Eines der unglaublichsten Rennen der MotoGP-Geschichte liegt hinter uns, so viel steht fest. Strategiespiele von null bis zwei Boxenstopps, Fahrer die trotz Sturz auf dem Podium landen und ein fünftplatzierter Valentino Rossi, der am Ende doch der große Sieger war. Beim Grand Prix von Misano ging es aufgrund mehrfach wechselnder Witterungsbedingungen drunter und drüber. An der Spitze entschied schließlich die bessere Taktik den Dreikampf mit Jorge Lorenzo und Rossi zugunsten von Marc Marquez. Bradley Smith und Scott Redding, die ihn auf dem Podium flankierten, fuhren die zwei ungewöhnlichsten Rennen des gesamten Feldes. Motorsport-Magazin.com mit einer nicht alltäglichen Analyse:

Dreikampf der Superstars

Die Startphase: Eigentlich schien alles angerichtet für einen echten Bilderbuch-Grand-Prix in Misano. Die ersten Drei der Fahrer-Weltmeisterschaft standen in der ersten Startreihe - Lorenzo auf Pole, Marquez auf Rang zwei und Rossi auf dem dritten Platz. Auch das Wetter zeigte sich Sonntagmorgen wie schon das gesamte Wochenende über von seiner besten Seite. Strahlender Himmel über dem Misano World Circuit an der italienischen Adriaküste, allerdings nur bis kurz vor dem Start des MotoGP-Rennens. Dann verdunkelte sich der Himmel nämlich schlagartig und pünktlich zum Rennstart begann es zu regnen.

Lorenzo, Rossi und Marquez dominierten die Startphase, Foto: Repsol
Lorenzo, Rossi und Marquez dominierten die Startphase, Foto: Repsol

Die Piloten entschieden sich aufgrund des zunächst nur leichten Nieselns aber allesamt, mit Slicks in den San-Marino-GP zu starten. Eine Entscheidung, die sich für das Spitzentrio zunächst auch als richtig herausstellen sollte. Bei schwierigen Verhältnissen fuhren sie dem Rest des Feldes auf und davon, keiner der drei Ausnahmekönner zeigte auch nur die geringste Schwäche. Die Rundenzeiten von Lorenzo, Marquez und Rossi waren praktisch deckungsgleich. Beginnend in Runde fünf brachen die Zeiten an der Spitze dann auch geschlossen ein, der Regen war zu stark geworden. Im siebten Umlauf kam die Spitzengruppe dann im Formationsflug an die Box, getrennt nur durch wenige Meter.

Der erste Stopp: Durch die extrem knappen Abstände an der Spitze war klar, dass die Boxenstopps darüber entscheiden würden, welcher der drei Piloten als Erster wieder zurück auf die Strecke kommen würde. Jorge Lorenzo kam als Erster an seinem Standplatz an und sprang direkt von einem Motorrad zum anderen - perfekt! Valentino Rossi erreichte wenig später die Yamaha Box, baute aber wie gewohnt einen Zwischenschritt ein und verlor so nicht nur wertvolle Zeit, sondern rutschte auch noch hinter den überrundeten Ducati-Wildcardpiloten Michele Pirro zurück, der sich direkt vor Rossi wieder auf den Weg Richtung Strecke macht.

Marc Marquez, dessen Garage sich am Ende der Boxengasse befand machte es Lorenzo gleich und legte einen einwandfreien Sprung von einem Bike auf das andere hin. So fuhren Lorenzo und Marquez praktisch Seite an Seite bis zur Boxenausfahrt, wo sich der Yamaha-Pilot dann aber die Führung sicherte. Rossi sah sich bei den ersten Zwischenzeiten plötzlich mit fast vier Sekunden Rückstand konfrontiert.

