Wir halten fest: Der Saisonauftakt hat schon viel geboten - und zwar auf und neben der Strecke! Aber jetzt ist Europa-Auftakt, fast schon traditionell in Jerez de la Frontera. Nach den jüngsten Reise-Eskapaden, gerade nach dem Argentinien Grand Prix, dürfte der ganze MotoGP-Zirkus froh sein, dass jetzt erst mal bis in den Oktober hinein nur auf der europäischen Bühne gespielt wird. Was viele Vorteile hat!

Endlich kein Leben aus den Transportkisten mehr. Endlich das volle Lineup mit den eigenen Trucks, den Team-Hospitalities und all den anderen Annehmlichkeiten. In diesem Jahr bedeutet Europa-Auftakt aber auch, dass neben den positiven Tatsachen der leichteren Reiselogistik und der vertrauten Jagdgründe an den Tischen, in den mobilen Büros und in den Hinterzimmern der Trucks so heftig wie wohl nie zuvor MotoGP-Monopoly gespielt wird. Und damit ist nicht das im letzten Jahr erschienene Brettspiel gemeint.

Es geht um die Zukunft

Es geht ab sofort um die Zukunft. Um die Zukunft im normalen MotoGP-Fahrerleben. Da Valentino Rossi die Mosaiksteinchen mit seiner frühen Unterschrift unter das Yamaha-Arbeitspapier schon Mal ins Wanken gebracht hat, wird, nachdem Jorge Lorenzo tatsächlich seinen Wechsel zu Ducati bekannt gegeben hat, nichts mehr so wie früher sein. Ohnehin ist jetzt schon alles anders, was auch der Tatsache geschuldet ist, dass es solch eine Situation wie 2016 noch nie gegeben haben dürfte. Nur Sam Lowes und Cal Crutchlow hatten vor dieser Saison einen Vertrag für die nächste Spielzeit.

Rossi hat seinen Vertrag bei Yamaha früh unterschrieben, Foto: Yamaha
Rossi hat seinen Vertrag bei Yamaha früh unterschrieben, Foto: Yamaha

Rossi und Smith zogen schon vor dem ersten Rennen nach. Also ist das sonst übliche Abwarten bis zur Sommerpause endgültig Geschichte. Was auch irgendwie logisch ist. Denn Valentino Rossis Ausgangssituation hätte sich auch bis zur Sommerpause schlicht nicht verändert. Weder bei einer Siegesserie, noch bei einer Anhäufung von Nullern. Er ist für Yamaha (und auch für die MotoGP) die Promotion-Lokomotive Nummer eins! Er ist der Liebling der Massen.

Yamaha: Rossis einzige Chance

Aber Yamaha war auch die einzige Chance für die 46, nochmal zwei weitere Jahre dran zu hängen, was an der Vergangenheit des Doktors liegt. So wie die Besuche der Intensivstationen Honda und Ducati zu Ende gingen, glich das Ganze eher einem medizinischen Kunstfehler als einer vertraulichen Beziehung zwischen Mediziner und Patient. Soll bedeuten: Rossi hatte gar keine andere Chance, als so schnell wie möglich bei Yamaha zu unterschreiben. Für ihn die alleinige verbliebene Möglichkeit auf Top-Material.

Das hat natürlich Nebeneffekte. Und zwar massenhaft. Der Rest des Transfer-Wahnsinns wird nämlich ab Jerez mit ziemlicher Sicherheit komplett durchdrehen. Was ja eigentlich jetzt schon der Fall ist. Es ist sicherlich auch gut vorstellbar, dass es bei Yamaha Manager gibt, die daran zweifeln, ob es klug war, den amtierenden Weltmeister zu vergraulen. Natürlich war es keine Liebesbeziehung in der Yamaha-Box. Aber es hat gut funktioniert!

Rossis Strahlkraft und Lorenzos Titel

Dank Rossis Strahlkraft gepaart mit seinem unbändigen Willen, es in seinem Alter den Jungen nochmal zeigen zu wollen. Aber auch dank der Resultate von Jorge Lorenzo! Dreimal MotoGP-Weltmeister wird man nicht durch Zufall. Und diese vorhandene Paarung hat Yamaha ohne Not aufgegeben. Denn es hätte sicherlich Wege gegeben, das komplette Duo Rossi/Lorenzo auch für die Zukunft zu halten. So gibt es viele offene Fragen und viel Risiko.

