Ein Familienausflug am Wochenende: aus grünen Wiesen strömt sommerlicher Duft, wärmende Sonnenstrahlen erhellen den Tag, Vögel zwitschern verschiedenste Melodien, blühende Blumen leuchten in ihrer vollen Farbpracht, eine Decke, auf der Eltern und Kinder Platz nehmen, naschen und lachen. So oder so ähnlich mag für viele die Wunschvorstellung eines Picknicks im Grünen aussehen. Bei den Simoncellis sah ein Familienausflug etwas anders aus: Sie fuhren zur Rennstrecke, fieberten mit, genossen den Sound der Motoren und trafen sich nach Trainings, Qualifyings und Rennen zum gemeinsamen Essen und Kartenspiel.

"Für uns war dieser Sport wie ein Spiel zwischen Freunden, ein Wochenende zusammen, wie ein Picknick, nur mit Motoren. Ein Landausflug zu den Rennstrecken, wo der Wettbewerb weiter wuchs, weil Gewinnen das Ziel war, denn Gewinnen brachte Adrenalinstöße und eine unglaubliche Befriedigung", schildert Luca Pasini, Mattia Pasinis Vater und Gründer des Pasini Mini Project Teams, in dem Marco Simoncellis Karriere begann. Der Italiener wuchs mit dem Rennsport auf. Spielerisch vermittelte ihm sein Vater die Leidenschaft, die er lebte, liebte und mit der er später Grand-Prix-Siege und Titel einfuhr.

Mit Hilfer seiner Familie kämpfte sich Simoncelli durch die kleinen Klassen nach oben, Foto: Milagro
Mit Hilfer seiner Familie kämpfte sich Simoncelli durch die kleinen Klassen nach oben, Foto: Milagro

Paolo Simoncelli genoss es, seinen Sohn auf dem Motorrad zu sehen, sprach ihm Mut zu, verbrachte ganze Tage auf Rennstrecken und war stolz auf ihn. Er erinnert sich: "Zunächst lief alles gut, aber dann wollte Marco sein Knie auf den Boden bringen: Es schien einfach, aber sein Knie in einer Kurve nach unten zu bekommen, war für Marco eine große Leistung. Wir waren auf der Strecke in Miramare, als er es zum ersten Mal tat. Er hielt an und war überglücklich. Ich kann mich heute noch daran erinnern. Er war so aufgeregt: 'Dad, ich habe mein Knie auf dem Boden schleifen lassen!' Für ihn war es fundamental, noch wichtiger, als schnell zu fahren und sobald er es gelernt hatte, wollte er es auch auf der Geraden versuchen. Er lehnte sich zur Seite, obwohl er es gar nicht musste. Wunderbar!"

Valentino Rossi dazu: "Sic hatte eine wundervolle Beziehung zu seinem Vater, die meiner Meinung nach bei einem 24-Jährigen sehr selten ist." Beim neunfacheb Weltmeister sah es etwas anders aus. "Ich habe zwar eine großartige Beziehung zu meinem Dad, aber manchmal bin ich lieber mit meinen Freunden zusammen. Ich denke, das ist normal. Aber in seinem Fall, scheiße, vielleicht war sein Vater ja sein bester Freund. Das ist etwas Besonderes. Denn normalerweise rückt man erst nach ein paar Jahren wieder so eng zu seinem Vater, will mit 20 Jahren einfach sein eigenes Ding durchziehen."

"Mein Dad und ich haben eine wundervolle Beziehung", sagte Simoncelli einst. "Er ist der Einzige, der alle meine Rennen gesehen hat, vom allerersten Mal auf dem Minibike bis heute. Wenn wir bei den Rennen sind, handeln wir automatisch. Er weiß, was ich brauche und wir müssen nicht einmal miteinander reden, wir verstehen uns blind. Er ist ein Vater und ein Freund... manchmal auch ein etwas angepisster Freund!" Das wundersame Vater-Sohn-Verhältnis nahmen nicht nur Paolo und Marco selbst wahr. Auch Freunde bewunderten die Familie, während die Gegner anderer Meinung waren. "Wenn man eine Person als Rivalen ansieht, dann sieht man nichts Positives. Je mehr die Leute mir gegenüber gut von Marco sprachen, desto weniger verstand ich, was sie meinten. Ich fand ihn seltsam und ich fand auch seine Familie seltsam", gab Andrea Dovizioso zu.

