Das Flag-to-Flag-Rennen in Argentinien war an Spannung kaum zu überbieten. Gleichzeitig kommt aber immer wieder Kritik an diesem Modus auf, er sei unnötig oder sogar gefährlich. Motorsport-Magazin.com hat die Gefahren durch den Bikewechsel analysiert.

Brandgefährlich: Crashes beim Boxenstopp

Eigentlich klingt ein Boxenstopp in der MotoGP recht simpel: In die Box fahren, Speed Limiter einschalten, neben das Ersatzbike rollen, hinüberspringen oder umsteigen, weiterfahren. In diesem Ablauf kann es aber zu schweren Unfällen kommen, wie zuletzt Alvaro Bautista in Argentinien bewies. Er stürzte auf dem Weg in die Box, fuhr weiter, merkte aber erst kurz vor der Aprilia-Garage, dass seine Bremsen nicht mehr richtig funktionierten. Mit viel Schwung rammte er den Mechaniker, der sein Motorrad fangen sollte, und schleuderte ihn meterweit durch die Luft:

Dieser spektakuläre Unfall ging, man glaubt es kaum, verhältnismäßig glimpflich aus, bis auf ein aufgeschürftes Knie und zahlreiche Prellungen fehlt dem Mechaniker nichts. Das hätte aber auch ganz anders ausgehen können, man denke nur an Jerez 1993, als der japanische 250er-Fahrer Noboyuki Wakai nach einer Kollision mit einem Fußgänger in der Boxengasse starb.

Besonders bei plötzlich einsetzendem Regen ist es vorstellbar, dass innerhalb einer Runde das komplette Fahrerfeld an die Box kommt. Dann herrscht dort reger Verkehr und entsprechende Hektik, Mechaniker laufen zwischen Garage und Boxenmauer hin und her, dazwischen stehen noch Kamerateams und Fotografen - weitere Kollisionen sind so beinahe vorprogrammiert. Aprilia-Teamchef Fausto Gresini erklärt zur Thematik: "Es ist schlimm, was Alvaro beim Bike-Wechsel passiert ist. Wir müssen das auf jeden Fall mit den Organisatoren besprechen. In zu großer Eile zu sein schadet der Sicherheit."

Auch in Aragon gab es 2014 ein Flag-to-Flag-Rennen. Damals kam es gleich bei zwei Bike-Wechseln zu haarigen Situationen: Danilo Petrucci stürzte, Alex de Angelis rammte sein Ersatzbike. Beide blieben zum Glück unverletzt, ebenso ihre Mechaniker.

Schwierig: Frische Reifen, anderes Handling

Zwei Kurven nach diesem Stopp lag Michele Pirro im Kies, Foto: Milagro
Zwei Kurven nach diesem Stopp lag Michele Pirro im Kies, Foto: Milagro

Eine richtige Herausforderung für die Fahrer stellen die ersten Runden auf dem neuen Bike dar. Anders als in allen anderen Situationen gibt es nach einem Boxenstopp keine Aufwärmrunde, sie müssen sofort ans Limit gehen, um in einem Flag-to-Flag-Rennen eine Chance zu haben. Die Reifen sind aber frisch, und auch wenn sie vorgewärmt sind, fahren sie sich völlig anders als die angefahrenen Reifen der vorherigen Runden. Auch haben zwei MotoGP-Bikes trotz gleicher Einstellungen nie genau das identische Handling. Nicht verwunderlich also, dass es viele Fahrer auf ihren Outlaps nach dem Wechsel erwischt und sie im Kies landen oder böse Slides haben. Auch Weltmeister Jorge Lorenzo teilt dieses Schicksal, in Misano 2015 stürzte er wenige Kurven nach seinem Boxenstopp und äußerte danach beißende Kritik an der Flag-to-Flag-Regelung.

