Die großen Drei voraus, dahinter eine handvoll Piloten, die nur auf einen Fehler ganz vorne lauern. Diese spannende Ausgangslage finden wir vor dem Jerez-GP 2016 der MotoGP vor. Bisher fuhren Valentino Rossi, Jorge Lorenzo und Marc Marquez in ihrer eigenen Liga, was sie nicht zuletzt mit den Startplätzen eins bis drei im Qualifying eindrucksvoll unterstrichen. Der Sieg wird, vorausgesetzt wir erleben ein normales Rennen, wohl unter diesen drei Ausnahmekönnern ausgemacht. Doch dahinter warten einige Piloten nur darauf, von einem Fehler, einem Sturz, einer Kollision ganz vorne zu profitieren und die letzte oder letzten Position(nen) auf dem Podium abzustauben. Motorsport-Magazin.com hat die Lage nach zwei Trainingstagen analysiert.

Die Siegkandidaten für das MotoGP-Rennen in Jerez

Valentino Rossi: Der Doktor ist einfach ein Phänomen. In Jerez holte Valentino Rossi die 62. Pole-Position seiner Karriere und zog damit mit Jorge Lorenzo gleich. Beide führen nun die ewige Bestenliste in dieser Statistik an. Beeindruckend dabei: Rossi fuhr auf Rang drei liegend zunächst permanent mittlere 39er-Zeiten, ehe er ganz am Schluss die Bestzeit aus dem Ärmel schüttelte. Dass die starke Leistung im Qualifying kein einmaliges Strohfeuer war, zeigen die Platzierungen drei, fünf, eins und drei in den vier freien Trainings zuvor.

Bei der Longrun-Pace im vierten freien Training hing Rossi allerdings etwas hinter seinem Teamkollegen Lorenzo zurück. Während der Mallorquiner in seinem ersten Run mit acht 39er-Runden in Folgen glänzte und dann im zweiten Run abbaute, schaffte Rossi während der gesamten Session nur fünf Runden im Bereich von 1:39. Das sind zwar immer noch die zweitmeisten aller Fahrer, dennoch war der Rückstand zu Lorenzo erkennbar.

Jorge Lorenzo: Die schnellste Pace an diesem Rennwochenende zeigte bisher Jorge Lorenzo. Das lässt sich nicht nur an seinen drei Trainingsbestzeiten ablesen (FP1, FP2 und FP4 beendete der Mallorquiner auf Position eins). Auch in Sachen Longrun-Pace war gegen den amtierenden Weltmeister kein Kraut gewachsen. In der ersten und dritten Trainingssession lag Lorenzo in den einzelnen Runs zwar noch auf Augenhöhe mit der Konkurrenz, im FP2 und im FP4 aber konnte er sich jeweils steigern. Für offene Kinnladen unter den Insidern dürfte aber Lorenzos erster Run im vierten freien Training gesorgt haben.

Acht schnelle Runden fuhr Lorenzo dabei, alle acht konnte er im Bereich zwischen 1:39.2 und 1:39.9 platzieren. Damit lag Lorenzo deutlich vor Rossi, der insgesamt betrachtet die zweitschnellste Pace im FP4 gehen konnte. Ob sich das Kräfteverhältnis im Rennen ebenfalls so darstellt, bleibt abzuwarten, schließlich gelingt Rossi für gewöhnlich bis zum Rennen nochmal ein Sprung nach vorne. Sollte der Kampf bis zum Sieg bis zur letzten Runde andauern, hat Lorenzo trotz seiner (verglichen mit Rossi und Marquez) Zweikampfschwäche. Denn bisher fuhr Lorenzo in Sektor 4 Kreise um die Konkurrenz.

Jorge Lorenzo führte drei von vier Trainings an, Foto: Yamaha
Jorge Lorenzo führte drei von vier Trainings an, Foto: Yamaha

Marc Marquez: Der dritte Siegkandidat im Bunde ist Marc Marquez. Der Repsol-Honda-Pilot fuhr in Jerez gemeinsam mit Lorenzo und Rossi in seiner eigenen Liga und dürfte als Einziger den Yamahas den Sieg streitig machen. Marquez darf nie abgeschrieben werden und ist im Zweikampf extrem zäh. Aber er wirft sein Motorrad auch gerne weg oder überfährt es, wie nicht nur die Rennstürze 2015 bewiesen, sondern auch ein Blick in die Zeiten-Listen der Trainingssessions offenbart.

