"Bei den Tests in diesem Jahr konnte ich sehen, dass ich meinen Fahrstil umstellen muss. Es widerspricht meinem Instinkt, anders zu fahren. Ich will mehr Zeit mit meiner Frau und meinen Kindern verbringen." Colin Edwards, ein Urgestein der Motorrad-Weltmeisterschaft, verkündete am zweiten Rennwochenende der Saison 2014, dass er ab dem kommenden Jahr nicht mehr im Starterfeld zu finden sein wird. Nur wenige Wochen danach verabschiedete sich der 40-Jährige frühzeitig: er fuhr auf heimischem Boden in Indianapolis sein letztes Rennen in der MotoGP.

Die Motorradwelt verliert eine ihrer schillerndsten Persönlichkeiten. Nicht immer politisch korrekt oder jugendfrei sagt Edwards immer genau das, was er denkt. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und war wahrscheinlich genau aus diesem Grund einer der beliebtesten Menschen im MotoGP-Fahrerlager. Edwards ist nach knapp zwölf Jahren in der Königsklasse einer der größten Charakterköpfe der Rennsportwelt.

Sein erster Trip über den großen Teich führte ihn 1995 in die Superbike-Weltmeisterschaft. Der Texas Tornado wirbelte von 1999 bis 2002 in der WSBK zwei Mal zum Titel und genauso oft zwischendrin zum Vizeweltmeister. Mit Troy Bayliss lieferte sich Edwards jahrelang atemberaubende Duelle, die in die Geschichte der Superbike eingingen, beide Fahrer zu harten Konkurrenten, gleichzeitig aber auch zu extrem angesehenen Fahrern machten. Die Bewunderung reichte bis zur Beförderung in die MotoGP. Bayliss und Edwards siedelten 2003 über, doch besonders der Texaner blieb in seinem ersten Jahr weit hinter den Erwartungen zurück. Ein sechster Platz in Suzuka war auf Aprilia das Beste, was er 2003 bieten konnte.

2005 bestritt Edwards sein erstes Jahr im Yamaha-Werksteam, Foto: Gauloises Racing
2005 bestritt Edwards sein erstes Jahr im Yamaha-Werksteam, Foto: Gauloises Racing

Edwards wechselte zu Gresini und pilotierte an der Seite von Sete Gibernau eine Honda, die er zwei Mal auf dem Podest platzieren konnte, womit er sich einen Werksvertrag bei Yamaha einhandelte. Dort fuhr er in den kommenden zwei Jahren an der Seite eines gewissen Valentino Rossi, der in beiden Jahren Weltmeister wurde, während Edwards zwar ein ums andere Mal aufs Treppchen fuhr, aber noch immer auf seinen ersten Sieg in der Königsklasse wartete. Zumindest verhalf er Yamaha zum Hersteller-Titel.

Nach eher mittelmäßigen Leistungen 2007 wurde Edwards im Folgejahr ins Tech-3-Team degradiert. Dort konnte er seinen Teamkollegen James Toseland deutlich distanzieren, was dem Briten den Rausschmiss und Edwards mit Ben Spies ein rein texanisches Team verschaffte. Während sein Landsmann 2011 ins Werksteam abwanderte, bekam Edwards einen weiteren Rookie-Teamkollegen: Cal Crutchlow. Die Saison wurde für den Haudegen - abgesehen von seinen Ergebnissen - zur Katastrophe. Unverschuldet wurde Edwards in den tödlichen Unfall Marco Simoncellis verwickelt und verletzte sich. Der physische Schaden verheilte bis 2012, die traumatische Erinnerung blieb.

Edwards wechselte zu Forward Yamaha, wo er bis zur Saisonmitte 2014 nicht wirklich zurechtkam und sich im Alter von 40 Jahren dazu entschied, den Helm an den Nagel zu hängen. Nach knapp 20 Jahren in den besten Motorradklassen der Welt, ohne MotoGP-Sieg, aber mit einem vierten Gesamtrang in der Königsklasse 2005 und mit zwei WSBK-Titeln ist der dreifache Familienvater der Meinung, dass er seine Aufmerksamkeit nun anderen Dingen widmen müsse. Motorsport-Magazin.com bat den Fan-, Fahrer- und Paddock-Liebling zu einem letzten Interview.

