Es ist angerichtet! Mit Marc Marquez, Jorge Lorenzo, Dani Pedrosa und Valentino Rossi starten die "Big Four" beim Großbritannien-GP in Silverstone von den Startplätzen eins bis vier. Die Ausgangslage für das zwölfte Rennen der Saison könnte damit vor allem aus Sicht der Fans kaum besser sein. Die beiden WM-"Streithähne" Lorenzo und Rossi sind von Anfang an nur durch wenige Meter getrennt, WM-Underdog Marquez verfügt als Pole-Setter über ausreichend gute Karten, weiter vom 52-Punkte-Rückstand auf die beiden Yamaha-Piloten abzuknabbern. Mit Pedrosa steht dem zweifachen Weltmeister dabei gar ein gefährlicher Adjutant zur Seite, der durchaus in der Lage scheint, Marquez mit einem starken Resultat im WM-Kampf unter die Arme zu greifen.

Doch wer ist nun der große Favorit auf den Sieg im englischen Motorsport-Mekka? Welcher der beiden Yamaha-Piloten darf sich am Sonntagnachmittag über die "echte" alleinige WM-Führung freuen? Motorsport-Magazin.com geht nach vier Freien Trainings und der Qualifikation in die Analyse – und wagt eine Prognose…

Die Siegfavoriten für Silverstone

Marc Marquez: Doppelter Pole-Rekord, ein Monster-Longrun von einem anderen Stern in FP4, zweite erste und zwei zweite Plätze in vier Freien Trainings: Kaum etwas spricht am Samstagabend gegen Superstar Marc Marquez. Der Sieger des Vorjahres zeigte sich von Beginn des Wochenendes an in Topform, steigerte seine FP1-Bestzeit bis zur Pole Position (2:00.234) um starke drei Sekunden. Spätestens seit seinem Auftritt in der "Rennsimulation" FP4 kann Marquez‘ Favoritenstellung jedoch kaum noch angezweifelt werden. Neun von zehn vollständigen Runden platzierte Marquez auf einem Reifensatz im Bereich von mittleren bis hohen 2:01er-Zeiten, war somit der einzige Pilot, der überhaupt unter die Marke von 2:02 Minuten kam.

Marc Marquez dominierte den Silverstone-Samstag nach Belieben, Foto: Repsol Honda
Marc Marquez dominierte den Silverstone-Samstag nach Belieben, Foto: Repsol Honda

Bereits in seinem Rookie-Jahr sah Marquez in Silverstone wie der sichere Sieger aus, wurde dann in der vorletzten Kurve noch von Lorenzo passiert. Im Vorjahr drehte Marquez den Spieß um, entschied einen rundenlangen und gleichermaßen harten Zweikampf mit Lorenzo durch ein spätes Manöver für sich. Wenig spricht gegen Teil drei der Saga im Jahr 2015. Marquez scheint allerdings wie auch im Vorjahr die Trümpfe auf seiner Seite zu halten…

Jorge Lorenzo: Der WM-Leader startete wie auch Marquez stark ins Silverstone-Wochenende, untermauerte mit der deutlichen FP3-Bestzeit (- 0,429 Sekunden) vor Marquez seine frühe Favoritenstellung. Das vierte Freie Trainings brachte dann allerdings die vorläufige Wende zu Ungunsten des Yamaha-Stars. Auf zwei Runden alten Reifen aus FP3 schaffte es Lorenzo nie, Marquez irre Longrun-Pace mitzugehen, verspekulierte sich bei seinem Stopp mitsamt seinem Team dann auch beim Setup, sodass ein zweiter Run in FP4 trotz frischer Pneus wenig Wirkung zeigte. Immerhin hielt Lorenzo seine Pace konstant zwischen mittleren bis hohen 2:02er-Zeiten, lag somit durchschnittlich jedoch knapp eine Sekunde pro Umlauf hinter Marquez.

