Es gab Gerüchte, dass Marc Marquez bald auch in der Moto2 fahren wird. Denkst du, dass so etwas heute noch möglich ist?
Freddie Spencer: Alles ist möglich! Wenn es irgendjemand schaffen kann, dann Marc. Man muss nur die Art beobachten, wie er Rennen gewinnt. Da erkennt man, dass er sich sehr schnell an neue Situationen anpassen kann. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.

Du hast es 1984 sogar geschafft, in den Klassen bis 250ccm und 500ccm Weltmeister zu werden.
Freddie Spencer: Das stimmt, und Marc war ja schon Moto2-Weltmeister. Ich war vor meiner Saison noch nie eine 250er-Maschine in der WM gefahren und generell hatte ich sechs Jahre lang kein Rennen mehr auf einer 250er bestritten. Aber es wäre trotzdem schwer für Marc. Der Leistungsunterschied zwischen den beiden Klassen ist groß. Was ihm zu Gute kommt, ist die Tatsache, dass sowohl die Moto2- als auch die MotoGP-Bikes Viertakter sind.

Spencer gewann als bisher letzter Pilot zwei Titel in einem Jahr, Foto: Milagro
Spencer gewann als bisher letzter Pilot zwei Titel in einem Jahr, Foto: Milagro

Ist der Unterschied zwischen einer Moto2- und einer MotoGP-Maschine kleiner als zwischen einer 250er und einer 500er?
Freddie Spencer: Ich denke schon. Zwischen einer 250er und einer 500er ist ein Riesenunterschied - die Bremspunkte, wo man einlenken muss, wann man wieder ans Gas gehen kann. Außerdem musste man die zwei Bikes ganz unterschiedlich fahren. Mit der 250er musste man mehr das Tempo mitnehmen, auf der 500er musste man hart bremsen, das Motorrad in die Kurve werfen und wieder voll hinausbeschleunigen. Das ist der Grund, warum damals sogar großartige 250er-Piloten wie Toni Mang oder Carlos Lavado auf den 500ern Probleme hatten. Es war schwieriger, diesen Übergang zu schaffen. Außerdem gab es damals noch keine elektronischen Hilfsmittel. Als Pilot warst Du die Elektronik. Man musste auf einer 500er-Maschine konstant vorausdenken. Das war das Schwierige.

Du warst der letzte Fahrer, der zwei Weltmeisterschaften in einer Saison gewonnen hat. Ist das ein Rekord, der dir viel bedeutet?
Freddie Spencer: Natürlich! Es ist ein unglaubliches Privileg, dass Leute sich 29 Jahre später immer noch erinnern, wie sie dich damals siegen gesehen haben. Das war eine großartige Chance für mich, aber auch unglaublich hart. Es gab viele Momente, in denen ich mir gedacht habe: 'Was zur Hölle mache ich hier nur?' Am Ende hat aber alles funktioniert.

Mit 23 Jahren war Spencer schon dreifacher Weltmeister, Foto: Honda
Mit 23 Jahren war Spencer schon dreifacher Weltmeister, Foto: Honda

Würdest du diese Leistung für etwas anderes eintauschen, zum Beispiel für mehr Weltmeistertitel in der 500ccm-Klasse?
Freddie Spencer: Ich habe viel darüber nachgedacht und jedes Mal überlege ich, ob meine Karriere länger gedauert hätte, wenn ich nur eine Klasse gefahren wäre. Aber wer weiß das schon? Das ist alles hypothetisch. Im Leben geht es nicht darum, sich zu fragen, was passieren könnte, sondern es einfach zu machen. In zwei Klassen zu fahren hat meine Karriere vielleicht etwas verkürzt, aber ich sehe es definitiv als Privileg an. Ich hätte nur eine Klasse fahren können und vielleicht wäre etwas anderes passiert.