Denn Marquez konnte im FP4 zwar die Rossi-Pace einigermaßen halten, drehte insgesamt drei Runden im Bereich von 1:39. Auf der Suche nach dem Limit unterliefen Marquez aber immer wieder Fehler, wie einzelne Ausreißer in die 41er- und 42er-Zeiten zeigen. Für Marquez gilt es daher, Konstanz in seine Zeiten zu bringen, dann kann er dem Yamaha-Duo auch im Kampf um den Sieg extrem gefährlich werden. Hat sich Marquez ein Mal an das Heck von Rossi und Lorenzo geheftet, ist ihm vom Sieg bis zum Ausfall alles zuzutrauen.

Jerez: Die gefährlichsten Außenseiter

Maverick Vinales und Aleix Espargaro: Sollte es vorne zu einem Unfall, Ausfall oder zu ähnlichen unvorhersehbaren Zwischenfällen kommen, könnten die Suzuki-Piloten Maverick Vinales und Aleix Espargaro die Ersten sein, die davon profitieren könnten. Schon das gesamte Wochenende über präsentierte sich Suzuki als dritte Kraft hinter Yamaha und Repsol-Honda. Und mit den Startplätzen fünf und sechs liegen Vinales und Espargaro gemeinsam mit Andrea Dovizioso auf den ersten Verfolgerplätzen.

Die Pace jedenfalls stimmt bei Suzuki, trotz des mangelnden Grips. Bis auf eine einzige Runde im 1:41er-Bereich war Espargaro im FP4 stets in den 1:40ern unterwegs. Vinales stand seinem Teamkollegen hier in nichts nach, auch wenn er den einen oder anderen Ausreißer nach oben hatte. Findet man hier noch über Nacht weitere Setup-Verbesserungen, ist Suzuki ein heißer Kandidat auf den Titel "Best of the rest".

Der Schnitt aus den sieben schnellsten Runden der Verfolgergruppe im FP4

FahrerTeamZeit
Dani PedrosaRepsol Honda1:40.360
Aleix EspargaroSuzuki1:40.467
Maverick VinalesSuzuki1:40.693
Andrea DoviziosoDucati1:40.714

Suzuki könnte Dani Pedrosa gehörig in die Suppe spucken, Foto: Repsol
Suzuki könnte Dani Pedrosa gehörig in die Suppe spucken, Foto: Repsol

Dani Pedrosa: Auch mit Dani Pedrosa muss man in Jerez immer rechnen, schließlich kam der Repsol-Honda-Pilot in jedem MotoGP-Rennen, das er bisher in Andalusien bestritt, auf das Podium. Doch diese Serie reißt 2016 mit großer Wahrscheinlichkeit. Denn nicht nur, dass die Top-3 eine bessere Pace als Pedrosa gehen konnten. Der kleine Katalane muss sich wohl auch warm anziehen, will er gegen die Suzukis bestehen. Am Start jedenfalls stehen die Blauen schon mal vor Pedrosa. Reihe drei ist alles andere als eine günstige Ausgangslage für Pedrosa auf der Jagd nach einem guten Ergebnis.

Hector Barbera und Andrea Dovizioso: Die Ducati-Fraktion hängt in Jerez meilenweit zurück. Den stärksten Eindruck hinterließen in den Trainings noch Hector Barbera und Andrea Dovizioso. Vor allem am Freitag glänzte Barbera mit den Plätzen zwei und vier, am Samstag fand er sich jedoch im Mittelfeld wieder und dürfte mit der Vergabe um die Spitzenplätze nicht allzu viel zu tun haben. Dovizioso dagegen steigerte sich von Session zu Session und fuhr im Qualifying auch auf Startplatz vier - auf ihn ruhen alle Hoffnungen der Roten. Weniger ermutigend der Blick fällt allerdings der Blick auf die Zeiten aus, denn in den Longruns von FP4 lag Dovizioso hinter Suzuki und Pedrosa zurück.