Jorge Lorenzo könnte sich am Sonntag an der Spitze der WM-Wertung absetzen, Foto: Yamaha
Jorge Lorenzo könnte sich am Sonntag an der Spitze der WM-Wertung absetzen, Foto: Yamaha

Auf frischen Reifen und mit im Warm-Up erprobtem Rennsetup wird Lorenzo die Lücke zu Marquez definitiv wieder weitestgehend schließen können, jedoch scheint ebenso klar, dass sich auch MM93 bis zum Rennstart noch weiter steigern wird. Viel sollte bei der Neuauflage Marquez vs. Lorenzo in Silverstone vom Start abhängen. Kann sich der Yamaha-Star früh an die Spitze setzen und das Tempo diktieren, könnte Marquez‘ kleiner aber feiner Vorteil rasch verpuffen. Im umgekehrten Fall wird sich Lorenzo allerdings mächtig strecken müssen, seinen Widersacher nicht vorzeitig aus den Augen zu verlieren. Am Wahrscheinlichsten scheint jedoch einmal mehr ein enger Zweikampf zwischen den beiden Superstars, der erst in den letzten Runden entschieden wird. Zumindest WM-Rivale Valentino Rossi sollte Lorenzo aber am Sonntag kaum fürchten müssen.

Valentino Rossi: Der Doktor wendete einen desaströsen Start ins Silverstone-Wochenende mit Bravour ab und betrieb mit Platz vier im Qualifying mehr als nur Schadensbegrenzung. Mit einem guten Start wäre Rossi umgehend an der Spitze dran, könnte so sicherstellen, dass Marquez und Lorenzo nicht ohne weiteres bereits früh die vorentscheidende Lücke reißen. Schon oft in dieser Saison erwies sich Rossi im Rennen schneller als Teamkollege Lorenzo, zahlte jedoch einen hohen Preis für die Zeithypothek, die sich aus schlechtem Startplatz und Zeitverlust im anfänglichen Positionskampf herausbildete.

Allerdings sollte auch der gute Startplatz nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Doktor weder auf eine schnelle Runde noch im Longrun bislang ernsthafte Konkurrenz für Marquez und Lorenzo darstellte. Vor allem in FP4 lagen Rossis Zeiten bisweilen konstant knapp zwei Sekunden unter denen von Marquez – ein Defizit, dass auch mit einer weiteren "Rossi-Zauberei" von Samstag auf Sonntag nur schwerlich wettzumachen sein wird. Stand jetzt wird Rossi Lorenzo in der WM erstmals in Sachen Gesamtpunktzahl ziehen lassen müssen – die Frage bleibt, um wieviele. Mit einem Marquez-Sieg und Platz drei für Rossi läge der Altmeister lediglich vier Punkte hinter Lorenzo zurück. Nach dem bisherigen Verlauf des Wochenendes wäre der Doktor dann doch der heimliche Sieger von Silverstone.

Dani Pedrosa: Starke Steigerung in Speed und Konstanz über das Wochenende, Top-Zeit und -Platzierung im Qualifying, ordentliche Pace in FP4: Das wenig geliebte Silverstone-Wochenende entpuppte sich für den kleinen Katalanen in Diensten von Repsol Honda bislang als "überraschend" positiv. Während Pedrosa auf eine schnelle Runde nicht weit hinter Marquez und Lorenzo zurückliegt, offenbarte sich im Longrun allerdings ein weniger ermutigendes Bild. Trotz seiner Probleme in FP4 lagen Lorenzos Durchschnittszeiten noch unter denen von Pedrosa. Marquez spielte ohnehin in einer eigenen Liga.