Was war das Schwierigste daran, zwei unterschiedliche Motorräder in einer Saison zu fahren?
Freddie Spencer: Man muss die Umstände kennen. Honda war damals neu in der Motorrad-Weltmeisterschaft, jetzt sind sie schon seit Ewigkeiten dabei. Die Motorräder ändern sich heutzutage jedes Jahr nur minimal. Damals haben wir jedes Jahr große Veränderungen vorgenommen. Wir haben einige Dinge probiert, die vor uns noch niemand versucht hatte. Wir mussten einen komplett neuen Motor und ein neues Chassis entwickeln. Das war an sich schon schwierig. Für mich und das Team war aber das Schwierigste, dass wir immer zu wenig Zeit hatten. Damals waren die Trainings noch direkt hintereinander, ohne jegliche Pause. Sobald eine Klasse fertig und von der Strecke weg war, kam die nächste dran. Erst nach den Trainings beider Klassen war Zeit für die Nachbesprechung.

Du musstest dich also an alles erinnern.
Freddie Spencer: An alles, was ich nicht in einer sehr kurzen Zeit sagen konnte. Dann hatte ich in den zwei Klassen auch noch unterschiedliche Crews. Ich musste abseits der Strecke viele Stunden in mentales Training investieren, um das zu meistern.

Spencer gewann bei 72 Starts in der WM 27 Mal, Foto: Honda
Spencer gewann bei 72 Starts in der WM 27 Mal, Foto: Honda

Die Rennen waren zeitlich auch eng beieinander.
Freddie Spencer: Ja, ich war beispielsweise auf dem Podium, weil ich das 500er-Rennen gewonnen hatte und die 250er waren schon auf dem Weg in die Startaufstellung. Dann musste ich vom Podium runterlaufen, schnell so viel Wasser wie möglich trinken und dann auf der 250er rausgehen.

Du durftest ja nicht einmal Champagner trinken!
Freddie Spencer: Ich konnte es nicht mal richtig genießen! Darüber muss ich heute immer lachen. Jetzt würde ich mich so richtig feiern lassen. Ich wäre der Letzte, der das Podium verlässt, würde Champagner trinken und herumblödeln. Damals war ich immer so ernst, aber ich musste mich eben schon auf das nächste Rennen konzentrieren. Dann hatte ich nur die eine Runde in die Startaufstellung und die Aufwärmrunde, um mich an das Motorrad zu gewöhnen.

Marc sagte, dass man als Neuling in einer Klasse nie so schnell sein kann, wie die Piloten, die schon länger dort fahren. Siehst du das auch so?
Freddie Spencer: Er hat schon Recht. Auch wenn er früher in der Moto2 gefahren ist, hat sich die Klasse inzwischen doch weiterentwickelt. Der Unterschied ist aber nicht so gravierend. Er könnte sich sicherlich daran gewöhnen. Ich denke, wenn es jemand schafft, dann Marc.

Spencer traut Marquez ein Comeback in der Moto2 zu, Foto: Repsol
Spencer traut Marquez ein Comeback in der Moto2 zu, Foto: Repsol

Sonst niemand?
Freddie Spencer: Mir wurde genau dieselbe Frage gestellt, als Valentino 2001 das letzte Jahr auf der 500er gefahren ist. Da gab es auch diese Gerüchte. Hätte er es gekonnt? Mit Sicherheit! Davon bin ich überzeugt. Er ist ein großartiger Pilot, genauso wie Marc. Die zwei sind da aber schon besonders, weil sie einfach alles haben, was man benötigt, um ein Weltklassepilot zu sein. Man braucht mehr als nur Speed. Es geht darum, Dinge vorauszuahnen, denn es wird kein Wochenende geben, an dem man ohne jegliche Probleme durchkommt.

Ist Marc der Konkurrenz da in so vielen Bereichen voraus?
Freddie Spencer: Freddie Spencer: Es ist oft nicht viel, aber immer ein kleines Bisschen. In Silverstone etwa war er bereit, in manchen Bereichen etwas mehr zu geben und es machte sich bezahlt. Das ist etwas, das einen großartigen Piloten von einem guten Piloten unterscheidet. Diese Gabe, immer einen Weg zu finden.

