Das Qualifying in Jerez hat eine sehr interessante Startaufstellung ergeben. Jorge Lorenzo scheint wieder richtig dick im Geschäft zu sein. Überrascht dich das?
Dirk Raudies: Lorenzo hatte zwar einen schlechten Start in die Saison, aber der hätte in Katar durchaus gewinnen können, wenn er nicht das Problem mit Helm gehabt hätte. Dann wurde er krank und darunter litt seine Kondition in Austin und Argentinien. Auch bei den Reifen haderte er zuletzt mit seiner Wahl. Hier in Jerez ist er quasi daheim, er ist körperlich wieder topfit und die Yamaha funktioniert besser als im letzten Jahr. Für mich überraschend war einzig, dass er jede Session dominiert hat.

Der Vorsprung im Qualifying war aber auch eine starke Leistung.
Dirk Raudies: Die Pole-Zeit war trotz dieser Hitze der Hammer, klar. Im Rennen wird es Lorenzo aber nicht so einfach haben. Valentino Rossi hat diesmal ja nicht "nur" seinen berühmten achten Platz, sondern ist sogar Fünfter. Mit einem guten Start mischt der aus der zweiten Reihe von Anfang an vorne mit. Jerez ist eine seiner Lieblingsstrecken und Rossi erlebt aktuell ohnehin seinen zweiten Frühling.

Wie siehst du die Chancen von Marc Marquez?
Dirk Raudies: Auch Marquez wird mithalten. Selbst wenn er aktuell sagt, das Ziel sei ein Podium und der Sieg sei nicht das Wichtigste. Solche Aussagen vergisst er, sobald er den Helm aufsetzt. Der kleine Finger wird nicht das große Problem sein.

Er hat auf mich heute in seinem ganzen Verhalten dennoch gebremster und gemäßigter gewirkt als zuletzt. Auf dich nicht?
Dirk Raudies: Ja, aber das ist meiner Vermutung nach ein Resultat seines Fehlers in Argentinien. Da war er zu hitzköpfig und wollte mit einer stumpfen Waffe kontern. Ich bin mir sicher, dass der kleine Finger an diesem Wochenende keine Rolle spielt, denn so etwas kann man mit einer Injektion betäuben. Das ist am Sonntag kein Thema.

Raudies ist 2015 Co-Kommentator der MotoGP-Übertragungen, Foto: Eurosport
Raudies ist 2015 Co-Kommentator der MotoGP-Übertragungen, Foto: Eurosport

Was traust du Ducati hier auf dieser Strecke zu?
Dirk Raudies: Iannone ist wieder in der ersten Reihe und auf Ducati darf man sicherlich gespannt sein. Die haben immer noch Optionen am Motorrad zu entwickeln, da ist im Laufe der nächsten Rennen sicher eine weitere Steigerung drin. Iannone meinte in der Pressekonferenz vorhin, er möchte um das Podium kämpfen. Vielleicht wird daraus ja auch ein Kampf um den Sieg. Er ist jung, er ist heiß und das Motorrad funktioniert sehr gut.

Auch bei Suzuki herrscht gute Laune. Espargaro meinte, das Motorrad laufe aus irgendeinem Grund ruhiger und sie können am Sonntag sogar den Soft-Reifen fahren. Kann er vielleicht überraschen?
Dirk Raudies: Suzuki hat Nachteile in der Motorleistung, die sich hier in Jerez nicht so krass auswirken. Zudem hatten sie nach vier, fünf Runden ein großes Chattering-Problem, das hier plötzlich nicht mehr auftritt. Das lässt vor allem für das Rennen hoffen und im Training haben sie hier gute Leistungen gezeigt. Vielleicht können sie morgen überraschen.

Ist Suzuki unter diesen Umständen mit einem etwas schaumgebremsten Marquez und nicht ganz so starken Ducatis genau zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Strecke?
Dirk Raudies: Ja, weil wir in den ersten Rennen klar gesehen haben, dass sie in den kurvigen Abschnitten bei den Schnellsten - teilweise sogar die Schnellsten - waren. Der Charakter der Strecke spielt ihnen sicher in die Karten. Und man darf nicht vergessen, dass es ja das erste Heimrennen für beide Fahrer ist. Das kann schon noch das i-Tüpfelchen ausmachen.

Stefan Bradl bleibt an diesem Wochenende leider nichts erspart. Gestern ein Sturz nach Elektronik-Defekt, heute ist er auch noch krank geworden. Darf er am Sonntag überhaupt an Punkte denken?
Dirk Raudies: Ihn hat leider die Grippe erwischt und die Zeiten sind so eng beieinander. Wenn man da eine halbe Sekunde verliert, weil man nicht hundertprozentig fit ist, ist man sofort weg vom Fenster. Er ist mit Platz 19 sicher nicht zufrieden und im Moment läuft es nicht wirklich gut für ihn. Nichtsdestotrotz sind Punkte am Rennsonntag drin, falls es ihm gesundheitlich besser geht.

Was erwartest du vom Rennen?
Dirk Raudies: Die Ausgangssituation lässt uns hoffen, dass es nicht nur zwei oder drei Fahrer gibt, die ganz vorne kämpfen, sondern vielleicht sechs bis sieben.