In Argentinien erwischte es Michele Pirro. Nach seinem Stopp kam er nur bis zur zweiten Kurve und flog dort ab. Er erklärte: "Ich kam in Kurve zwei an und es ging schief, vielleicht wegen der kalten Reifen oder der Bremsen. Ich musste geradeaus fahren und das Bike rutschte weg. Ich konnte weiterfahren, aber verlor viel Zeit." Abgesehen von Pirro blieb das restliche Fahrerfeld auf seinen Outlaps zwar sitzen, zu haarigen Situationen kam es aber dennoch, zum Beispiel für Dani Pedrosa: "Mein Boxenstopp war ziemlich normal, aber ich hatte große Probleme auf der Outlap. Mit den kalten Reifen wäre ich zweimal beinahe gestürzt und habe viel Zeit verloren."

Valentino Rossi hatte auf dem zweiten Bike Probleme, Foto: Yamaha
Valentino Rossi hatte auf dem zweiten Bike Probleme, Foto: Yamaha

Wie sehr sich das Handling von zwei gleich eingestellten Bikes wirklich unterscheidet, musste auch Valentino Rossi schmerzhaft erleben. Konnte er vor dem Stopp um den Sieg kämpfen, musste er danach Marc Marquez ziehen lassen. Dessen zweite Honda wiederum lief sogar besser als die Maschine, auf der er gestartet war. Auf jeden Fall birgt es einige Gefahren, nach dem Bike-Wechsel sofort wieder ans Limit gehen zu müssen.

Risiko Boxengasse und Ausfahrt

Auch die Boxengasse selbst und speziell die Ausfahrt nach dem Stopp bergen zahlreiche Risiken. Kein Fahrer will in der Boxengasse mehr Zeit als nötig verlieren, deshalb wird das Speed Limit natürlich ausgereizt. Doch der Belag in der Pit Lane ist völlig anders als auf der Strecke. Pedrosa erklärte dazu in Argentinien: "Im Vergleich mit Phillip Island ist es hier besser, der Grip ist in der Box fast gleich. Aber in Phillip Island sind es völlig unterschiedliche Beläge." Bei Bautistas Kollision mit dem Mechaniker scheint der unterschiedliche Belag jedenfalls trotzdem eine Rolle gespielt zu haben: "In der Boxengasse wollte ich bremsen und fuhr vom Asphalt auf den feuchten Zement, dann konnte ich nichts mehr tun, um den Mechaniker nicht zu erwischen, der darauf wartete, mein Motorrad zu halten." Immerhin gab es in Argentinien für diese Saison einige Umbauten, die für etwas mehr Sicherheit sorgen, findet zumindest Marquez: "Die Safety Commission hat gute Arbeit geleistet, sie veränderten die Boxeneinfahrt, denn früher stand da eine Mauer. Die Ausfahrt ist aber immer noch schmal und eng."

Kurz nach Marquez' Stopp in Australien 2013 krachte es, Foto: Milagro
Kurz nach Marquez' Stopp in Australien 2013 krachte es, Foto: Milagro

Genau diese Ausfahrt kann sehr riskant sein, die Fahrer beschleunigen aus der Box, von hinten kommen aber diejenigen, die bereits gestoppt haben oder erst später stoppen, angeschossen. In Argentinien war es Tito Rabat, an dem sich Marquez gerade noch vorbeiquetschte, während Rossi sich nur noch hinter ihm einreihen konnte. Kollisionen sind so beinahe vorprogrammiert. Auch in Phillip Island 2013 versuchte Marquez, sich nach seinem Stopp noch vor dem Führenden Lorenzo einzureihen. Damals gelang es ihm aber nicht, sondern es kam zu einer heftigen Kollision, bei der beide nur mit viel Glück und Können einen Sturz vermeiden konnten, Marquez‘ Ellenbogenschleifer wurde dabei teilweise abgerissen. Hinterher wurde der Vorfall als Rennunfall abgetan, ohne dass man weitere Konsequenzen ergriffen hätte, um die Gefahr für die Zukunft zu mindern.