Siehst du einen Fahrer in der MotoGP oder auch in den kleineren Klassen, der Marc in den nächsten Jahren konstant fordern könnte?
Freddie Spencer: Es geht nicht nur um Marc alleine. Auch das Team und das Equipment machen viel aus. Es ist wichtig, dass die Crew und das Bike zum Fahrer passen. Marc hat eine großartige Truppe, die er aus der Moto2 mitgebracht hat und das bedeutet ihm sehr viel. Solche Kleinigkeiten können den Unterschied ausmachen.

Also kann ihn niemand schlagen?
Freddie Spencer: Alex, sein Bruder. Der könnte es vielleicht schaffen. Er macht seine Sache sehr gut. Das wäre sicherlich interessant. Vielleicht werden wir es irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft sehen.

Marc Marquez' härteres Gegner kommt aus der eigenen Familie, glaubt Spencer, Foto: Repsol
Marc Marquez' härteres Gegner kommt aus der eigenen Familie, glaubt Spencer, Foto: Repsol

Was würdest du davon halten, wenn Marc und Alex in einem Team fahren?
Freddie Spencer: Ich habe das im Motorradsport noch nicht oft gesehen, aber dafür bei Autorennen, zum Beispiel die Bush-Brüder in der NASCAR. Da gab es ja echte Probleme, denn sie haben in den Duellen überhaupt nicht nachgegeben. Die Bushs haben sich manchmal sogar gegenseitig aus dem Rennen geschossen. Da fragt man sich schon, was da zwischen Marc und Alex passieren würde.

2016 wird es ein völlig neues Reglement und mit Michelin einen anderen Reifenlieferanten geben. Denkst du, dass wir dann einen anderen Fahrer sehen könnten, der so dominiert wie Marc jetzt?
Freddie Spencer: Ich gehe davon aus, dass Honda weiterhin stark sein wird. Durch die Einheitselektronik werden die Abstände aber wohl geringer werden. Die Reifen sehe ich nicht als großes Problem. Es gibt in diesem Herbst bereits die ersten Testfahrten mit Michelin, also sollte genug Zeit bleiben, um sich auf einen neuen Hersteller einzustellen und den Fahrern ein gutes Gefühl zu geben. Der entscheidende Faktor wird aber auch 2016 wieder die Anpassungsfähigkeit der Fahrer sein, denn die Motorräder werden sich anders anfühlen.

Viele Leute sehen ja die Elektronik als großen Vorteil der Honda. Wie siehst du das?
Freddie Spencer: Darüber wird es immer Spekulationen geben. Marc würde dir jetzt wahrscheinlich sagen, dass die Yamaha auch in einigen Bereichen stärker ist. Wenn du Jorge oder Valentino fragst, werden sie dir sagen, dass die Honda viel stärker ist. Wenn du Kenny Roberts fragst, wird er dir sagen, dass die Honda besser auf der Bremse war und ich sage, dass seine Yamaha besser beschleunigt hat. Man muss immer Kompromisse eingehen. Ein Motorrad ist nie perfekt.

Honda und Yamaha haben unterschiedliche Stärken, Foto: Milagro
Honda und Yamaha haben unterschiedliche Stärken, Foto: Milagro

Also wird sich durch die Einheitselektronik am aktuellen Kräfteverhältnis nicht viel ändern?
Freddie Spencer: Ich denke, dass Honda und Yamaha an der Spitze sein werden, genauso wie jetzt. Man muss abwarten, was mit Ducati passiert und auch mit Suzuki und Aprilia. Es wäre großartig, wenn sie auch mithalten könnten. Man wünscht sich ja mehr als nur zwei Hersteller, die gewinnen können. In der MotoGP ist es teilweise schon so, dass sich das Feld ziemlich auseinander zieht und man nicht so viele Zweikämpfe sieht. Es sind meistens nur zwei Piloten beisammen, während zu meiner Zeit zehn Fahrer in einer Gruppe waren, sich gegenseitig überholten und um den Sieg kämpften. Jeder will gutes Racing und ein ausgeglichenes Feld sehen, sodass es mehr auf den Fahrer ankommt. Das wünscht sich auch jeder Pilot. Mit Ausnahme vielleicht des Piloten, der den Vorsprung hat. Der wird sagen: 'Hey, mir geht's gut. Ich habe kein Problem mit dem Vorteil.'

