Die Beschleunigung

Nachdem die Maschine trotz extremer Schräglage heil durch die Kurve manövriert wurde, will sie wieder auf Tempo gebracht werden. Mit 260 PS ist das glücklicherweise schnell geschehen. In etwa 2,4 Sekunden erreicht ein MotoGP-Bike aus dem Stand die 100-km/h-Marke. Nach 5,8 Sekunden sind 200 km/h erreicht, rund 9,4 Sekunden vergehen, ehe der Tacho 300 anzeigt. Schluss ist erst bei über 350 km/h. Auf Kursen wie Jerez, wo der maximale Topspeed durch die Streckencharakteristik geringer ist und die Übersetzung wesentlich kürzer ausfällt, geht die Beschleunigung sogar noch ein paar Zehntelsekunden schneller über die Bühne.

Würde man den leistungsstarken Triebwerken der MotoGP-Maschinen einfach freien Lauf lassen, würden solche Beschleunigungsvorgänge regelmäßig mit Rückwärtssalti enden. Durch die gewaltige Energie, die auf das Hinterrad übertragen wird, richten sich die Motorräder an der Front auf. Nur durch das Eingreifen moderner Elektronikprogramme wie dem Anti-Wheelie-System ist eine kontrollierte Vorwärtsbewegung möglich.

Die Verzögerung

Meist sorgen die sensationelle Beschleunigung oder der immense Topspeed der MotoGP-Maschinen für die großen Schlagzeilen, doch die Bremswirkung der Prototypen ist mindestens gleich beeindruckend. In Mugello etwa kommen die Piloten mit 350 km/h am Ende der langen Start-Ziel-Geraden an und bremsen anschließend auf unter 100 km/h herunter, um die enge erste Kurve, den 180-Grad-Rechtsbogen 'San Donato' zu schaffen.

Dabei verzögern die nur in der MotoGP verwendeten Carbonbremsen derart hart, dass 1,7 g, also das 1,7-fache des Körpergewichts wirken und den Piloten förmlich nach vorne von der Maschine reißen wollen. Im Fall von Valentino Rossi, der etwa 65 Kilo wiegt, bedeutet dieser Faktor, dass er sich beim Anbremsen 110 Kilo schwer fühlt, also so als würde er einen Rucksack mit 45 Kilo Gewicht tragen. Dabei können die Piloten nur mit ihren Oberschenkeln den Tank umklammern und sich am Lenker festhalten.

Mit den Händen wird klarerweise auch ein Großteil der Bremsenergie durch die Betätigung des Hebels der Vorderradbremse eingeleitet. Hierzu sind rund acht Kilogramm an Kraft nötig, die in der Regel mit nur zwei Fingern aufgebracht werden. Im Rennen von Mugello passiert das beispielsweise 23 Mal beim harten Bremspunkt am Ende der Start-Ziel-Geraden, hinzu kommen unzählige weitere Verzögerungsmanöver über die gesamte Strecke. Übrigens: Um diese Bremskräfte erzielen zu können, müssen die Carbonscheiben eine Temperatur von rund 800 Grad Celsius erreichen. Ein Vulkan spuckt seine Lava mit etwa 700 Grad aus. Nur als Vergleich.

Schräglagen bis zu 65 Grad sind heute möglich, Foto: Repsol
Schräglagen bis zu 65 Grad sind heute möglich, Foto: Repsol

Die Kurvenfahrt

Ist das Motorrad ausreichend stark abgebremst, muss es um die Kurve befördert werden. Das geht umso schneller, je weiter es die Piloten schaffen, ihre Maschinen umzulegen. 65 Grad stellen hier aktuell das Maximum dar. Wohlgemerkt handelt es sich hierbei um die Schräglage des Motorrads an sich, während sich der Fahrer ja noch deutlich weiter aus seinem Sattel lehnt.

Derartige Schräglagen wurden erst in den letzten Jahren durch den extremen Fortschritt in der Reifenentwicklung möglich. Das Arbeitsfenster der Pneus von Bridgestone reicht bis zu einer Temperatur von 110 Grad. Die Slicks operieren also eine gesamte Renndistanz lang über dem Siedepunkt von Wasser.

Extreme Belastungen wirken auf die Reifen, was eine gewisse Robustheit nötig macht. Gleichzeitig müssen sie aber weich genug sein, um ausreichend Grip zu liefern. Umso beeindruckender wird diese Gratwanderung, wenn man bedenkt, dass die Auflagefläche pro Rad nur etwa der Größe einer Kreditkarte entspricht und neben den Kurvenkräften auch noch die gesamte Motorleistung von mehr als 260 Pferdestärken auf diesem kleinen Fleck kontrolliert werden muss.

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