Der Begriff 'Teamkollege' kann in der MotoGP irreführend sein. Von kollegialem Verhalten ist unter den Piloten eines Rennstalls oft nicht viel zu sehen. Sie sind manchmal sogar die größten Rivalen, nur eben auf demselben Motorrad. Das stellen Valentino Rossi und Jorge Lorenzo seit 2008 unter Beweis. Aktuell bestreiten sie ihre siebente gemeinsame Saison bei Yamaha, kaum eine verlief ohne grobe Reibereien der beiden Superstars. Motorsport-Magazin.com blickt zurück auf eine Schlacht, geführt in der Box, in Pressekonferenzen und auf der Strecke:

2008: Lorenzo wird Rossis Teamkollege

Rossi und Lorenzo schenkten sich von Beginn an nichts, Foto: Yamaha
Rossi und Lorenzo schenkten sich von Beginn an nichts, Foto: Yamaha

Yamaha steckte vor der Ankunft von Valentino Rossi 2004 in einer handfesten Krise. Nicht einen einzigen Podiumsplatz hatte das Werksteam in der Vorsaison 2003 geholt. Rossi aber brachte Yamaha wieder auf Kurs und holte direkt in seinen ersten beiden Saisons zwei Weltmeistertitel. Niemand bezweifelte, dass der Superstar einen riesengroßen Anteil am Aufschwung hatte. Rossi erwartete sich dafür Anerkennung. Dass man ihm bei Yamaha 2008 mit Jorge Lorenzo einen der schnellsten Piloten der Welt als neuen Teamkollegen an die Seite stellte, fiel für Rossi nicht in die Kategorie Dankbarkeit. Er war verstimmt, es folgte die berühmte Trennwand in der Yamaha-Box, die Fahrer und Crews streng voneinander fernhielt. Rossi behielt sportlich vorerst aber klar die Oberhand und holte seinen sechsten MotoGP-Titel, Lorenzo musste sich mit Gesamtrang vier begnügen.

RossiLorenzo
Siege91
Punkte373190
WM-Rang14

2009: Eiszeit bei Yamaha

In Barcelona gewann Rossi ein unglaubliches Rennen gegen Lorenzo, Foto: Yamaha
In Barcelona gewann Rossi ein unglaubliches Rennen gegen Lorenzo, Foto: Yamaha

Die Trennwand in der Yamaha-Box wurde 2008 damit gerechtfertigt, dass Jorge Lorenzo auf Michelin- und Valentino Rossi auf Bridgestone-Reifen unterwegs war. So sollten die Geheimnisse der jeweiligen Hersteller gewahrt werden. 2009 war der Reifenkrieg Geschichte, alle Fahrer waren nun auf Bridgestone unterwegs. Die Trennwand blieb dennoch bestehen. Es wurde klar, dass es schon lange nicht mehr um irgendwelche Reifendaten ging. Rossi und Lorenzo konnten den Anblick des anderen in der Garage einfach nicht ertragen, zu angespannt war ihr Verhältnis mittlerweile.

Den sportlichen Zenit erreichte das Stallduell in Barcelona. Lokalmatador Lorenzo hatte das Rennen lange Zeit angeführt, in der letzten Kurve des Grand Prix war es aber Rossi, der innen an ihm vorbeistach und ihm so noch den Sieg entriss. Eine der schmerzlichsten Niederlagen Lorenzos, für Rossi hingegen einer seiner schönsten Siege. Das sah man ihm am ekstatischen Jubel im Parc ferme an, wo er sich auch einen kleinen Seitenhieb in Richtung Lorenzo - Rossi zeigte auf die Nummer 99 an dessen Bike und wedelte dabei mit dem Zeigefinger, also wollte er sagen: 'So nicht' - nicht ersparen konnte. Der WM-Titel ging erneut an Rossi, Lorenzo stieg aber zum Vizeweltmeister auf.

RossiLorenzo
Siege64
Punkte306261
WM-Rang12

2010: Sportliche Wachablöse

Rossis Abflug in Mugello riss ihn aus dem Titelkampf, Foto: Milagro
Rossis Abflug in Mugello riss ihn aus dem Titelkampf, Foto: Milagro

Im dritten gemeinsamen Yamaha-Jahr von Valentino Rossi und Jorge Lorenzo ist es mit der Vorherrschaft des Italieners vorbei. Lorenzo kommt bereits als WM-Führender zu Rossis Heimspiel in Mugello, wo sich der Lokalmatador bei einem Trainingssturz auch noch das Bein bricht und für vier Rennen ausfällt. Der teaminterne Kampf ist damit klarerweise zu Gunsten Lorenzos entschieden, der sich mit der bis heute gültigen MotoGP-Rekordpunktzahl von 383 Zählern in einer Saison erstmals zum Weltmeister der Königsklasse krönt.