Es wird immer Leute geben, die sagen, Marc ist nur so stark, weil die Honda so gut ist. Denkst du, dass es für ihn wichtig wäre, auf einem anderen Motorrad Weltmeister zu werden?
Freddie Spencer: Ich kann mir nicht vorstellen, dass er wechseln wird. Er ist so gerne bei Honda und fühlt sich dort wohl. Valentino zum Beispiel ist damals gewechselt, weil es ihn motiviert hat. Marc ist da etwas anders. Ihn motiviert es eher, bei seinem Team und seinen Leuten zu bleiben. Als Valentino auf der Honda gewonnen hat, haben auch alle gesagt, die Honda ist besser, aber Valentino hat den Unterschied ausgemacht, genauso wie es Marc jetzt auch tut. Das wird es immer geben. Das ist Teil des Sports.

Rossi wurde auf Honda und Yamaha Weltmeister, Foto: Milagro
Rossi wurde auf Honda und Yamaha Weltmeister, Foto: Milagro

Dani Pedrosa konnte Marc als Teamkollege bei Repsol Honda nie richtig fordern. Denkst du, es wäre für Marc schwieriger, wenn beispielsweise Jorge Lorenzo sein Teamkollege wäre?
Freddie Spencer: Ich weiß es nicht. Marc und Jorge fahren sehr unterschiedliche Stile. Die Yamaha und die Honda sind zwei grundverschiedene Bikes, also muss Jorge auch anders fahren als Marc. Man weiß nicht, wie Jorge mit der Honda zurechtkommen würde. Etwas, dass ihn aber von Dani unterscheidet und wodurch er vielleicht ein härterer Konkurrent wäre, ist, dass er ebenso aggressiv ist wie Marc. Sobald sich eine Chance bietet, nutzen sie die auch. Dani hat uns oft genug gezeigt, dass er gewinnen kann, aber man sieht selten, dass er sich Siege richtig erkämpft. Es ist nicht so, dass er nicht aggressiv sein könnte, aber das ist einfach nicht seine Art Rennen zu fahren. Er hat eine andere Herangehensweise. Wenn er zum Beispiel in Führung liegt, ist er nur ganz schwer zu schlagen.

Marc und du wart in etwa gleich alt, als ihr in die Königsklasse gekommen seid. Welche Unterschiede siehst du in puncto Reife zwischen euch beiden, sowohl als Fahrer als auch als Person?
Freddie Spencer: Nicht besonders viele. Marc hatte aber bei seinem MotoGP-Einstieg schon viel mehr Erfahrung in der Weltmeisterschaft. Er war zuvor schon zwei Mal Weltmeister. Ich bin zwei Rennen in der WM gefahren, bevor ich 1982 in meine erste 500ccm-Saison mit Honda gegangen bin. Das ist der größte Unterschied. Wir hatten aber beide schon viel Erfahrung was den Rennsport generell angeht. Ich bin bei meinem Einstieg schon 17 Jahre Rennen gefahren und das ist bei ihm ähnlich. Marc geht sehr überlegt und methodisch an die Sache heran, weiß genau, was wichtig ist, ist stets aufmerksam. Ich war genau gleich. Unsere Fahrstile sind vielleicht unterschiedlich, aber was die Persönlichkeit angeht, sind wir uns recht ähnlich.

Dieses Interview stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Rund um Weihnachten veröffentlichen wir die besten, unterhaltsamsten und spannendsten Geschichten aus unserem Heft. Auf den Geschmack gekommen? Probiere das Motorsport-Magazin als Hochglanzmagazin aus! Unter folgendem Link kannst du unser Heft für 3 Ausgaben zum Sonderpreis bestellen:

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