Die Saison 2016 stellt den Beginn einer neuen technischen Ära in der MotoGP dar. Die komplexen Elektroniksysteme der einzelnen Hersteller gehören der Vergangenheit, eine simple Einheitslösung von Magneti Marelli ist nun verpflichtend. Außerdem übernimmt Michelin das Reifenmonopol von Bridgestone. Die Pneus aus Frankreich verlangen einen völlig anderen Fahrstil von den Piloten. Zwei massive Veränderungen also, die extreme Auswirkungen auf die Entwicklung der 2016er-Maschinen haben. Am Montag präsentierte Yamaha in Barcelona nun als erster Hersteller sein neues Bike. Das sind die Stärken und auch die Baustellen der M1:

Die Elektronik

Bei den ersten Testfahrten mit der Einheitselektronik im November in Valencia kratzte man bei Yamaha wie bei allen anderen Herstellern erst an der Oberfläche der Möglichkeiten der neuen ECU. Auch wenn das System von Magneti Marelli um ein vielfaches simpler ausfällt als die bisherigen Lösungen, braucht es seine Zeit, um es zu verstehen. "Mit der Traktionskontrolle, dem Anti-Wheelie-System und all diesen Kontrollen gibt es so viele Parameter, die man verstehen muss. Wenn wir die Elektronik selbst entwickelt hätten, wüssten wir, wie manche Dinge funktionieren. Jetzt müssen wir erst herausfinden, wie gewisse Änderungen das Motorrad beeinflussen", erklärt Yamahas Entwicklungschef Kouichi Tsuji.

Valentino Rossi, der beinahe die gesamte Evolution der MotoGP-Elektronik selbst mitgemacht hat, streicht die Wichtigkeit einer schnellen Anpassung an die Einheitssoftware hervor: "In den letzten zehn Jahren haben wir alle gesehen, was für einen Unterschied die Elektronik machen kann. Jetzt gibt es eine große Veränderung in diesem Bereich und es wird entscheidend sein, sich schnell daran anzupassen." Tatsächlich gilt die Elektronik als Hauptgrund für die Dominanz von Honda und Yamaha in der jüngsten Vergangenheit.

Die Reifen

Die bisherigen Testfahrten mit den neuen Michelin-Reifen endeten stets in einer Sturzorgie. Während die Piloten sich lobend über den Hinterreifen äußerten, stand der Slick am Vorderrad immer wieder in der Kritik. Er ermögliche nicht ein derart hartes Bremsen wie es die Piloten mit den Bridgestone-Pneus gewohnt waren. Da stellten auch die beiden Yamaha-Stars keine Ausnahme dar. "Das Gefühl für den Vorderreifen ist immer noch ein Problem", gibt Rossi zu. "Es braucht Zeit, bis wir die richtige Balance finden. Letztes Jahr mit Bridgestone hat es sehr gut gepasst, aber mit Michelin kann man es nicht genau gleich machen."

Daher entschied man sich bei Yamaha für eine Änderung der Gewichtsverteilung. Die in diesem Jahr 157 Kilogramm der MotoGP-Maschine - im Vorjahr war es noch ein Kilo mehr - werden in Richtung des Hinterrades verschoben. Dies geschieht, in dem der Tank nach hinten rückt. Zog sich dieser in der Vergangenheit vom vorderen Bereich des Motorrads bis unter den Sitz, befindet er sich nun von dort beginnen bis ans Heck der Maschine, wo nun auch die Tanköffnung liegt. Ob diese Veränderung die Schwierigkeiten mit dem Vorderreifen beseitigen kann, bleibt abzuwarten.

Der Tank befindet sich nun auch im Höcker hinter dem Fahrer, Foto: Yamaha
Der Tank befindet sich nun auch im Höcker hinter dem Fahrer, Foto: Yamaha

Die Veränderungen sind nämlich überaus komplex. "Es gibt viele kleine Unterschiede", findet Rossi. "Das beginnt beim Anbremsen und am Kurveneingang, betrifft aber auch die Linienwahl und das Hinausbeschleunigen." Als Vorteil für Yamaha könnte sich herausstellen, dass mit Rossi und Lorenzo beide Piloten bereits Erfahrung auf Michelin-Reifen vorweisen können, waren doch beide bereits vor dem Ausstieg der Franzosen 2008 auf den französischen Pneus unterwegs. "Mir war von Anfang an klar, dass die Reifen ganz anders sein werden", bestätigt Lorenzo. "Ich glaube aber, dass dieser Stil für mich ein Vorteil sein kann."

Neben der unterschiedlichen Charakteristik des Reifengummis hat sich Michelin zusätzlich noch für eine andere Dimension der Räder entschieden. Statt bisher 16,5 Zoll messen sie nun 17 Zoll. Eine weitere Veränderung, wie Rossi erklärt: "Das Motorrad verhält sich damit am Kurveneingang anders. Vereinfacht gesagt hat es dadurch an Agilität gewonnen, aber an Stabilität verloren. Man ist also nicht so sicher unterwegs, falls ein Fehler passiert. Meiner Meinung nach war die alte Größe besser, aber Michelin hat sich eben so entschieden.

Der Topspeed

Während mit den neuen Reifen und der Einheitselektronik wohl alle Hersteller so ihre Probleme haben werden, kämpft Yamaha auch mit ganz eigenen Problemen. In puncto Spitzengeschwindigkeit war man Honda und Ducati in den letzten Jahren nämlich deutlich unterlegen. "Wir brauchen mehr Leistung. Im Moment verlieren wir auf den Geraden zu viel Zeit", stellt Lorenzo klar. Rossi stimmt ihm vollkommen zu: "Ja, wir müssen versuchen mehr Topspeed zu bekommen. Das war im letzten Jahr unsere einzige Problemzone." Dennoch bleibt Yamaha auch 2016 dem Konzept des Reihenvierzylinders treu und setzt nicht wie Honda oder Ducati auf ein V4-Aggregat.

Auf den Geraden waren die Yamahas 2015 oft leichte Beute, Foto: Bridgestone
Auf den Geraden waren die Yamahas 2015 oft leichte Beute, Foto: Bridgestone

Der Rückstand

So erfolgreich die Saison 2015 für Yamaha mit dem Gewinn aller drei MotoGP-Titel war, so problematisch könnte sie für das bevorstehende Jahr werden. Der WM-Kampf zwischen Rossi und Lorenzo bis zum Saisonfinale in Valencia sorgte dafür, dass beide Piloten voll auf die laufende Saison fokussiert waren und keine Lust hatten, sich mit Testarbeiten für 2016 zu beschäftigen. "Ich glaube nicht, dass uns das geschadet hat. Wir wollen ja schließlich, dass unsere beiden Fahrer um den Titel kämpfen", meinte zwar Lin Jarvis, doch aus den eigenen Reihen hört man deutlich andere Worte.

"Wir hinken etwas hinterher", gibt etwa Rossi zu. "Honda und Ducati haben im Sommer schon viel mit den Michelin-Reifen getestet, wir nicht." Auch Entwicklungschef Tsuji sieht 2016 noch deutlich mehr Arbeit vor sich und seinen Leuten als zum selben Zeitpunkt in den letzten Jahren: "In Sepang sehen wir immer, ob die Entwicklungsrichtung passt. Das ist in diesem Jahr noch schwerer vorherzusagen als in der Vergangenheit. Wir werden auf jeden Fall viele Teile dorthin bringen, um schnell reagieren zu können.