Dass die Startaufstellung in der MotoGP nur bedingt aussagekräftig für die Rollenverteilung im Rennen ist, wurde in dieser Saison bereits mehrfach bewiesen. Marc Marquez etwa stand vor dem Wochenende in Le Mans bereits drei Mal auf der Pole Position, konnte aber nur einen Grand Prix gewinnen. Valentino Rossi hingegen qualifizierte sich noch nie besser als auf Rang vier, gewann aber schon zwei Rennen. Wiederholt sich die Geschichte am Sonntag in Frankreich? Ist es wieder ein Yamaha-Pilot, der von hinten heranrast und Marquez um die Früchte seiner Arbeit bringt. Die Chancen dafür steht nicht schlecht, wie der Favoriten-Check von Motorsport-Magazin.com zeigt:

Marc Marquez: Das Qualifying am Samstag wurde zur Machtdemonstration von Marc Marquez. Mehr als eine halbe Sekunde brachte er zwischen sich und seinen ersten Verfolger Andrea Dovizioso, Jorge Lorenzo verlor als Dritter noch einmal eine Zehntelsekunde mehr. Doch im Rennen wird es der Repsol-Honda-Pilot schwer haben. Bei den Longruns in den Freien Trainings konnte er die Pace von anderen Piloten, allen voran Jorge Lorenzo, nicht mitgehen. "Es sieht so aus als hätte Jorge hier wieder einen sehr guten Rhythmus", stellte auch Marquez fest. "Ich fühle mich besser als in Jerez und bin wohl auch etwas näher dran, aber ich weiß nicht, ob es genug ist." Zweifel am Weltmeister scheinen also berechtigt, hinzu kommen nach wie vor die Folgen seiner Fingerverletzung, auch wenn er selbst das nicht mehr als Ausrede gelten lassen will: "Ich möchte meine körperliche Verfassung nicht mehr als Entschuldigung verwenden."

Marquez jagte seine Honda in Q2 mit vollem Einsatz um den Kurs, Foto: Repsol Honda
Marquez jagte seine Honda in Q2 mit vollem Einsatz um den Kurs, Foto: Repsol Honda

Andrea Dovizioso: Die große Wundertüte im Spitzenfeld ist einmal mehr Andrea Dovizioso. Nach drei zweiten Plätzen zum Saisonbeginn in Katar, Texas und Argentinien folgte mit dem neunten Rang in Spanien der erste Dämpfer. Doch Ducati testete im Anschluss ausführlich in Mugello und nun scheint man in Le Mans wieder konkurrenzfähig, zumindest im Qualifying. Was Dovizioso vom zweiten Startplatz aus im Rennen schaffen kann, ist ganz schwer zu sagen. Auch er selbst tut sich schwer, sein Leistungsvermögen einzuschätzen: "Wir haben eine gute Pace und können daher meiner Meinung nach um das Podium kämpfen. Man muss aber abwarten, wie konstant wir im Rennen sind." Sollten die Temperaturen am Rennsonntag niedrig bleiben, besteht für Ducati und Dovizioso unter Umständen sogar die Möglichkeit, den im Vergleich zu Honda und Yamaha weicheren Hinterreifen einzusetzen - ein Vorteil, vor allem in den frühen Phasen des Rennens.

Jorge Lorenzo: Der Jerez-Triumphator ist wohl auch in Le Mans wieder der große Favorit auf den Rennsieg. Hierfür gibt es gleich mehrere Gründe. Lorenzos dritter Startplatz mit sechs Zehntelsekunden Rückstand spiegelt keinesfalls sein wahres Potenzial im Qualifying wieder, denn der Yamaha-Pilot wurde von technischen Problemen behindert. Ein Sensor an seiner M1 war defekt, wodurch die Elektronik verrücktspielte und ihm viel Zeit kostete. Wie schnell er am Bugatti-Circuit wirklich ist, zeigte Lorenzo bereits in den Trainingssessions, wo er in den Longruns die beste Pace von allen Fahrern an den Tag legte und Runde um Runde wie ein Uhrwerk abspulte. "Wenn nichts eigenartiges passiert, sollte uns ein ähnlich konstantes Rennen gelingen", meinte der Mallorquiner nach dem Qualifying. Die Konkurrenz sollte also danach trachten, Lorenzo auf keinen Fall an der Spitze entkommen zu lassen, denn dann wird er praktisch nicht zu schlagen sein.