Die letzten beiden Karrierejahre verbrachte Edwards bei Forward Racing, Foto: Forward Racing
Die letzten beiden Karrierejahre verbrachte Edwards bei Forward Racing, Foto: Forward Racing

Warum hast du entschieden, schon vor Saisonende aufzuhören?
Colin Edwards: Ich kann nicht sagen, dass ich das wirklich entschieden habe. Das war eher eine gemeinsame Sache. Man hat gesehen, dass ich nicht gut mit dem Bike zurechtkam. Es gab einige Dinge, die wir haben sollten, aber nicht hatten und noch immer nicht haben. Es war eine gemeinsame Einigung zwischen Forward und mir. Sie wollten sich nach jüngeren Fahrern für nächstes Jahr umsehen. Wir hatten Probleme mit dem Chassis... Aber ja, es war einvernehmlich. Alles ist gut.

Da gab es Gerüchte, dass das etwas mit Rückenschmerzen oder deinem neuen Job als Reifentester zu tun hatte...
Colin Edwards: Damit hat es nichts zu tun. Mit meinem Rücken hat es auf jeden Fall nichts zu tun. Ich bin gesund - noch immer. Das mit dem Test-Job ist noch nicht unterschrieben, aber könnte eine Möglichkeit für meine Zukunft sein. Ich werde wohl einfach nur Reifen testen, mehr ist es nicht. Bisher ist das aber wirklich noch nicht bestätigt.

Welches war das beste Rennen deiner Karriere?
Colin Edwards: Wenn ich so auf meine Karriere zurückblicke war das wohl in der Blütezeit meiner Karriere das zweite Rennen in Imola 2002 im Kampf gegen Troy Bayliss. Das war wohl eines meiner besseren Rennen. Das war außergewöhnlich, sodass man wirklich sagen kann: das war mein bestes Rennen. Zwischen uns lag nur ein Punkt in der Gesamtwertung und wir hatten nur ein Rennen, um die WM zu entscheiden. Insgesamt hat sich die Weltmeisterschaft an diesem einen Wochenende entschieden. Das war genug. [lacht]

Seine größten Erfolge feierte Edwards in der WSBK, Foto: Motorsport-Archiv Börner
Seine größten Erfolge feierte Edwards in der WSBK, Foto: Motorsport-Archiv Börner

Welches war das schlechteste Rennen?
Colin Edwards: 2011 Malaysia mit Marco. Das war wirklich ein schlechtes Wochenende... für alle. Wir haben einen jungen, aufstrebenden Star verloren. Das war wirklich für alle fürchterlich.

Was ist deine beste Erinnerung abseits der Rennstrecke?
Colin Edwards: Oh Mist... da gibt's richtig viele. Also ganz abgesehen vom Rennsport bin ich mir da sehr sicher: das war mein Hochzeitstag und die Geburten meiner Kinder. Das sind meine besten Erinnerungen überhaupt.

Gab es eine lustige Begegnung mit einem Fan?
Colin Edwards: Jedes Jahr, das passiert ständig! 2011 stand ich beim Day of Champions auf der Bühne, war komplett auf Schmerzmitteln, weil ich ein gebrochenes Schlüsselbein hatte. Das war ziemlich witzig, also sicherlich auch die lustigste Erfahrung mit meinen Fans.

Was wirst du am meisten vermissen?
Colin Edwards: Das ist meine zweite Familie hier. Ich verlasse meine richtige Familie und komme hier jedes Wochenende her. Deshalb ist es eben meine zweite Familie. Es wird mir insgesamt fehlen, auf jeden Fall.

Unter Tränen gab Edwards in Austin seinen Rücktritt bekannt, Foto: motogp.com
Unter Tränen gab Edwards in Austin seinen Rücktritt bekannt, Foto: motogp.com

Wer war dein bester Rivale?
Colin Edwards: Das war eindeutig Troy Bayliss. Wir haben uns in seiner Blütezeit und in meiner Blütezeit die besten Duelle geliefert. Er war natürlich auch gleichzeitig der Fahrer, der am schwierigsten zu schlagen war.

Gibt es trotz deiner langen, erfolgreichen Karriere einen Fahrer, den du noch heute bewunderst?
Colin Edwards: Ich denke alle mögen Marquez. Er ist einfach das Gesamtpaket. Ihm steht eine glorreiche Zukunft bevor und ich bin gespannt, das zu beobachten.

Du bist für deine coolen Sprüche berühmt und dafür, dass du sagst, was du denkst.
Colin Edwards: Oh ja, ich sage, was ich denke.

Welcher war dein bester Spruch?
Colin Edwards: Du fragst Sachen! [lacht] Es gab richtig viele in den ganzen Jahren. Es wäre schwierig, mich da für den besten Spruch zu entscheiden. Wenn ich ehrlich bin: Ich vergesse auch viel davon. Ich wollte einfach immer ehrlich sein. Manchmal ist es eben angebracht, einen kleinen Witz einzubauen, um ehrlich zu sein. Eine genaue Erinnerung habe ich jetzt nicht. Es gab einfach zu viele.

