Was war das für eine Ansage von Jorge Lorenzo! Mit der schnellsten je gefahrenen Motorradrunde in Valencia stellte er seine Yamaha M1 am Samstag auf die Pole Position und degradierte die Konkurrenz zu Statisten. Fehlerfrei, perfekt, weltmeisterlich - so der einhellige Tenor der Expertenwelt nach Lorenzos Fabelrunde. Er steht also auf Startplatz eins, sein großer Rivale Valentino Rossi nach der Strafe von Sepang nur auf dem 26. Rang. Erleben wir am Sonntag in Valencia ein normales Rennen, ist der Titel Lorenzo eigentlich nicht mehr zu nehmen.

Zu stark war er nicht nur im Qualifying, sondern auch bei den Rennsimulationen im Training. Dass in dieser MotoGP-Saison nur wenig normal ist, haben aber die letzten 17 Rennen gezeigt. Wir nehmen im Favoritencheck die Spitzenpiloten sowie ihre Chancen im Rennen unter die Lupe und erklären, was für Lorenzo und was für Rossi spricht. Das sind die Hauptdarsteller im Schlussakt des MotoGP-Dramas 2015:

Jorge Lorenzo: "Das war die beste Runde meiner Karriere", erklärte Jorge Lorenzo am Samstag mehrmals. Gemeint ist natürlich seine Qualifying-Runde, mit der er sich eine halbe Sekunde vom Rest des Feldes absetzen konnte. Eine Aussage, der man sich nur anschließen kann. An dieser Runde gibt es absolut nichts auszusetzen. Dass er aber nicht nur eine, sondern gleich viele schnelle Umläufe in Valencia fahren kann, zeigte Lorenzo kurz vor dem Qualifying bei seiner Rennsimulation im vierten Freien Training.

Lorenzo agiert an diesem Wochenende bisher souverän, Foto: Yamaha
Lorenzo agiert an diesem Wochenende bisher souverän, Foto: Yamaha

Mit 11 schnellen Runden fuhr er weniger als Marquez, Pedrosa oder Rossi und war in dieser Session auf einen schnellen Versuch auch langsamer als Marquez, doch die Konstanz in Lorenzos Longrun ist eine echte Drohung an die Konkurrenz. In acht seiner elf Runden blieb er unter der Marke von 1:31.6 Minuten. Zum Vergleich: Marquez gelang das vier Mal, Pedrosa zwei Mal, Rossi nur einmal. Zwei Mal lag Lorenzo noch im Bereich von 1:31.7, nur eine Runde war langsamer.

Zeigt er im Rennen einen seiner gewohnt guten Starts, wird ihm wohl niemand die Stirn bieten können. Rossi kann im Titelkampf also nur auf eines hoffen: Nervenflattern von Lorenzo. Ein WM-Duell im letzten Rennen ist eine Ausnahmesituation, die auch an den besten dieses Sports nicht spurlos vorbeigeht. Auch das Uhrwerk Lorenzo ist vor einem verpatzten Start oder einem Fehler im Rennen nicht gefeit. "Natürlich bin ich nervös", gestand der am Samstag. "Hoffentlich denke ich am Sonntag nicht zu viel nach und kann mich auf das Fahren konzentrieren. Meine Erfahrung sollte mir dabei helfen." Ist das der Fall, heißt der Weltmeister zu 99 Prozent Jorge Lorenzo.

Valentino Rossi: 20 Jahre ist Valentino Rossi in der Motorrad-Weltmeisterschaft schon dabei, doch diese Situation ist auch für ihn neu. Mit sieben Punkten Vorsprung geht er in das letzte Rennen, trotzdem ist er Außenseiter. Der Start vom Ende des Feldes erschwert seine Position ungemein. Rossis Rennanlage ist jedenfalls klar. Für ihn gibt es nur volle Attacke: "Für mich ist wichtig, einen guten Start zu erwischen. Außerdem darf ich in den ersten paar Runden nicht zu viel Zeit verlieren. Was dann passieren wird, weiß ich auch nicht. Ich werde aber bis zum Ende Vollgas geben."

Rossi wird am Sonntag alles aus seiner Yamaha herausholen müssen, Foto: Yamaha
Rossi wird am Sonntag alles aus seiner Yamaha herausholen müssen, Foto: Yamaha

Rossi sollte im Rennen eine gute Pace haben, er präsentierte sich das gesamte Wochenende über in Valencia stark. Die große Frage ist nur, wie lange er braucht, um durch das Feld nach vorne zu kommen. Viel wird davon abhängen, wie sich die anderen Piloten verhalten. Natürlich wird jeder auch auf sein Rennen achten, Rossi kommt aber definitiv sein Status als Superstar der MotoGP zu gute. Niemand möchte die Schuld dafür tragen, dass Rossi seinen zehnten Weltmeistertitel verpasst. So könnte er vielleicht schon nach wenigen Runden im Spitzenfeld liegen. "Ich glaube, er wird bald vorne sein", meint auch Erzfeind Marc Marquez. "Er hat ja auch schon oft von schlechten Startpositionen aus gewonnen."

