzige MotoGP-Sieg von Jack Miller bleiben wird. Denn Jack hat etwas, was nicht antrainiert werden kann. Jackass hat Charakter. Und Spaß an seiner Arbeit. Und er lebt seinen Traum. Jeden Tag. Selbst nach einem im Training zugezogenen Schien- und Wadenbeinbruch vor der Saison 2016. Jack Miller ist eine Personifizierung des Willens. Was anderen wiederum, die ständig hadern und schlechte Laune verbreiten, zeigen sollte, dass man das, was man tut, wollen und lieben muss.

Und das geht nur mit Charakter. Am Sonntag haben wir drei Sieger mit Charakter gesehen. Toll. Ich freue mich jetzt schon auf die verbleidenden zehn Rennen 2016. Mal schauen, wer noch alles Charakter und Willen zeigt. Bagnaia, Nakagami und Miller ganz bestimmt.