Welcher war der glücklichste Moment deiner Karriere?
Colin Edwards: 2002, dieses letzte Wochenende war einfach wundervoll. Für die Leute, die es verpasst haben, ist es schwer zu erklären. Das ganze Wochenende war der Hammer. Ich hatte meine ganze Familie dabei, meine Frau war schwanger mit unserem ersten Kind... Das war einfach ein tolles Wochenende, eine gute Erinnerung.

Welcher Moment hat dich am meisten verärgert?
Colin Edwards: Da muss ich wieder mit Malaysia 2011 antworten...

2011 in Sepang war Edwards in den tödlichen Unfall von Marco Simoncelli verwickelt, Foto: Milagro
2011 in Sepang war Edwards in den tödlichen Unfall von Marco Simoncelli verwickelt, Foto: Milagro

Wirst du dir die Rennen nächstes Jahr noch anschauen?
Colin Edwards: Ja! Schon an dem Brünn-Wochenende dieses Jahr bin ich aufgewacht und habe bewusst nicht auf mein Telefon geschaut, um nicht vorher schon über den Ausgang des Rennens Bescheid zu wissen. Ich wollte ein Grand-Prix-Rennen genießen und es mir danach eben in Ruhe anschauen. Das war lustig. Ich bin mir sicher, dass ich mir die Rennen ansehen werde.

Welche Menschen haben dich während deiner Karriere am meisten geprägt?
Colin Edwards: Auf jeden Fall mein Dad. Er war mein ganzes Leben lang eine riesen Unterstützung. Was Helden und so angeht... Kenny Roberts Senior, Schwantz, Rainey - diese Jungs habe ich immer bewundert. Aber das ist schließlich normal, wenn du als Amerikaner in diesem Sport aufwächst.

Wie hat deine Familie reagiert, als du mit ihnen besprochen hast, dass du aufhören wirst?
Colin Edwards: Das war eine Entscheidung, die wir gemeinsam getroffen haben. Es war einfach an der Zeit. Ich bin jetzt schon seit 20 Jahren in Europa. Ich weiß nicht, ob irgendein anderer Amerikaner bisher eine 20 Jahre lange Karriere drüben in Europa hatte. Das ist eine lange Karriere und es ist einfach soweit.

Worauf freust du dich in deiner 'Rente' am meisten?
Colin Edwards: Ein bisschen Freizeit. Mein Leben sah immer so aus: du musst zu der Zeit dort sein, zu dieser Zeit ein Auto ausleihen, dann sehen wir dich zu der und der Zeit. Alles war immer durchgeplant. Ich hatte einen Komplett-Plan. Jetzt ist mein Plan etwas weniger umfangreich. Meine Frau wird mir trotzdem noch sagen, was ich zu tun und zu lassen habe, aber das ist ok. [lacht]

In Zukunft wird Edwards mehr Zeit in seiner texanischen Heimat verbringen, Foto: Forward
In Zukunft wird Edwards mehr Zeit in seiner texanischen Heimat verbringen, Foto: Forward

Wenn du nun auf deine lange Karriere zurückblickst: würdest du etwas anders machen?
Colin Edwards: Nein, gar nichts.

Was verbindest du mit dem Spitznamen 'Texas Tornado'?
Colin Edwards: Das begann... ich weiß gar nicht mehr. Ich glaube 1991 oder 1992. Ich gewann ein paar Rennen und die Cycle News in den USA schrieb das. Es ist irgendwie hängengeblieben. Ich finde es eh einen coolen Spitznamen, also habe ich ihn behalten.

Was machst du abgesehen vom Reifentesten im nächsten Jahr noch so?
Colin Edwards: Das weiß ich noch nicht. Ich werde auf jeden Fall öfter im Boot-Camp sein. Vielleicht werde ich auch ein bisschen kommentieren. Ich hänge bestimmt noch hier rum...

Bist du mit deiner Entscheidung glücklich?
Colin Edwards: Ja, absolut. Das ist genau der richtige Zeitpunkt.

Eine letzte Botschaft an die deutschen Fans...
Colin Edwards: Hoffentlich stehen die Karten gut, dass es bald einen neuen Alex [Hofmann] gibt, der dann in Zukunft zwei oder drei Rennen gewinnen kann, während ich diese mit Alex zusammen kommentiere. [lacht]

Dieses Interview stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Rund um Weihnachten veröffentlichen wir die besten, unterhaltsamsten und spannendsten Geschichten aus unserem Heft. Auf den Geschmack gekommen? Probiere das Motorsport-Magazin als Hochglanzmagazin aus! Unter folgendem Link kannst du unser Heft für 3 Ausgaben zum Sonderpreis bestellen:

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