Für Andrea Iannone ging im Sommer alles ganz schnell. "Ich kann mich gar nicht mehr genau erinnern, wann und wie mir die Ducati-Offiziellen von meiner Beförderung ins Werksteam berichtet haben", gesteht Iannone im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Zu rasant sei damals alles gegangen, um irgendwelche Details im Gedächtnis behalten haben zu können. "Ich bin aber sehr glücklich, dass mir Ducati diese Chance eröffnet. Das war mein großer Traum", stellt Iannone klar. Schon im Frühjahr wurde der 25-jährige Italiener als heißer Kandidat für die Nachfolge von Cal Crutchlow im Werksteam von Ducati gehandelt.

Beim Satellitenteam Pramac mit ebenbürtigem Werksmaterial versorgt, stellte Iannone den britischen Neuzugang ein ums andere Mal in den Schatten. Bis zur Sommerpause war Iannone bei zwei Ausfällen nur ein einziges Mal hinter Crutchlow ins Ziel gekommen. Die Gerüchte um und der Ruf mancher italienischer Gazetten nach der Ablöse des inferioren Briten wurden immer lauter. Nicht zuletzt, weil Crutchlow selbst eine Option in seinem Vertrag hatte, die es ihm erlaubte, bei schlechten Ergebnissen selbst einen Schlussstrich zu ziehen. Doch Ende Juli verkündete Crutchlow im Rahmen der "World Ducati Week", dass er seine Ausstiegsklausel nicht wahrnehmen werde und auch 2015 bei Ducati neben Andrea Dovizioso antrete. Iannone schaute durch die Finger und musste sich mit der Zusage aus Bologna zufrieden geben, dass er in der kommenden Saison bei Pramac dennoch Werksunterstützung erhalte.

Nach zwei Jahren bei Pramac geht es für Iannone ins Werksteam, Foto: Milagro
Nach zwei Jahren bei Pramac geht es für Iannone ins Werksteam, Foto: Milagro

Rund eineinhalb Wochen später sah die Sache ganz anders aus. Denn in den Wirren von Transferfristen und Vertragsparagraphen tat sich für Crutchlow eine Chance bei LCR und damit die Möglichkeit auf eine Factory Honda auf, weil sich Stefan Bradl zu überhastet für Forward Racing entschieden hatte. Bradls Pech machte Crutchlow glücklich. Noch glücklicher machte das allerdings Iannone, der plötzlich doch einen Vertrag als Werksfahrer für 2015 in der Tasche hatte. Am 2. August traf um 16:22 Uhr eine schlichte Presseaussendung im Posteingang der Motorsport-Magazin.com-Redaktion ein. "Die beiden Ducati Team Fahrer für 2015 sind nun Andrea Dovizioso und Andrea Iannone", hieß es dort im letzten der nur zwei Sätze langen Aussendung, die über Cal Crutchlows Abgang informierte. Für Iannone waren diese schnöden Worte die Krönung seiner Laufbahn in der Weltmeisterschaft, an der er bereits seit 2005 teilnimmt. Seinen Aufstieg zum offiziellen Werksfahrer kann Iannone noch immer nicht so richtig fassen. "Ich weiß nicht, wieso Ducati ausgerechnet mich ausgewählt hat. Natürlich bin ich davon überzeugt, dass ich ein starker Fahrer bin und meine Ergebnisse waren zuletzt gut. Ducati glaubt, dass ich die beste Wahl für sie bin - das ehrt mich natürlich sehr", freut sich der Italiener.

Für den Durchbruch in der Weltmeisterschaft brauchte der 25-Jährige etwas länger als andere Fahrer vor oder nach ihm. Am 4. Mai 2008 gelang ihm im Alter von 18 Jahren im erst 48. Rennen seiner Karriere in der Achtelliterklasse in Shanghai der erste Sieg. Drei weitere Erfolge und eineinhalb Jahre später gelang ihm der Aufstieg in die 250cc-Nachfolgeklasse Moto2. Mit diesem Wechsel ging Iannones Durchbruch in der Weltmeisterschaft einher. In seinem vierten Saisonrennen in Mugello stand er das erste Mal auf der Pole Position, siegte und sackte die schnellste Rennrunde auch gleich noch mit ein. Zwei weitere Saisonsiege folgten und am Ende des Jahres stand Iannone als Dritter der Gesamtwertung da. Das gelang ihm auch in den beiden Folgejahren und mit insgesamt acht Siegen und 19 Podestplätzen ist Iannone bis heute einer der erfolgreichsten Fahrer der noch jungen Moto2-Klasse. In diesen Jahren sicherte er sich auch seinen Spitznamen "Crazy Joe". Denn in der Moto2 war Iannone kein Manöver zu riskant, keine Lücke zu klein und kein Gashebel zu früh offen. Durch seine Aggressivität machte er sich viele Feinde unter den Fahrern, mit denen er auf der Strecke nie zimperlich umging.