Jorge Lorenzo ist ein heißen Anwärter auf den Sieg, Foto: Yamaha
Jorge Lorenzo ist ein heißen Anwärter auf den Sieg, Foto: Yamaha

Valentino Rossi: Der überwiegende Teil des MotoGP-Starterfeldes hofft an diesem Wochenende in Le Mans auf einen trockenen Rennsonntag. Besonders gilt das aber für Valentino Rossi. Er stellte mit seiner Crew das Setup der Yamaha M1 nach dem dritten Training völlig um, konnte es dann nicht wie geplant in FP4 testen und ging völlig unvorbereitet in das Qualifying. Der so gesehen durchaus starke siebente Startplatz kam heraus, doch Rossi braucht noch mehr Zeit, um das Setup für das Rennen zu perfektionieren. Zwanzig trockene Minuten mehr oder weniger im Warm Up könnten entscheidend sein. "Ich hoffe wirklich auf gutes Wetter", verriet der WM-Leader am Samstag. Gelingt Rossi einmal mehr in letzter Minute ein perfektes Setup, ist ihm alles zuzutrauen. Er selbst rechnet aber mit einem Vierkampf an der Spitze, in dem er es sehr schwer haben wird: "Es wird wohl ein hartes Rennen, weil die drei Jungs in der ersten Reihe einfach extrem stark sind."

Die anderen Piloten: Cal Crutchlow ist als Vierter nach dem Qualifying erneut bester Kundenpilot. Mit einem beherzten Rennen könnte der LCR-Honda-Fahrer vielleicht den Sprung auf das Podium schaffen, gegen Marquez, Lorenzo, Rossi und Dovizioso wird es aber ganz schwer. Abbröckeln werden über die volle Renndistanz mit ziemlicher Sicherheit die körperlich angeschlagenen Andrea Iannone und Dani Pedrosa, die von den Rängen fünf und acht in den Grand Prix starten. Ganz schwer einzuschätzen ist Bradley Smith auf Startplatz sechs. Der Brite zeigte bereits mit der Tagesbestzeit am Freitag, dass mit ihm in Le Mans zu rechnen ist. Im Kampf um die Spitzenpositionen im Rennen fehlt ihm aber wohl noch die nötige Routine.

Cal Crutchlow mischt mit der Kunden-Honda wieder vorne mit, Foto: Milagro
Cal Crutchlow mischt mit der Kunden-Honda wieder vorne mit, Foto: Milagro

Die Tipps der Redaktion

Samy Abdel Aal: Marc Marquez sieht sich trotz überlegener Pole als Underdog gegen Jorge Lorenzo, der trotz Startplatz drei über eines der schlechtesten Qualifyings seiner Karriere spricht. Ich schenke dem ganzen Säbelrasseln jedoch keinen Glauben und sehe Marquez als den Sieger von Le Mans. Dahinter kämpfen Andrea Dovizioso und Valentino Rossi um den verbleibenden Podestplatz, den sich Dovizioso letztendlich sichern wird.

Samys Top-3-Tipp: 1. Marquez, 2. Lorenzo, 3. Dovizioso

Tobias Ebner: Es riecht morgen nach einem Zweikampf zwischen Lorenzo und Marquez. Unterm Strich war für mich Lorenzo an diesem Wochenende aber bisher zu stark. Er wird das Rennen in ähnlicher Manier wie in Jerez gewinnen. Dahinter sehe ich einen Dreikampf um Platz zwei zwischen Marquez, Rossi und Dovizioso. Wer sich hier durchsetzt, wird wohl von der Tagesform abhängen. Mein Tipp fällt trotz deutlicher Pole von Marquez auf Rossi und Dovizioso.

Tobias' Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Rossi, 3. Dovizioso

Schafft Rossi einmal mehr den Sprung auf das Podium?, Foto: Milagro
Schafft Rossi einmal mehr den Sprung auf das Podium?, Foto: Milagro

Michael Höller: Lorenzo und Le Mans - das passt einfach. Wenn er nach dem - Zitat - vielleicht schlechtesten Qualifying seiner Karriere - Zitat Ende - auf P3 steht, spricht das Bände. Nach seinem Sieg in Jerez hat er das Momentum einfach auf seiner Seite. Marc Marquez wird es ihm aber nicht einfach machen. Platz drei schnappt sich Rossi nach einem weiteren tollen Duell mit seinem neuen Lieblingsgegner Andrea Dovizioso.

Michaels Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Marquez, 3. Rossi

Markus Zörweg: Marc Marquez wird im Rennen mit Sicherheit nicht so überlegen agieren wie ihm das am Samstag im Qualifying mit mehr als einer halben Sekunde Vorsprung gelungen war. Jorge Lorenzo sollte dem Weltmeister Paroli bieten können und könnte vor allem in der zweiten Rennhälfte die Nase vorne haben. Deshalb heißt mein Favorit Lorenzo, der sich in einem Duell mit Marquez durchsetzen wird. Valentino Rossi kämpft sich von Startplatz sieben wieder einmal nach vorne und komplettierte als Dritter das Podium.

Markus' Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Marquez, 3. Rossi