Den Titel kann Lorenzo aber nicht holen, ohne sich davor noch in einigen knallharten Duellen gegen den in der zweiten Saisonhälfte wieder genesenen und erstarkten Rossi durchzusetzen. In Motegi liefern sich die beiden einen ihrer kompromisslosesten Zweikämpfe und berühren sich sogar auf der Strecke. Die Wogen gehen bei Yamaha wieder hoch, Lorenzo zeigt auf dem Weg zum Titel kein Verständnis für die Fahrweise Rossis, für den es nicht mehr um die Weltmeisterschaft geht.

Mit Ende der Saison ist das Yamaha-Duell Lorenzo gegen Rossi aber ohnehin vorerst Geschichte. Der Doktor hat keine Lust mehr auf den internen Zweikampf mit seinem jüngeren Herausforderer und verlässt Yamaha nach sieben Jahren in Richtung Ducati. Das Jahr 2010 beendet Rossi auf seiner geliebten M1 als Gesamtdritter, 150 Zähler hinter Lorenzo.

RossiLorenzo
Siege29
Punkte233383
WM-Rang31

2013: Rossi kehrt zu Yamaha zurück

In Rossis Comeback-Saison bei Yamaha sah er Lorenzo meist nur aus der Ferne, Foto: Milagro
In Rossis Comeback-Saison bei Yamaha sah er Lorenzo meist nur aus der Ferne, Foto: Milagro

Rossis zwei Jahre bei Ducati wurden für ihn zum absoluten Debakel. Ohne einen einzigen Sieg kehrte er 2013 wieder zurück zu Yamaha und gab sich demütig. Lorenzo, mittlerweile zum zweiten Mal MotoGP-Weltmeister, sei nun die klare Nummer eins im Team. Er selbst müsse erst sehen, ob er überhaupt noch mit der jüngeren Garde mithalten könne, so Rossi. Tatsächlich hatte Lorenzo Rossi nach dessen Rückkehr zunächst locker im Griff. Lorenzo kämpfte bis zum letzten Saisonrennen um den WM-Titel gegen Marc Marquez, während Rossi meist nur die vierte Geige neben Lorenzo, Marquez und auch Dani Pedrosa spielte. Lediglich ein Sieg gelang Rossi, Lorenzo feierte acht. Bei diesem klaren Unterschied in den sportlichen Leistungen verwunderte es nicht, dass es zu keinerlei Reibereien zwischen den neuen alten Teamkollegen kam.

RossiLorenzo
Siege18
Punkte237330
WM-Rang42

2014: Vormachtstellung wieder bei Rossi

2014 meldete sich Rossi eindrucksvoll zurück, Foto: Yamaha
2014 meldete sich Rossi eindrucksvoll zurück, Foto: Yamaha

Schon in Jahr zwei nach seiner Rückkehr zu Yamaha ließ Rossi Lorenzo wieder hinter sich. Der Mallorquiner, nach seinen Schlüsselbeinbrüchen von Assen und am Sachsenring 2013 im Winter zwei Mal operiert, ging körperlich nicht fit in die Saison. In der ersten Jahreshälfte war Lorenzo nur ein Schatten seiner selbst, Rossi hingegen steigerte sich im Vergleich zum Vorjahr massiv. Am Saisonende hatten beide Yamaha-Piloten zwei Siege zu Buche stehen, das teaminterne Duell ging aber an Rossi. Er wurde Vizeweltmeister, Lorenzo mit 32 Punkten weniger nur Gesamtdritter. Rossi hatte sich wieder zur Nummer eins bei Yamaha gemacht, zwischen den Stallgefährten blieb es aber ruhig.

RossiLorenzo
Siege22
Punkte295263
WM-Rang23

2015: Der Stallkrieg ist zurück

Hauchdünn setzte sich Lorenzo 2015 im Titelduell mit Rossi durch, Foto: Milagro
Hauchdünn setzte sich Lorenzo 2015 im Titelduell mit Rossi durch, Foto: Milagro

In der abgelaufenen Saison kam es erstmals seit 2009 wieder zu einem Duell Rossi gegen Lorenzo um die Weltmeisterschaft. Wie auf Kommando begannen die Psychospielchen aus der ersten gemeinsamen Yamaha-Ära des Duos erneut. So richtig Fahrt nahm die mentale Kriegsführung in Misano auf, dem 13. von 18 Saisonrennen. Im Qualifying blockierte Rossi Lorenzo auf einer schnellen Runde. Ob Absicht oder nicht sei dahin gestellt, Rossi wurde auf jeden Fall mit einem Strafpunkt belegt. Der Doktor provozierte noch dazu mit einem speziellen Helmdesign, das ihn als niedlichen Fisch auf der Flucht vor einem bösartigen Hai zeigte. Worauf dieses Design anspielte, war allen klar. Lorenzo antwortete beim nächsten Rennen in Aragon prompt mit dem Sieg und einem Jubel inklusive Haifischgeste im Parc ferme. Beim Boxenstopptraining im Warm Up schnitt Rossi zuvor noch Lorenzo den Weg ab. Rein zufällig, wie er betonte.

