Die Konkurrenz machte große Augen, als Ducati bei den letzten Testfahrten vor Saisonbeginn 2015 in Katar plötzlich mit Flügeln an der brandneuen Desmosedici GP15 aufmarschierte. Links und rechts an der Verkleidung der Ducati waren nun kleine Winglets aus Carbon angebracht und direkt ging die Testbestzeit nach Bologna. Die gesamte folgende Saison stellte für Ducati einen großen Fortschritt dar, doch wie groß ist der Anteil des völlig neuen Aerodynamikkonzepts am Aufstieg der Roten? Und wie viel können Flügel an einem MotoGP-Bike überhaupt bringen? Motorsport-Magazin.com wagt eine Analyse:

Keine Neuheit

Flügel an den Seiten von Grand-Prix-Maschinen sind nicht neu. Yamaha experimentierte damit bereits in der 500ccm-Ära, genauer gesagt 1999. Das Ergebnis war ein siegloses Jahr für das Werksteam mit Max Biaggi und Carlos Checa. Die Flügel verschwanden nach Saisonende ebenso schnell von der YZR500 wie sie gekommen waren. 2010 griff Ducati erstmals die Idee auf, nachdem selbst der begnadete Desmosedici-Bändiger Casey Stoner in der Vorsaison mehrmals im Rennen gestürzt war. Der Grund war meist mangelndes Gefühl für und fehlende Stabilität am Vorderrad, der man so entgegen wirken wollte. Der Erfolg war enden wollend, Stoner wurde nur WM-Vierter und verließ Ducati in Richtung Honda. Im kommenden Jahr versuchten sich Nicky Hayden und Neo-Ducatisti Valentino Rossi mit den Winglets, gaben aber bald auf und fuhren den Rest der Saison flügellos.

Schon 2010 war Ducati mit Flügeln unterwegs, Foto: Ducati
Schon 2010 war Ducati mit Flügeln unterwegs, Foto: Ducati

Die bisherigen Versuche mit aerodynamischen Elementen abseits des gewöhnlichen Chassis waren also nicht von großem Erfolg gekrönt, dennoch wagte Ducati in diesem Jahr einen weiteren Anlauf. Nachdem die diversen Piloten der Desmosedici in den letzten Jahren immer wieder ein grottenschlechtes Einlenkverhalten attestiert hatten, sah sich Konstrukteur Gigi Dall'Igna zu diesem Schritt gezwungen. Mit mehr Anpressdruck am Vorderrad sollte die Ducati endlich dynamischer um die Kurven kommen. Andrea Dovizioso und Andrea Iannone bestätigten schon nach der ersten Ausfahrt, dass der Plan aufging. Die Konkurrenz überholen konnte man zwar auch damit nicht, man kam Yamaha oder Honda aber deutlich näher als in den letzten Jahren.

Als größte Ehre unter den Konstrukteuren im Rennsport gilt es ja, kopiert zu werden, und das gelang Dall'Igna mit seinen Flügeln. Zum Grand Prix von San Marino brachte plötzlich auch Yamaha Winglets an seiner Maschine an, wenn auch in einem anderen Bereich. Lagen sie bei der Ducati stets seitlich am Motorrad, trug die M1 ihre Flügel ganz an der Front. Ducati zog aber nach und brachte zusätzlich zu den bestehenden Winglets auch noch welche im Yamaha-Stil an - bereits ein relativ komplexer Flügelsalat. Ist damit schon der Zenit der Aerodynamik im Motorradsport erreicht? "Ich denke, dass wir in diesem Bereich schon fast das ideale Setup gefunden haben", glaubt Ducati-Mastermind Gigi Dall'Igna. "Große Verbesserungen sind wohl nicht mehr möglich." Tatsächlich gibt es in der MotoGP im Bereich Aerodynamik zwar noch mehr Luft nach oben als etwa in der Motoren- oder Chassisentwicklung, einen Stellenwert wie im Automobilrennsport wird sie hier aber nie einnehmen.

Motorrad nur bedingt Flügel-geeignet

Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Anpressdruck nützt nur dann etwas, wenn man ihn auch auf die Strecke bringen kann. Das ist bei einem Motorrad aufgrund der äußerst geringen Auflagefläche der Reifen nur bedingt möglich, berührt in den Kurven doch nur eine etwa Scheckkarten große Stelle pro Rad den Asphalt. Darüber hinaus ist ein Motorrad kein aerodynamisch stabiles Gebilde wie ein Auto, sondern bewegt sich ständig in mehrere Richtungen, wodurch nie ein gleichmäßiges Anströmverhalten erreicht werden kann.

Wenn Gigi Dall'Igna auch im Großen und Ganzen bereits den Zenit erreicht sieht, glaubt er doch noch an Verbesserungsmöglichkeiten für einzelne Grands Prix. "Wir können die Winglets sicher noch an einzelne Strecken anpassen", glaubt er. Dass die Winglets auf einzelnen Kursen zu Problemen führen könnten, zeigte sich bereits in dieser Saison. In Barcelona etwa liefen Iannone und Dovizioso Gefahr, mit ihren Flügeln an den hier etwas höheren Kerbs zu streifen und so zu stürzen. Die Enden der Flügel wurden daraufhin kurzerhand mit einer Art Schaumstoff beklebt, um den Piloten eine Chance zu geben, einen Bodenkontakt der Winglets zu spüren, ohne sofort abzufliegen.

Uneinigkeit bei Yamaha

Probleme, die bei Yamaha nie auftraten, da man die Flügel ja im oberen Teil des Motorrads angebracht hatte. Bei Lorenzo und vor allem Rossi standen die neuen Teile aber dennoch nie besonders hoch im Kurs. Lorenzo setzte sie zumindest in der Hälfte der sechs Rennen nach der Einführung in Misano ein, Rossi verzichtete völlig darauf und machte sich sogar über das große Interesse an den neuen Flügeln lustig. Der Altmeister sieht anscheinend keinen Grund für die Verwendung. Vielleicht ändert sich das mit der Einführung der Michelin-Reifen, die den Fahrer vor allem am Vorderrad eine Menge Probleme bereiten.

Kritisch beäugt werden die Winglets jedenfalls auch von den Regelhütern der MotoGP-WM. Bereits vor Saisonbeginn wurde festgelegt, dass die Flügel die maximale Breite des restlichen Chassis nicht überragen dürfen. Für das nächste Jahr wurden weitere Vorschriften festgelegt. Man befürchtet, dass die relativ scharfen Kanten der Winglets bei Kollisionen mit anderen Piloten zu Verletzungen führen könnten. Deshalb müssen nun alle Kanten in diesem Bereich einen Mindestradius von 2,5 Millimetern aufweisen.