Die späten 80er- und frühen 90er Jahre - also die Zeit, in der du gefahren bist - gelten als das goldene Zeitalter des Motorradrennsports. Warum?
Kevin Schwantz: Wir Fahrer und der Wettbewerb an sich waren damals einfach viel brutaler - in einem positiven Sinn. Damals gab es gute und böse Jungs. Jetzt will jeder nur noch der Gute sein.

Wer war denn damals der Bösewicht?
Kevin Schwantz: Für die meisten Leute war das wohl ich.

Dein aggressiver Fahrstil hat dich bei vielen Fans aber auch extrem beliebt gemacht.
Kevin Schwantz: Das habe ich mir aber nicht wirklich ausgesucht. Ich wurde durch mein Bike in gewisser Weise dazu gezwungen. Wenn die Suzuki auf einer Strecke funktionierte, dann war sie eine hervorragende Maschine. Wenn uns ein Kurs aber nicht so entgegen kam, dann konnte ich unmöglich gewinnen, sondern wurde vielleicht nur Siebter. Ich musste ständig so hart pushen wie nur irgendwie möglich. Manchmal ging das gut, manchmal eher weniger. An vielen Wochenenden war ich der schnellste Fahrer auf der Strecke, aber ich bin nicht immer ins Ziel gekommen. Deshalb musste ich in anderen Rennen dann noch aggressiver ans Werk gehen. Heute genieße ich es aber sehr, dass sich die Leute immer noch daran erinnern, dass ich in jedem Rennen 100 Prozent gegeben habe.

An welches Rennen erinnerst du dich am liebsten zurück?
Kevin Schwantz: Das beste Rennen meiner Karriere war sicher der Grand Prix von Japan im Jahr 1991. Es war der Saisonauftakt in Suzuka und wir waren in der Winterpause von Michelin zu Dunlop gewechselt. Bei den Testfahrten waren wir furchtbar und auch in den Trainings lief es schlecht für uns. Das Qualifying war dann okay und wir waren relativ weit vorne. Ich hatte einen annehmbaren Start und konnte mich schnell nach vorne kämpfen, bin dann aber sofort weit zurückgefallen. Zwischenzeitlich lag die gesamte Start-Ziel-Gerade zwischen mir und der Spitze. Es sah so aus, als wären wir völlig aus dem Rennen. In weiterer Folge wurde die Führungsgruppe aber immer langsamer und ich ständig schneller. So kämpfte ich in den letzten Runden gegen Wayne Rainey, Mick Doohan und John Kocinski um den Sieg. Am Ende habe ich gewonnen. Das war mein persönlicher Höhepunkt!

Zwei Jahre nach diesem Sieg bist du auf Suzuki Weltmeister geworden. Barry Sheene, Marco Lucchinelli, Franco Uncini und Kenny Roberts Junior haben fünf weitere 500ccm-Titel für Suzuki geholt. Damit gehört die Marke zu den erfolgreichsten Herstellern in der Geschichte der Königsklasse, aber seit Einführung der MotoGP 2002 konnten sie nur ein Rennen gewinnen und hatten nie eine Chance auf den Titel. Was sind die Gründe dafür?
Kevin Schwantz: Der Umstieg von Zweitaktmotoren zu Viertaktern hat Suzuki definitiv Schwierigkeiten bereitet. Sie hatten eine tolle 500ccm-Maschine, wie man an den Erfolgen bis zum Ende der Klasse 2001 sieht. Suzuki hatte damals auch schon große Erfahrung im Viertakt-Bereich, weil fast alle ihre Straßenmaschinen aus diesem Bereich kamen. In der MotoGP haben sie sich dann aber für ein V4-Aggregat entschieden, obwohl sie bei den Serienbikes immer Reihenmotoren verwendete hatten. Wieso sie das getan haben, weiß ich nicht.

