Der zweite Platz im Aprilia-Werksteam neben Alvaro Bautista ist einer der begehrtesten noch offenen für die Saison 2016. Stefan Bradl konnte an seinen beiden ersten Rennwochenenden auf der RS-GP in Indianapolis sowie Brünn durchaus überzeugen und seinem Teamkollegen regelmäßig die Stirn bieten. Dennoch gilt aktuell ein anderer Pilot noch als heißester Anwärter auf den Platz als Factory-Pilot: Sam Lowes. Der Brite verfügt über einen Vorvertrag mit dem Hersteller aus Noale, den er bereits unterschrieben hat. Die Sache hat nur einen Haken. Aprilia hat noch nicht seine Signatur daruntergesetzt.

Die Italiener finden anscheinend immer mehr Gefallen an den Leistungen Bradls, der so zum ernsthaften Konkurrent für Lowes wird. Wenig Schützenhilfe erhält der Moto2-WM-Vierte dabei von seinem aktuellen Teamchef im SpeedUp-Rennstall, Luca Boscoscuro. "Sam ist eines der größten Talente, die ich je gesehen habe. Ich würde ihn gerne in der MotoGP sehen, aber im Moment ist er meiner Meinung nach einfach noch nicht bereit dafür", fand der 91-fache-Grand-Prix-Starter bei GPone deutliche Worte. "Es wäre besser für ihn, noch ein Jahr in der Moto2 zu bleiben und zu versuchen, dort Weltmeister zu werden.

Hauptproblem Lowes', der im Vorjahr als amtierender Supersport-Weltmeister in die Moto2 gewechselt war, sei es, seinen Fahrstil an neue Gegebenheiten anzupassen. "Er slidet extrem viel. Bei fast jedem Bremsmanöver kommt er quer an. Sam bremst das Motorrad auf diese Art, anstatt die Hinterradbremse zu verwenden. Die Telemetriedaten zeigen uns, dass er nur fünf bis sechs Bar Druck auf den Bremshebel ausübt, während andere Piloten auf bis zu zwölf Bar kommen. Er ist das noch aus der Supersport-WM gewohnt, weil die Reifen dort gut dafür geeignet sind. In der Moto2 ist das anders, aber er hat sich noch nicht umgestellt", kritisiert Boscoscuro seinen Schützling.

Lowes ist für seinen spektakulären Fahrstil bekannt, Foto: motogp.com
Lowes ist für seinen spektakulären Fahrstil bekannt, Foto: motogp.com

In der Tat ist Lowes Fahrstil überaus riskant. Zwar zählt er zu den schnellsten Piloten im Feld, wie er mit seinem Sieg in Austin dieses Jahr eindrucksvoll bewies. Doch auch kaum ein anderer Fahrer stürzt so oft wie der 24-Jährige. In der Moto2 gehen diese Crashes meist noch glimpflich aus, mit den deutlich stärkeren, schnelleren und auch schwereren MotoGP-Maschinen kann sich das aber schlagartig ändern.

Rat an Aprilia

Boscoscuro geht sogar noch einen Schritt weiter und rät Aprilia ganz klar davon ab, Lowes unter Vertrag zu nehmen: "Wenn ich bei Aprilia das Sagen hätte, würde ich ihm einen Vertrag mit Option für 2017 vorlegen. So könnte er noch ein Jahr in der Moto2 reifen, denn aktuell würde er wohl nicht viel zur Weiterentwicklung des Motorrads beitragen. Und das sage ich als ehemaliger Fahrer und nicht als Manager." Ob sich Aprilia den Rat Boscoscuros zu Herzen nehmen wird, bleibt abzuwarten. Klar ist aber, dass die Meinung des 43-Jährigen, der als Entdecker von Ducati-Werkspilot Andrea Iannone gilt, durchaus ernstgenommen wird. Eine Tatsache, die Stefan Bradl nicht zum Nachteil gereichen soll.