Weiter als bis auf Rang vier hinter Lorenzo, Marquez und Pedrosa wird es für Rossi aber wohl nicht nach vorne gehen, wie er selbst bestätigt: "Die ersten drei Plätze sind praktisch unmöglich." Er muss also darauf hoffen, dass Lorenzo doch noch von den beiden Hondas oder anderen Piloten geschlagen wird. Ein dritter Platz des Mallorquiners würde Rossi nämlich zum Titelgewinn reichen, wenn er selbst Vierter wird.

Marc Marquez: Kann Marquez am Sonntag Lorenzo fordern? Unter Umständen. Gelingt es ihm, den Polesetter in einen Zweikampf zu verwickeln, ist alles möglich. Das hat er zuletzt in Sepang im Duell mit Rossi bewiesen. Will er Lorenzo nach dem Krieg mit Rossi aber überhaupt fordern? Man weiß es nicht. Es kann davon ausgegangen werden, dass Marquez' Wut auf Rossi noch nicht verflogen ist. Klar ist aber auch, dass sich Marquez einen Sieg vor ausverkauftem Haus in Valencia sicher nicht entgehen lassen will. Außerdem forderte auch HRC-Teamchef Livio Suppo von seinen Piloten vollsten Einsatz, um etwaigen Vorwürfen der Beeinflussung im WM-Kampf zu begegnen.

Auch Marquez' Worte am Samstag klangen nicht nach einem Nichtangriffspakt mit Lorenzo. Auf die Frage, ob er gegen seinen Landsmann in der letzten Runde um den Sieg kämpfen würde, fand Marquez eine deutliche Antwort: "Wenn das Risiko extrem hoch ist, muss ich natürlich aufpassen. Sobald sich aber eine Lücke bietet, werde ich sie nutzen." Vielleicht wird also gerade Marquez zum Königsmacher für Rossi. Es würde zu dieser kuriosen Saison passen.

Marquez will die Saison mit einem Sieg beenden, Foto: Tobias Linke
Marquez will die Saison mit einem Sieg beenden, Foto: Tobias Linke

Dani Pedrosa: Der Sieger von Motegi und Sepang war als Favorit vieler nach Valencia gekommen. Er befindet sich derzeit in überragender Form, hat sich aus dem Psychokrieg des Dreiecks Rossi-Lorenzo-Marquez fein herausgehalten und hat in Valencia eine überragende Bilanz mit schon sechs Siegen vorzuweisen. So richtig in Tritt kam Pedrosa das gesamte Wochenende über aber noch nicht, mit Lorenzo und Marquez konnte er sich kaum richtig messen. Er wird am Sonntag noch einmal kräftig zulegen müssen, will er ein Wörtchen um den Sieg mitreden. Darauf hofft sicher auch Valentino Rossi, der wohl eine Top-Zwei-Platzierung Pedrosas brauchen wird.

Andrea Iannone: Er ist vielleicht die größte Unbekannte in diesem dramatischen Saisonfinale. Dass er hier sehr schnell unterwegs sein kann, hat Iannone bereits mit zahlreichen Führungsrunden im Valencia-GP 2014 gezeigt und mit Bestzeit im diesjährigen dritten Training unterstrichen. Im Qualifying hatte er aber Probleme und geht nur von Platz sieben in Reihe drei ins Rennen. Iannone gilt aber als der vielleicht beste Starter im Feld, könnte also auch von Anfang an im Spitzenfeld mitmischen.

Auch bei ihm stellt sich die Frage, welches Ziel er abgesehen von seinem eigenen Ergebnis erfolgt? Iannone pflegt seit Jahren ein freundschaftliches Verhältnis mit Rossi und zeigte ihm im Training sogar an, er solle sich doch ein paar Runden lang an sein Hinterrad hängen, um davon zu profitieren. Es darf also durchaus vermutet werden, dass Iannone in einem Duell gegen Jorge Lorenzo mit einer Extraportion Motivation unterwegs wäre. Wenn es denn dazu kommt.

Iannone jagt Lorenzo - auch in Valencia?, Foto: Yamaha
Iannone jagt Lorenzo - auch in Valencia?, Foto: Yamaha

Die Tipps der Redaktion

Sophie Riga:Ich tippe auf Jorge Lorenzo als Sieger. Nach der Sensations-Runde im Qualifying und dem Wissen, dass jede verlorene Position für den Titel entscheidend sein kann, wird die 99 alles geben. Dahinter werden Marc Marquez und Dani Pedrosa ins Ziel kommen.