Der Zwischenspurt: In den folgenden Runden auf regennasser Fahrbahn drehte Rossi vor der beeindruckenden Kulisse von mehr als 92.000 Fans am ausverkauften World Circuit von Misano so richtig auf. Innerhalb von sechs Umläufen hatte er nicht nur die vier Sekunden große Lücke zu Marquez und Lorenzo an der Spitze geschlossen, sondern ging auch direkt an seinem Yamaha-Teamkollegen und Weltmeisterschaftsrivalen vorbei. In Kurve eins übernahm er mit einem perfekt getimten Manöver die Führung. Hätten sich die Wetterverhältnisse von diesem Zeitpunkt an nicht mehr geändert, wäre Rossi wohl nicht zu schlagen gewesen. "Im Regen war Valentino klar am schnellsten", musste auch der spätere Sieger Marquez am Ende zugeben.

Doch das Wetter schlug ein zweites Mal an diesem Sonntag um. Der Regen hörte wieder völlig auf und die nach wie vor warme Strecke trocknete rasant auf. Die Regenreifen lösten sich zusehends auf und weiter zurück liegende Piloten wie beispielsweise Loris Baz entschieden sich schnell für einen Wechsel zurück auf Slicks. Im Fall des Franzosen, der am Ende Vierter wurde, machte sich die Entscheidung, in Runde 13 erneut zu stoppen, bezahlt. Doch an der Spitze wollte zunächst niemand das Risiko eingehen, im Falle eines erneuten Wetterumschwungs gegen die direkte Konkurrenz den kürzeren zu ziehen oder gar auf der teilweise doch noch feuchten Strecke zu stürzen.

Die zweiten Wechsel: Es war schließlich Marc Marquez, der als Erster der Top-Drei an die Box kam. Für den Repsol-Honda-Piloten ging es ja auch 'nur' um den Rennsieg und nachdem ihm seine Crew über das Pitboard angezeigt hatte, dass sie die Strecke nun für trocken genug hielt, entschied sich Marquez in Runde 18 für den zweiten Stopp. Die völlig richtige Entscheidung, denn mit Slicks zurück auf der Strecke war der Weltmeister bald um rund neun Sekunden schneller unterwegs als das Yamaha-Duo auf Regenreifen.

Rossi und Lorenzo warteten zu lange, Foto: Tobias Linke
Rossi und Lorenzo warteten zu lange, Foto: Tobias Linke

Doch Rossi und Lorenzo warteten weiter auf den ersten Schritt des jeweils anderen und blieben auch in der 19. Runde gemeinsam auf der Strecke. Einen Umlauf später warf Lorenzo in dieser Nervenschlacht dann aber das Handtuch und kam ebenfalls an die Box. Eine Entscheidung, die ihn wahrscheinlich an Rossi vorbei gebracht hätte, denn Lorenzo fuhr auf seiner Outlap bereits schnellere Sektorzeiten als sein Konkurrent. Doch im vierten Streckenabschnitt von Runde 21 landete der Mallorquiner dann zusammen mit seiner Yamaha unsanft im Kies. Sein Rennen endete in Kurve 15. Rossi hatte zwar die Chance auf den Sieg vertan, das Duell gegen seinen Teamkollegen aber einmal mehr gewonnen.

Das Finale: Nach dem zweiten Stopp hatten Marquez und Rossi ihre Positionen bezogen. Marquez lag knapp sieben Sekunden vor Smith in Führung und musste seinen Sieg nur noch nach Hause fahren. Rossi hatte als Fünfter etwas weniger als drei Sekunden Polster auf Danilo Petrucci, die er ebenfalls ohne größere Anstrengungen verwalten konnte.

Smiths Mutprobe

Gäbe es so etwas wie einen Preis für den mutigsten Fahrer in einem MotoGP-Rennen, dann hätte er am Sonntag in Misano ohne Zweifel an Bradley Smith gehen müssen. Als einziger Pilot fuhr er die gesamte Distanz ohne einen einzigen Boxenstopp durch, war also im teils heftigen Rennen mit Slicks unterwegs. Eine unglaubliche Leistung, für die jede Menge Furchtlosigkeit nötig ist, welche aber am Ende mit dem zweiten Platz und somit Smiths besten MotoGP-Ergebnis belohnt wurde.