Maverick Vinales ist Yamahas Kronprinz, Foto: Suzuki
Maverick Vinales ist Yamahas Kronprinz, Foto: Suzuki

Der Top-Kandidat auf den Platz an Vales Seite ist immer noch Maverick Vinales. Aber wer garantiert dem Doktor denn, dass das Arbeiten mit dem nächsten aufstrebenden Ausnahmekönner angenehmer ist, als das Arbeiten mit Lorenzo? Was passiert denn, wenn Vinales tatsächlich zu Yamaha geht und Valentino Rossi sportlich entzaubert? Der Karriereverlauf von Vinales zeigt deutlich, dass er keiner ist, der übertriebenen Respekt vor großen Namen und bestehenden Umgangsformen hat. Der geht konsequent seinen Weg. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Vinales: Rossis neuer Lieblingsgegner?

Siehe 2012, als er kurzerhand aus Malaysia abreiste, obwohl er noch rechnerische Chancen auf den Moto3-Titel hatte. Er war unzufrieden mit Verträgen und dem Management. Sehr konsequent, ohne Rücksicht auf Verluste. Und für Yamaha und für Rossi wäre das eine ganz schöne Herausforderung, für uns Fans hochspannend. Aber was wenn Vinales nicht kommt ? Wenn er doch lieber bei Suzuki bleibt und die Blauen noch stärker werden? Dann kann man wohl jetzt schon von einer sportlichen Schwächung Yamahas sprechen!

Denn die Alternativen sind nicht gerade unendlich. Genauer gesagt, gibt es eigentlich kaum welche. Auf jeden Fall nicht auf dem sportlichen Level der Ära Rossi/Lorenzo. Und genau deshalb wird ab dem kommenden Wochenende ganz viel diskutiert und spekuliert werden. Noch mehr als ohnehin schon! Honda wird wahrscheinlich möglichst schnell die Verträge von Marquez und Pedrosa verlängern. Bei Marquez, der bisher im Vergleich zu den anderen Topstars eher für Kleingeld gefahren ist, dürfte es nur ums Honorar gehen. Und bei Pedrosa sollte eine Verlängerung mangels schnellerer Alternativen Formsache sein. Honda geht also genau den umgekehrten Weg wie Rivale Yamaha und setzt auf Bewährtes.

Rossi und Lorenzo: Ihr Verhältnis ist zerrüttet, Foto: Milagro
Rossi und Lorenzo: Ihr Verhältnis ist zerrüttet, Foto: Milagro

Offene Feindschaft

Das wird alles extrem spannend. Denn die Feindschaft zwischen den drei Alphatieren Lorenzo, Rossi und Marquez muss spätestens mit der Unterschrift von Lorenzo bei Ducati nicht mehr schön geredet werden. Und es wurde ja jetzt bei den ersten drei Rennen schon genügend polemisiert. Das wird nun alles noch intensiver. Marquez redet von den Dreien am wenigsten, liegt aber trotz der Honda-Schwächen in der WM-Wertung in Führung.

Rossi stichelt gegen alles und jeden wie zu besten Biaggi-Zeiten. Und Lorenzo als amtierender Weltmeister wird davon träumen, Yamaha einen Abschiedstitel zu schenken, der dann aber aus Marketing-Sicht für die Tonne ist. Außer für ihn persönlich. Danach möchte Lorenzo dann natürlich mit dem roten Biest, das beinahe die Karriere seines Erzrivalen beendet hätte, richtig zuschlagen. Zutrauen kann man ihm das!

Und wenn Lorenzos Masterplan funktioniert, darf man schon jetzt auf das Yamaha-Management und die dann fälligen Statements gespannt sein. Dazu kommt, dass das alles nur die Diskussionspunkte an der Spitze des MotoGP-Eisbergs sind. Ob Suzuki beständig zu den Top-Marken aufsteigt? Mit welchen Fahrern? Wer aus der Moto2 eine Chance in der Königsklasse bekommt (Folger?), wie sich KTM schlägt, ob die Entwicklung der Aprillia so weiter geht? Gesprächsstoff ohne Ende! Und allesamt weiterführende Randaspekte dieses Transfer-Wahnsinns, die garantieren, dass es auf keinen Fall langweilig wird. Europa-Auftakt in Jerez eben. Oder MotoGP-Monopoly... aber im wahren Leben.