In der Moto2 erarbeitete sich Iannone ein Image als knallharter Racer, Foto: Honda
In der Moto2 erarbeitete sich Iannone ein Image als knallharter Racer, Foto: Honda

Doch die Teamverantwortlichen der MotoGP wurden auf den risikofreudigen Italiener aufmerksam. So sicherte sich Ducati für 2013 Iannones Dienste und parkte ihn im Satellitenteam Pramac. Doch wie schon viele Piloten vor ihm musste es Iannone in der Königsklasse auf die harte Tour lernen. Stürze und Verletzungen prägten sein Premierenjahr in der MotoGP. Noch vor Saisonstart wurde ein angeknackster Lendenwirbel - eine Verletzung, die er noch bei einem Moto2-Sturz davontrug - diagnostiziert. Hinzu gesellten sich in den ersten Monaten der Saison Unterarmschmerzen und schließlich eine ausgerenkte Schulter nach einem Trainingssturz auf dem Sachsenring. Eine Verletzung, die Iannone an seinem erst achten MotoGP-Wochenende bereits zur ersten Pause zwang und die ihn auch für das Folgerennen in Laguna Seca außer Gefecht setzte. Die zweite Hälfte seiner Rookie-Saison stand somit eher im Zeichen der Regeneration denn des aggressiven Rennfahrens. Nur fünf Top-10-Plätze sorgten dafür, dass Iannone die WM nur an der zwölften Position abschließen konnte. Ein Umstand, der niemanden mehr ärgerte als den Italiener selbst. "Ich kann meinen Instinkten nicht so folgen, wie ich es gerne würde. Ich will den Kampfgeist, den ich immer hatte, wiederfinden. Ich will mit dem Wissen zu Rennen reisen, mit den besten Fahrern kämpfen zu können", sagte Iannone nach Saisonende 2013.

Der Durchbruch 2014

Und tatsächlich: 2014 sollte alles anders werden. Topfit und mit Werksunterstützung von Ducati war Iannone eine der positiven Überraschungen der ersten Saisonrennen. Rang sieben in Austin bedeutete sein bis dahin bestes Ergebnis in der Königsklasse, das er nur zwei Wochen später in Argentinien mit Platz sechs toppte. In Mugello stand er zum ersten Mal in seiner Karriere in der ersten Startreihe eines MotoGP-Rennens und erzielte an diesem Wochenende zudem seinen ersten Rekord in der Königsklasse. Im Training wurde er mit 349,6 km/h geblitzt. Nie zuvor wurde eine höhere Geschwindigkeit bei einem Fahrer in der Motorrad-WM gemessen.

349,6 km/h bedeuteten einen neuen Topspeed-Rekord, Foto: Milagro
349,6 km/h bedeuteten einen neuen Topspeed-Rekord, Foto: Milagro

Für Ducati musste Iannone aber auch immer wieder als Versuchskaninchen im Motorenbereich herhalten - die Kehrseite der Werksunterstützung für den Italiener. Da bei der roten Rennfraktion aus Bologna noch lange nicht alles glatt läuft, musste Iannone aber auch den einen oder anderen Defekt in Kauf nehmen. So ging ihm etwa in Indianapolis kurz nach Hälfte der Renndistanz der Motor hoch. Als Werkspilot ist Iannone ab nächster Saison im Hinblick auf die störrische Desmosedici auch als Entwickler gefragt. Eine neue Herausforderung, auf die er sich freut: "Das Motorrad ist nicht schlecht. Ich hoffe aber, dass wir in nächster Zeit noch einige Bereiche verbessern können. Das ist wichtig für meine Zukunft und für die Zukunft von Ducati." Denn Iannone hat große Pläne, die er im italienischen Dream Team mit seinem neuen Teamkollegen Andrea Dovizioso und dem Technikguru Gigi Dall'Igna in die Tat umsetzen will. "Irgendwann würde ich gerne so gut sein und ein so gutes Motorrad haben, dass ich in jedem Rennen um das Podium kämpfen kann. Das ist das oberste Ziel", gibt sich Iannone für die kommenden Jahre kämpferisch.

Die Erwartungshaltung ist hoch - vor allem wegen Ducatis hohem Selbstanspruch. Seit 2010 ist die italienische Marke in der MotoGP nun schon ohne Sieg. Ein Umstand, der vor allem dem sportlich stets erfolgreichen Eigentümer Audi sauer aufstößt. An Motivation und Arbeitseifer mangelt es Iannone aber nicht, der seinen Teil zu Ducatis Weg zurück an die Spitze der Motorrad-WM beitragen möchte. "Ducati-Fahrer zu werden, war immer mein Traum. Das ist eine ganz besondere Marke", stellt Iannone klar. Ab 2015 wird dieser Traum für den Italiener Wirklichkeit.

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