In der neuen GSX-RR ist nun wieder ein Reihen-Vierzylinder verbaut.
Kevin Schwantz: Genau, damit haben sie ihr neues Motorrad wieder um eine Plattform gebaut, die sie von der GSX-R-Straßenmaschine sehr gut kennen. Es könnte aber auch sein, dass die Probleme bisher in einem anderen Bereich wie dem Teammanagement lagen oder das Budget einfach zu klein war. Ich war nie in das MotoGP-Projekt involviert, also ist es schwer, da eine genaue Diagnose abzugeben.

Schwantz auf der 500ccm Suzuki, Foto: Milagro
Schwantz auf der 500ccm Suzuki, Foto: Milagro

Mit Aleix und Maverick hat Suzuki aber auch ein ziemlich junges Fahrerduo verpflichtet. Sie sind erst 26 beziehungsweise 20 Jahre alt, Maverick war außerdem Rookie in der Königsklasse. Denkst du, es war eine gute Idee, ein MotoGP-Comeback mit diesen Fahrern zu starten?
Kevin Schwantz: Junge Piloten ohne Erfahrung können sich in der MotoGP vollkommen verlaufen, das stimmt. Aleix ist zwar zuvor noch nie in einem Werksteam gefahren, war aber schon einige Jahre in der MotoGP mit dabei. Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass das funktioniert. Die Situation erinnert mich an die Zeit, als Suzuki 1987 mit mir als Fahrer in die Weltmeisterschaft zurückgekommen ist. Ich war damals auch noch sehr jung und mein Teamkollege Kenny Irons war ein sehr routinierter Pilot. Das Team hat damals meine Rückmeldungen nicht so beachtet und mehr auf ihn gehört. Im Nachhinein betrachtet bin ich froh darüber.

Dani Pedrosa hatte auch ein Angebot von Suzuki. Denkst du, es wäre gut für ihn gewesen, zu wechseln?
Kevin Schwantz: Er hätte bei Suzuki sicher erfolgreich sein können. Vielleicht wäre ihm das Motorrad dort besser entgegen gekommen. Ich bin der Meinung, dass Veränderung immer etwas Gutes ist.

Aber du bist doch auch deine gesamte 500ccm-Karriere für Suzuki gefahren?
Kevin Schwantz: Das stimmt, aber ich wollte zwischenzeitlich zu Honda und Yamaha wechseln, was aber nicht geklappt hat.

Deine MotoGP-Karriere hat dann aber mit Suzuki ein positives Ende gefunden.
Kevin Schwantz: Ja, ich bin schließlich bei Suzuki geblieben und wurde dort 1993 mit dem besten Motorrad Weltmeister. Mein Titel ist ohne Zweifel auch diesem Bike geschuldet, das an jedem Wochenende siegfähig und sehr konstant war.

Als du deinen Titel geholt hast, warst du 29 Jahre. Dani ist nur ein Jahr ätler und fährt wie du seit seinem Aufstieg in die Königsklasse im selben Team. Denkst du, er kann es dir nachmachen und in einem etwas höheren Alter zum ersten Mal Weltmeister in dieser Klasse werden?
Kevin Schwantz: Piloten können heute viel länger fahren als zu meiner Zeit. Deshalb glaube ich, dass es für einen Fahrer in diesem Alter grundsätzlich absolut möglich ist, erstmals MotoGP-Weltmeister zu werden. Ob ich glaube, dass es Dani Pedrosa schaffen kann? Nicht wirklich. Er hat viele Chancen bekommen und auch immer wieder Rennen gewonnen, aber 2014 war er zum Beispiel nicht einmal nah dran, die Weltmeisterschaft für sein Team zu holen. Daher überrascht es mich, dass er immer noch die Gelegenheit bekommt, das beste Motorrad zu fahren.

Wer könnte denn in diesem Alter noch Weltmeister werden?
Kevin Schwantz: Valentino Rossi ist schon 36, aber ich denke, er hat immer noch eine gute Chance, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Er muss nur in der Startphase der Rennen etwas schneller sein. Das Motorrad ist stark genug und auch das Team hat viel drauf. Wenn sie diesen kleinen Schritt nach vorne schaffen, kann Valentino wieder Weltmeister werden.