Schafft Dani Pedrosa am Sonntag den Sprung aufs Podium?, Foto: Repsol
Schafft Dani Pedrosa am Sonntag den Sprung aufs Podium?, Foto: Repsol

Realistisch betrachtet geht es für Pedrosa am Sonntag nur um Platz drei, den er wohl abermals in einem Kampf mit Valentino Rossi ausfechten muss. Bereits am Sachsenring und in Indianapolis kreuzten die beiden Superstars spektakulär ihre Klingen – ein Szenario, das ohne Pedrosas heftigen Abflug samt Knöchelprellung auch gut und gerne in Brünn über die Bühne hätte gehen können. Der größere Wille des Doktors und die "Angst" vor einem größeren Punkte-Rückstand auf Lorenzo könnten und sollten in diesem ansonsten gleichen Duell allerdings die Entscheidung zugunsten des Italieners bringen…

Die Favoriten der Redaktion

Samy Abdel Aal: Bereits nach FP1 war ich mir sicher, dass der Sieg in einem packenden Duell Marc Marquez gegen Jorge Lorenzo ausgefochten wird. Obwohl Marquez für den Moment die Oberhand gewonnen zu haben scheint, gehe ich davon aus, dass der Rennverlauf am Sonntag dem des Vorjahres extrem ähneln wird. Letztlich hat Lorenzo mehr zu verlieren als Marquez und nimmt im Zweifel lieber den sicheren zweiten Platz, bevor er zu viel riskiert. Dahinter betreibt Valentino Rossi mit Platz drei massive Schadensbegrenzung im WM-Kampf.

Samys Top-3-Tipp: 1. Marquez, 2. Lorenzo, 3. Rossi

Andrea Blendl: Marc Marquez wird am Sonntag triumphieren. Keiner sonst konnte im FP4 in Rennabstimmung und dann auch im Qualifying schnelle Runden so konstant abspulen. Jorge Lorenzo kann zwar nicht die Pace von Marquez mitgehen, aber ist ansonsten wohl der Schnellste und Konstanteste im Feld. Ihm scheinen auch die vielzitierten Bodenwellen recht wenig auszumachen. Auf Platz drei sehe ich Dani Pedrosa. Der hatte im Qualifying viel Pech, wurde auf seiner schnellsten Runde aufgehalten. Ich glaube, da geht noch was. Mit Rossi rechne ich nur, falls das berüchtigte britische Wetter doch noch ein Regengebiet nach Silverstone ziehen lässt. Dann werden die Karten wieder ganz neu gemischt.

Andreas Top-3-Tipp: 1. Marquez, 2. Lorenzo, 3. Pedrosa

Die Redakteure von Motorsport-Magazin.com sind sich über den Sieger einig, Foto: Repsol Honda
Die Redakteure von Motorsport-Magazin.com sind sich über den Sieger einig, Foto: Repsol Honda

Tobias Ebner: Im Rennen dürfte kein Weg an Marc Marquez vorbeiführen. Nicht nur seine aus dem Ärmel geschüttelten Rundenrekorde im Qualifying, sondern auch seine beeindruckend konstante Leistung in FP4 lässt nur einen Schluss zu: Der Repsol-Pilot kann sich morgen eigentlich nur selbst schlagen. Bei allen Stehauf-Fähigkeiten von Yamaha am Sonntag, dieses Mal wird es nicht reichen. Lorenzo hat sich aber als zweite Kraft an diesem Wochenende etabliert, das Podium komplettieren wird Valentino Rossi.

Tobias' Top-3-Tipp: 1. Marquez, 2. Lorenzo, 3. Rossi

Michael Höller: An Marc Marquez führt kein Weg vorbei. Hoffentlich kann Jorge Lorenzo das Rennen aber lange offen halten und im besten Fall auch noch Valentino Rossi und Dani Pedrosa im Windschatten mitziehen.

Michaels Top-3-Tipp: 1. Marquez, 2. Lorenzo, 3. Rossi

Markus Zörweg: Alles läuft in Silverstone wieder auf einen Zweikampf zwischen Marc Marquez und Jorge Lorenzo hinaus. Ich erwarte wie in den letzten beiden Jahren ein enges Rennen, in dem aber erneut Marquez die Oberhand behalten wird. Valentino Rossi setzt sich im Kampf um Rang drei ebenso knapp gegen Dani Pedrosa durch und setzt seine Podiumsserie fort.

Markus' Top-3-Tipp: 1. Marquez, 2. Lorenzo, 3. Rossi