Im Rahmen des Grand Prix von Malaysia kam es erstmals seit längerer Zeit wieder zu öffentlichen Streitigkeiten zwischen Rossi und Lorenzo. Nach der Kollision zwischen Rossi und Marquez im Rennen von Sepang erklärte Lorenzo, er habe jeglichen Respekt für seinen Teamkollegen verloren. Eine Aussage, die er später zurück nahm, die aber wohl doch die wahren Emotionen Lorenzos in diesem Augenblick widerspiegelte. Nach dem dramatischen Saisonfinale in Valencia, das mit dem Titel für Lorenzo endete, holte Rossi ein letztes Mal zum Rundumschlag aus und stellte klar, dass Lorenzos Titel nicht verdient sein. Er habe nur durch die Mithilfe von Marc Marquez gewonnen.

RossiLorenzo
Siege47
Punkte325330
WM-Rang21

Katar 2016: Eskalation schon beim Saisonauftakt

Im Rennen deutlich getrennt, doch im Training kamen sich Lorenzo und Rossi gefährlich nahe, Foto: Yamaha
Im Rennen deutlich getrennt, doch im Training kamen sich Lorenzo und Rossi gefährlich nahe, Foto: Yamaha

Das Verhältnis zwischen Valentino Rossi und Jorge Lorenzo ist am Tiefpunkt. Im Vorfeld der Saison hatten beide Fahrer noch beteuert, größten Respekt voreinander zu haben. Doch schon im vierten Training von Katar kamen sie sich auf der Strecke in die Quere. Lorenzo war langsam auf der Ideallinie unterwegs, Rossi fühlte sich dadurch behindert. Es kam zu wilden Gesten von beiden Seiten. Rossi erklärte im Anschluss, er hätte sich eine Entschuldigung erwartet, doch Lorenzo habe ihn mit seinen Handbewegungen nur fragen wollen, was zur Hölle er von ihm will.

Doch damit nicht genug. Nachdem Rossi am Samstag in Katar seinen Vertrag mit Yamaha für zwei Jahre verlängert hatte, meinte Lorenzo, Rossi habe in seinem Alter und mit seiner Vorgeschichte bei anderen Herstellern ja gar keine Alternative gehabt. Bei Lorenzo selbst sehe das ganz anders aus. Er wurde mit Ducati in Verbindung gebracht, doch Rossi nützte diese Spekulationen sofort für die nächste Breitseite gegen Lorenzo: "Um zu Ducati zu wechseln, musst du wirklich mutig sein. Du brauchst Eier. Deshalb glaube ich, dass Jorge bei Yamaha bleiben wird."

Am Sonntag entschied Lorenzo das Stallduell schließlich klar für sich. Er gewann das Rennen, Rossi wurde nur Vierter. Lorenzo feierte im Parc ferme auf seiner Maschine stehend mit einer Geste, die sich mit 'Halt die Schnauze' wohl am besten interpretieren ließ. Auf dem Weg zum Podium wiederholte er diese. "Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Heute habe ich auf der Strecke gesprochen", meinte Lorenzo im Anschluss zu seiner Geste. An wen sie gerichtet war, ließ er sich nicht entlocken. Der Verdacht liegt aber nahe, dass sie Valentino Rossi galt.

Wenige Wochen später schließlich ließ Lorenzo die Bombe platzen, dass er Yamaha mit Saisonende den Rücken kehren wird um bei Ducati anzuheuern. Ob ihn Rossis Sticheleien oder die Aussagen im Rahmen des Sepang-Clash dazu gebracht haben? Ein Jahr zuvor meinte Lorenzo jedenfalls noch: "An meinem Traum hat sich nichts verändert: Ich würde gerne bei Yamaha meine Karriere beenden."

Misano 2016: Öffentlicher Streit Rossi vs. Lorenzo

Rossi und Lorenzo trugen ihren Streit öffentlich aus, Foto: MotoGP/Screenshot
Rossi und Lorenzo trugen ihren Streit öffentlich aus, Foto: MotoGP/Screenshot

Nach den ersten Sticheleien beim Saisonauftakt brodelten die Streitigkeiten zwischen Rossi und Lorenzo lange Zeit nur unter der Oberfläche, ein Ausbruch blieb aus. Bis zum Rennwochenende in Misano. Nachdem sich Rossi schon in der Startphase knallhart an Lorenzo vorbeigedrückt hatte, machte der in der Pressekonferenz nach dem Rennen seinem Ärger Luft: "Meine Meinung ist, dass dieses Überholmanöver ein bisschen zu aggressiv war. Er hätte dieses Manöver nicht setzen müssen. Aber das ist eben sein Stil. Andere Fahrer überholen sauberer."

Rossi sah das naturgemäß anders und die beiden gingen sich vor laufenden TV-Kameras verbal an die Gurgel. So offen hatte man die beiden in ihrer zweiten Yamaha-Ära nicht miteinander streiten sehen. Es scheint, als würden sich die Stallrivalen keine Mühe mehr geben, ihre Differenzen zu überspielen, gehen sie am Saisonende doch ohnehin getrennte Wege.