Smith durfte über sein zweites MotoGP-Podium jubeln, Foto: Tech 3
Smith durfte über sein zweites MotoGP-Podium jubeln, Foto: Tech 3

"Das Glück hilft den Tapferen", hatte sich der Tech-3-Pilot während seinem Husarenritt ständig eingeredet, wie er nach dem Rennen verriet. Zwischenzeitlich war Smith aber dennoch überzeugt, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. "Ich habe es verabsäumt, in der gleichen Runde mit allen anderen hereinzukommen. Dann hat der Regen schon wieder nachgelassen und ich habe es einfach versucht. Als ich dann aber nur noch 2:18er-Zeiten gefahren bin, habe ich mich schon etwas dämlich gefühlt", schmunzelte der Brite.

Tatsächlich lag Smith nach dem Regenschauer in der ersten Rennhälfte zwischenzeitlich auf dem 23. Rang und war somit Letzter der noch im Rennen befindlichen Fahrer. Sein Rückstand nach 13 Runden betrug eine Minuten und 17 Sekunden. Doch dann trocknete die Strecke auf, es folgte die zweite Serie der Boxenstopps und plötzlich wurde Smith schlagartig nach vorne gespült.

Als alle Fahrer auf Slicks zurück gewechselt hatten, fand sich Smith auf Platz zwei, nur gut sieben Sekunden hinter dem Führenden Marc Marquez. Da setzte Smith sogar noch einmal zu einer Attacke auf den Sieg an und konnte seinen Rückstand auf unter sechs Sekunden drücken, musste fünf Runden vor Schluss aber die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens einsehen.

Redding vom Kiesbett auf das Podium

Vielleicht nicht das mutigste, dafür aber sicherlich das kurioseste Rennen des Tages lieferte Scott Redding. Er fuhr eine beherzte Startphase und kämpfte bis zur sechsten Runde gegen Iannone, Dovizioso und Co. um den vierten Platz, doch dann übertrieb er es in Runde sieben in Kurve vier und stürzte im Kies. Sein Rennen schien gelaufen, doch Redding kam an die Box zurück und wechselte auf sein zweites Motorrad. Zu seinem Glück war Runde sieben ziemlich genau der ideale Zeitpunkt, um ohnehin auf Regenreifen zu wechseln.

Redding ließ sich auch von seinem Sturz nicht verunsichern, Foto: MarcVDS
Redding ließ sich auch von seinem Sturz nicht verunsichern, Foto: MarcVDS

So verlor 'nur' rund 55 Sekunden auf die Spitze. Schadensbegrenzung also, vom Podium war Redding aber nach wie vor meilenweit entfernt. Doch dann sollte er ein zweites Mal in diesem Rennen Glück im Unglück haben. Der Marc-VDS-Pilot brachte seine Regenreifen nämlich überhaupt nicht auf Temperatur und fühlte sich damit furchtbar unwohl, was ihn schon in Runde 14 zu einem Wechsel zurück auf Slicks bewegte.

Redding war der erste dritte Pilot nach den beiden Forward-Fahrern Loris Baz und Claudio Corti, der ein zweites Mal stoppte. Es war eine goldrichtige Entscheidung! Während sich das Spitzentrio Rossi, Lorenzo und Marquez noch vier bis sieben Runden auf den bereits übel mitgenommenen Regenreifen quälte, brannte Redding mit Slicks bereits eine schnelle Runde nach der anderen in den Asphalt und nahm Leader Rossi in dieser Phase konstant mehr als zehn Sekunden pro Umlauf ab.

RundeRossiRedding
161:48.6901:39.482
171:48.3091:37.538
181:47.3771:36.818
191:46.8891:36.101
201:46.6801:35.836

So war Redding nach den Boxenstopps aller anderen Piloten auf Rang vier angekommen, auf Loris Baz und das Podium fehlten zu diesem Zeitpunkt aber immer noch knapp sieben Sekunden. Doch Redding holte auch auf Baz zwei bis drei Sekunden pro Runde auf und nahm drei Runden vor Schluss schließlich Rang drei ein, den er bis zur Ziellinie auch nicht mehr hergab.