Du bist zu deiner Zeit hauptsächlich gegen andere US-Amerikaner gefahren. Wie kann man sich das Verhältnis zwischen den Piloten aus dem gleichem Land vorstellen?
Kevin Schwantz: Es ist immer ein harter Kampf, sobald man den Helm auf hat und auf der Strecke gegeneinander fährt. Ich und meine Gegner wie Wayne Rainey, Eddie Lawson oder Randy Mamola waren am Sonntag nach dem Rennen aber alle wieder Freunde. Wir haben uns die Hände geschüttelt und sobald die Fahrer, die nicht gewinnen konnten, ihre Niederlage verdaut hatten, gingen wir gemeinsam essen oder tranken ein Bier zusammen. Wir hatten immer eine Menge Spaß miteinander. Das gibt es im modernen Motorradrennsport aber nicht mehr. Alles ist so professionell geworden. Die Fahrer haben so viele Verpflichtungen, dass sie gar keine Chance haben, einmal vom Rennsport Abstand zu gewinnen und einfach Menschen zu sein.

Apropos Mensch. Was hältst du davon, dass die Elektronik der Motorräder im Zuge der Einführung der Einheitselektronik etwas reduziert wird und so die Menschen, also die Fahrer, wieder zu einem wichtigeren Faktor zu machen?
Kevin Schwantz: Ich begrüße das absolut. Meiner Meinung nach sollte die Elektronik völlig verboten werden. Der Sport wäre so viel besser ohne!

Warum gibt es sie dann überhaupt?
Kevin Schwantz: Die Hersteller engagieren sich natürlich im Rennsport, um Produkte zu entwickeln, die Kunden dann auf der Straße nutzen können. Moderne Serienmaschinen brauchen eben Elektronik, um von normalen Leuten mit Freude bewegt werden zu können.

Denkst du, dass die Einheitselektronik das Feld 2016 näher zusammenrücken lässt?
Kevin Schwantz: Ja, ich glaube schon. Das wird die MotoGP wohl viel ausgeglichener machen. Die Honda beispielsweise ist sicher generell ein sehr schnelles Motorrad, aber sie hat wohl auch das beste Elektronikpaket. Es sollte also etwas leichter für Werke wie Suzuki oder Aprilia werden.

Wo liegt der Grund für die Krise des Motorradsports in den USA?
Kevin Schwantz: Ich denke, dass es mit unserer nationalen Meisterschaft zu tun hat. Früher hat man sich als Teamchef eines WM-Rennstalls in den USA nach Fahrern umgesehen, weil es hier so eine gute Serie gab. Viele Hersteller hatten Werksteams und es war unheimlich schwer, hier zu gewinnen. Wenn man das also geschafft hatte, konnte man sich in der Regel auch in der Weltmeisterschaft ziemlich gut schlagen. In den letzten 10 bis 15 Jahren ist es aber ständig bergab gegangen. Die Werke sind ausgestiegen, also hatten junge Fahrer nicht mehr so gute Chancen, zusammen mit einem Hersteller den Sprung in die Weltmeisterschaft zu wagen - egal ob bei den Superbikes oder in der MotoGP. Man muss die Schuld am Niedergang unserer Meisterschaft also bei der AMA suchen, die für den Motorradsport hier in den USA verantwortlich ist.

Siehst du einen Ausweg aus dieser Misere?
Kevin Schwantz: Wir haben jetzt mit Moto America eine neue Meisterschaft. Wayne Rainey ist da involviert und ich hoffe, dass die Serie wieder auf das Niveau kommt, auf dem sie einmal war. Wenn die Werke zurückkehren, gibt es auch wieder diese Pipeline für amerikanische Piloten in die Weltmeisterschaft.

Mehr Hintergrundgeschichten im Motorsport-Magazin

Dieser Artikel stammt aus der Print-Ausgabe von Motorsport-Magazin.com. Dort findet ihr ausführliche Interviews und exklusive Hintergrundgeschichten aus der Welt des Motorsports. Das Motorsport-Magazin ist ab sofort im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich. Oder bestellen Sie es am besten gleich online: