Schneller. Immer schneller. Die MotoGP ist so schnell wie nie zuvor. Das ist große Klasse für uns Zuschauer. Aber es gibt auch Menschen, denen das echte Probleme bereitet. Siehe Stefan Bradl, der innerhalb eines Winters von einem Top-5-Fahrer zu einem der Absteiger der Saison mutierte. Was in erster Linie am Material und der ins Unfassbare gestiegenen Leistungsdichte der Königsklasse liegt. Aber um Bradl geht es hier nicht. Auch nicht um die gestiegenen Zuschauerzahlen und MotoGP-Feiertage wie zuletzt in Assen.

Die größte deutsche Sportveranstaltung am kommenden Wochenende am Sachsenring steht an - eine Motorsport-Demonstration. Die Vorfreude darauf ist riesig, bei Fahrern und Fans gleichermaßen. Die MotoGP 2015 begeistert alle. Alle? Nun ja, das dürfte so ganz nicht stimmen. Statt nach ganz vorne - wie sonst üblich - blicken wir nach ganz hinten und finden wenig Begeisterung für die MotoGP dieses Jahrgangs. Mit fast schon unheimlicher Konstanz hat nämlich ein ehemaliger Weltmeister den Aboplatz der roten Laterne sicher: Marco Melandri.

Ein 33 Jahre altes Trauerspiel auf zwei Rädern. Ein einziges Mal in dieser Saison ist er nicht vom letzten Startplatz aus ins Rennen gegangen: In Argentinien schaffte er es einmalig Alex de Angelis hinter sich zu lassen. Auch verlor er dort im Qualifying nur 0,6 Sekunden auf seinen Aprilia-Teamkollegen Alvaro Bautista. Respekt! Respekt vor allen Dingen dafür, dass sich der 250cc-Weltmeister des Jahres 2002 so etwas überhaupt antut. Natürlich wird der Gehaltscheck nicht von Pape sein, aber trotzdem muss es extrem hart sein, wenn man im Schnitt zwei Sekunden langsamer als der Teamkollege ist. Pro Runde wohl gemerkt!

Oder wie zuletzt in Assen überrundet wird. Hardcore für einen, der 2005 Vizeweltmeister in der MotoGP war. Folter für einen, der fünf Rennen in der MotoGP gewonnen hat, dazu noch sechsmal Zweiter und neunmal Dritter wurde. 20 MotoGP-Podestplätze. Wow. Davon kann ein Stefan Bradl nur träumen. Viele finden Marco Melandris aktuelle Performance anhand dieser Zahlen erbärmlich. Viele schämen sich fremd. Zu Recht? Ich weiß nicht. Kann einer der 22-facher Sieger von WM-Läufen das Fahren verlernt haben? Eigentlich unmöglich.

Ist er vielleicht zu alt? Mit 33 Jahren? Wohl kaum. In den letzten vier Jahren Superbike-WM hat er dort auf Yamaha, BMW und Aprilia 19 Rennen gewonnen. Aber wie ist dann solch ein Absturz zu erklären? Eigentlich gar nicht, aber versuchen wir es trotzdem. Marco Melandri hat nie drum gebettelt wieder in die MotoGP zurück zu wollen. Im Gegenteil.

"Nur mit Topmaterial", so Melandri vor zwei Jahren zum Autor dieser Zeilen. Am Flughafen Bologna ein zufälliges Treffen zwischen MotoGP-Reporter und Superbike-Star. "Ein Top Bike wird mir wohl in der MotoGP niemand mehr geben", so Marco damals schonungslos realistisch beim Cappuccino. "Da bleibe ich lieber bei den Superbikes. Hier kann ich Rennen gewinnen, nur darum geht es mir." Und jetzt? 2015 ist das Gegenteil der Fall. Fast schon schmerzhaft berührt beobachten Fans, Experten und alte Weggefährten die Melandri-Performance.

Und dabei braucht niemand zu denken, dass er nicht alles probieren würde. Oder glaubt irgendjemand da draußen, dass es einem 22-fachen GP-Sieger Spaß macht, sich selbst zu demontieren? Sicher nicht. Und ein Gehaltscheck heilt auch nicht alle Wunden. Marco Melandri ist auch ein wenig Opfer der aktuellen MotoGP-Situation. Nur weil er einen Vertrag mit Aprilia hatte, ist er überhaupt in der wohl schlimmsten Situation seiner Karriere gelandet. Es ist nicht seine Schuld, dass Aprilia etwas vorschnell alle Superbike-Werksaktivitäten einstellte, nur um in der MotoGP dabei zu sein.

Der langjährige Superbike-Testfahrer Alex Hofmann, hat mit den Bossen aus Noale etwas ganz Ähnliches erlebt. Und wenn man sich mal die Unterschiede zwischen Suzuki und Aprilia im Jahr 2015 anschaut, wird klar, dass die Italiener viel zu früh und sehr schlecht vorbereitet den Sprung in die erste Liga des Motorradsports gewagt haben. Alternativen für Melandri gab es eigentlich keine. Auf jeden Fall nicht, ohne vertragsbrüchig zu werden. Und das hätte viel Geld und Ansehen gekostet. Seiner Meinung nach wäre das schlimmer gewesen, als mit der permanenten roten Laterne seine sportliche Bilanz vielleicht für immer zu schädigen. Aber Melandri ist schlau.

Yamahas geplanter Superbike-Auftritt der nächsten Jahre wird von Andrea Dosoli vorbereitet, einem langjährigen Weggefährten von Marco Melandri. Und Dosoli weiß, wie schwierig es ist, mit unterlegenem Bike die sehr komplizierten Bridgestone-Reifen zum Arbeiten zu bekommen. Dafür fehlt Melandri anscheinend das Vertrauen. Und das Ergebnis ist ein Resultats-Trauerspiel eines großartigen Motorradrennfahrers. Melandri ist einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Aussitzen lautet das Motto des Mannes aus Ravenna, um 2016 mit Yamaha wieder Rennen in seiner geliebten Superbike-WM zu gewinnen.

Unmöglich ist das nicht. Aber auch kein Selbstgänger. Wer allerdings Max Biaggi mit 43 Jahren kürzlich bei seinem Comeback gesehen hat, kann sich vorstellen, was ein Melandri mit Topmaterial in der Superbike-WM leisten könnte. Das Beispiel Melandri zeigt, wie hart das MotoGP-Geschäft mittlerweile ist. Nur Karel Abraham und Melandri haben in diesem Jahr noch keinen WM-Punkt geholt. Aber haben wir Schreibtischtäter deshalb das Recht diesen Fahrern Motivation abzusprechen? Ich finde nicht.

Oder denkt irgendjemand, dass ein Eugene Laverty, Nicky Hayden oder wer immer in der MotoGP fährt, ein schlechter Rennfahrer wäre? Garantiert nicht. Was auch auf Stefan Bradl anzuwenden wäre. Die MotoGP 2015 ist gnadenlos und macht Weltmeister zu Statisten. Sicherlich bitter für die Einzelschicksale, aber natürlich auch nicht zu vermeiden. Deshalb sollte der Fan zu Hause aber nicht gleich mit dem Finger auf die zeigen, die hinterher fahren. Schließlich muss auch jemand Letzter werden. Und das wird auch am kommenden Wochenende Marco Melandri sein. Beim MotoGP-Fest am Sachsenring mit den wohl besten Fans der Welt, die genau wissen, dass alle, die in der MotoGP an den Start gehen, echte Helden sind. Auch Marco Melandri.