MotoGP Jerez 2016: Die Tipps der Redaktion

Andrea Blendl: Unglaublich, was Valentino Rossi heute im Qualifying geschafft hat. Beeindruckend vor allem, dass er eine schnelle Runde nach der anderen hinlegen konnte und seine Pole nicht nur einer einzigen Hammerrunde verdankt. Deshalb glaube ich, dass er im Rennen um den Sieg kämpfen kann. Er wird sich zwar wohl kaum in Lorenzo-Manier vom Feld absetzen können, ich erwarte aber einen Dreikampf mit Lorenzo und Marquez, aus dem der alte Fuchs Rossi am Ende siegreich hervorgeht. Lorenzo verliert die Nerven und landet im Kies, Marquez ist als Zweiter der erste Verlierer. Dritter wird Dani Pedrosa, der zwar keine perfekte schnelle Runde im Qualifying hinbekam, aber bei dem die Reifen am längsten durchalten, so dass er sich im Rennen bis aufs Podium vor pflügen kann.

Andreas Top-3-Tipp: 1. Rossi, 2. Marquez, 3. Pedrosa

Tobias Ebner: Das Qualifying verspricht einen Knüller im Rennen und macht Lust auf mehr. Was gibt es schöneres, als den drei besten Motorradfahrern der Welt dabei zuzuschauen, wie sie sich ein beinhartes und gnadenloses Duell um Sieg liefern? Aufgrund seiner beeindruckenden Konstanz in den freien Trainings glaube ich, dass Lorenzo in den letzten Runden den Unterschied machen wird und sich genügend Sicherheitsabstand herausfährt. Rossi und Marquez werden dagegen bis zur letzten Kurve kämpfen und der Doktor seinen spanischen Widersacher in der letzten Kurve ins Aus bugsieren, wie er es einst mit Gibernau gemacht hat. Den dritten Platz erbt ein Suzuki-Pilot, hier tippe ich dieses Mal auf Aleix Espargaro.

Tobias' Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Rossi, 3. A. Espargaro

Zuletzt krachte es in der Königsklasse 2013 in der letzten Kurve des Jerez-GP, Foto: Milagro
Zuletzt krachte es in der Königsklasse 2013 in der letzten Kurve des Jerez-GP, Foto: Milagro

Michael Höller: Ich hoffe auf einen richtigen Kracher. Wenn alles wie gewünscht läuft, sehen wir einen 45-minütigen offenen Schlagabtausch zwischen den derzeit mit Abstand besten drei Motorradfahrern der Welt. Turn 13 ist geradezu prädestiniert für ein finales Crescendo dieses hoffentlich epischen Krimis. Wer gewinnt? Rossi - weil er völlig ohne Druck fahren kann und ein alter Fuchs ist.

Michaels Top-3-Tipp: 1. Rossi, 2. Marquez, 3. Lorenzo

Sophie Riga: Ich tippe an diesem Wochenende auf Jorge Lorenzo als Rennsieger. Schon am Freitag zeigte er, in was für einer Kondition er ist. Klar hat sich Rossi die Pole geschnappt, aber unter perfekten Bedingungen ist Lorenzo meistens unbezwingbar. Da Regen am Sonntag unwahrscheinlich ist, setze ich Rossi auf den zweiten Rang und Marc Marquez dahinter.

Sophies Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Rossi, 3. Marquez

Markus Zörweg: Nicht zum ersten Mal stehen Rossi, Marquez und Lorenzo in dieser Saison zusammen in Reihe eins, doch am Sonntag in Jerez werden sie erstmals 2016 bis zum Ende um den Sieg kämpfen. Keiner der drei Superstars wird sich absetzen können, das Rennen wird in der letzten Runde, vielleicht sogar in der letzten Kurve entschieden. Deshalb rechne ich mit einem Sieg Valentino Rossis, weil er im direkten Zweikampf immer noch der stärkste Pilot im MotoGP-Feld ist. Marc Marquez wird Zweiter, für Jorge Lorenzo bleibt nur Rang drei.

Markus' Top-3-Tipp: 1. Rossi, 2. Marquez, 3. Lorenzo