Sophies Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Marquez, 3. Pedrosa

Michael Höller: Valentino Rossi wird im besten Fall Vierter. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Jorge Lorenzo hinter beiden Hondas landen müsste, um den Titel zu verspielen. Das wird nicht geschehen, denn ich rechne ob seiner bereits am Samstag unter Beweis gestellten Entschlossenheit mit einem Sololauf von Lorenzo, der am Ende über seinen dritten MotoGP-Gesamtsieg jubeln wird.

Michaels Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Pedrosa, 3. Marquez

Tobias Ebner: Marc Marquez wird im Rennen das tun was er am besten kann - nämlich unfair fahren. Diesmal kommt es zur folgenschweren Kollision zwischen ihm und Jorge Lorenzo und dem daraus resultierenden Ausfall für beide. Damit darf Valentino Rossi seinen verdienten zehnten Titel feiern. Ungerührt dessen fährt Dani Pedrosa den Sieg souverän nach Hause und gewinnt vor Rossi, der eine beeindruckende Aufholjagd zeigt. Das Podium komplettiert nach einem überzeugenden Rennen Andrea Dovizioso.

Tobias' Top-3-Tipp: 1. Pedrosa, 2. Rossi, 3. Dovizioso

Annika Kläsener: Lorenzo wird an der Spitze einsam seine Runden drehen, während sich die beiden Honda-Piloten einen engen Zweikampf liefern. Dabei überhitzt Marquez seine Reifen und muss sowohl den Teamkollegen als auch den lauernden Aleix Espargaro ziehen lassen. Rossi pflügt zunächst durchs Feld, bleibt dann aber im wahrsten Sinne des Wortes an Bradl hängen - das Aus für beide. Dovizioso setzt seine Sturzserie an diesem Wochenende fort, während Wildcard-Starter Pirro bis auf Rang acht nach vorne fährt. Klingt unwahrscheinlich? Nach den Übersee-Rennen zu urteilen sicherlich nicht!

Annikas Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Pedrosa, 3. A. Espargaro

Lorenzo ist für die Redaktion Favorit auf den Sieg, Foto: Yamaha
Lorenzo ist für die Redaktion Favorit auf den Sieg, Foto: Yamaha

Marion Rott: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt - genau aus diesem Grund tippe ich auf Valentino Rossi. Nach dem Start ist er eh schon ca. Zehnter und die anderen spielen ihm durch ihre internen Rangeleien weiter in die Karten. Jorge Lorenzo muss mit einem technischen Problem aufgeben und Marc Marquez ist wieder einmal zu forsch und scheidet aus. Das Podest komplettieren nach einem rundenlangen Duell Andrea Iannone und Dani Pedrosa.

Marions Top-3-Tipp: 1. Rossi, 2. Iannone, 3. Pedrosa

Jonas Fehling: Ja, es wird schwer. Verdammt schwer. Vielleicht so schwer wie nie zuvor in der Karriere des Ex-Weltmeisters. Und ja, er startet auch bei Weitem nicht ganz vorne. Trotzdem ist noch alles drin, um das große Ziel zu erreichen - Punkte sollten für Stefan Bradl von Startplatz 13 absolut möglich sein. Die WM-Entscheidung? Achso, fast vergessen. Wird wieder richtig lecker mit MM93 und VR46 am Ende. Wie es ausgehen wird? So:

Jonas' Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Marquez, 3. Rossi

Andrea Blendl: Nach seiner beeindruckenden Qualifying-Leistung wird an Jorge Lorenzo morgen wohl kein Weg vorbeiführen. Marc Marquez war mehrfach hart am Limit und zeigt sich extrem motiviert, ich bin mir aber nicht sicher, ob er in diesem Stil bis ins Ziel kommt, während Dani Pedrosa fast genauso schnell, aber wesentlich sicherer unterwegs ist. Deshalb sehe ich Pedrosa auf dem zweiten Rang und lehne mich aus dem Fenster, Dritter wird Andrea Iannone. Immerhin sollen die Temperaturen morgen etwas kühler sein, und bei kühlerem Asphalt gelang ihm im FP3 auf der Ducati die schnellste Zeit.

Andreas Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Pedrosa, 3. Iannone

Markus Zörweg: Jorge Lorenzo ist im Rennen nicht zu schlagen. Er tritt gleich nach dem Start die Flucht nach vorne an und dominiert den Valencia-GP. Hinter ihm kommen die beiden Honda-Werkspiloten Marc Marquez und Dani Pedrosa ins Ziel, wodurch sich Lorenzo zum Weltmeister krönt. Valentino Rossi zeigt einen echten Husarenritt und kommt bis auf Platz vier nach vorne. Seine Glanzleistung bleibt schlussendlich aber unbelohnt.

Markus' Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Marquez, 3. Pedrosa