Dovizioso und Simoncelli waren seit ihrer Kindheit oft Gegner, Foto: Milagro
Dovizioso und Simoncelli waren seit ihrer Kindheit oft Gegner, Foto: Milagro

Die beiden Italiener waren ähnlich aufgewachsen, fuhren in sämtlichen Meisterschaften gegeneinander und entwickelten schon früh ein starkes Konkurrenzverhältnis. Als Simoncelli starb, begann Dovizioso seine Meinungen zu überdenken. "Nun muss ich zugeben, dass man seine Familie nur bewundern kann. Das sind wundervolle Leute und die einzige Familie, die bei jedem Rennen dabei ist - egal, ob in Italien oder irgendwo anders auf der Welt. Eine echte Familie, wie die in den Filmen, die auf unsere Welt trifft." Der heutige Ducati-Pilot ist überzeugt, dass derartige Familienbeziehungen im Fahrerlager sonst nicht zu finden sind. "Aber das ist eine Familie, die immer wie eine wirkliche Familie leben wollte. Es ist besonders in der heutigen Grand-Prix-Welt wundervoll, sowas zu sehen; wie aus einer anderen Ära."

Die Welt des Marc Marquez

Wie eine wahre Familie leben auch Julia, Alex, Marc Marquez und Roser Alenta - allerdings nur zu Hause. "Wenn ich zu Hause bin, verbringe ich all meine Zeit mit Alex. Was er tut, mache ich auch und was ich tue, macht er auch. Darum bleiben wir uns an den Rennstrecken lieber fern", sagt Marc Marquez über seinen Bruder, mit dem er zu Hause Tag für Tag trainiert. "Es ist ein großer Vorteil für uns beide, dass wir mit Motorsport zu tun haben. Wir denken einfach gleich. Wir denken immer über dieselben Dinge nach und du weißt, dass du nie alleine trainieren musst." Das Teamwork funktioniert auch im Haushalt. "Ich decke den Tisch immer vor dem Abendessen und Alex muss abräumen. Das war schon immer so", lacht der Champion.

"Die beiden waren immer gute Freunde. Vielleicht weil sie beide jung sind und schon immer die gleiche Leidenschaft hatten. Jetzt, wo sie beide erwachsen sind, helfen sie sich gegenseitig", beschreibt Roser Alenta. Papa Julia Marquez ergänzt: "Wenn ich meine Jungs sehe, sind sie immer am zanken - wie das bei Jungs eben so ist. Aber du siehst sie streiten und zwei Minuten später lachen sie schon wieder, vertragen sich und wollen dieses oder jenes gemeinsam tun. Als Eltern sind wir stolz darauf, dass wir zu Hause so eine tolle Atmosphäre geschaffen haben." Von dieser Atmosphäre profitiert heute besonders das Team des Weltmeisters. "Seine Familie hat ihn perfekt auf alles vorbereitet. Er hat einen klaren Kopf und ist sehr ehrlich. Wenn er vor einem Mikrofon steht, sagt er die Dinge so, wie sie sind, ohne jemandem auf die Füße zu treten. Der Junge weiß, wo er hin will und was er sagen kann und was nicht", bestätigt Pepe Aznar, der bei Repsol für Presse und PR zuständig ist.

Marquez strahlt in gewohnter Weise: "Wir waren schon immer eine tolle Familie und da ist es umso wichtiger, das an der Rennstrecke zu trennen. Es ist gut, eine ruhige und stabile Familie und Umgebung zu haben. Das ist mir überall wichtig." An den Rennwochenenden ist seine Crew für den 21-Jährigen die Familie. Er ist immer bei seinem Team, beobachtet jeden Handgriff, lacht und sitzt auch am Abend gemeinsam mit seinen Leuten am Tisch. "Ich mag es familiär. Wenn man auch privat gut zurechtkommt und damit eine eingeschworene Gruppe ist." Marquez zeigt besonders an der Technik großes Interesse, da er als Kind zunächst selbst Mechaniker werden wollte. Aber alles kam anders.

Marquez setzt sich mit seinem Motorrad besonders genau auseinander, Foto: Repsol Honda
Marquez setzt sich mit seinem Motorrad besonders genau auseinander, Foto: Repsol Honda

Mit vier Jahren saß Marquez zum ersten Mal auf einem Bike. "Meine Eltern waren freiwillige Helfer in einem Motocross-Club. Meine Mutter war dort an der Bar und machte die Sandwiches. Mein Vater saß im Ticket-Büro und war der Abwinker. Ich verbrachte die Tage an der Strecke, saß herum und beobachtete die Motorräder. Das konnte ich ewig tun. Irgendwann bekam ich ein Bike und wartete dann immer ganz ungeduldig, bis die Rennen der Älteren vorbei waren. Danach durfte ich auf die Strecke und konnte üben", erinnert er sich. Da seine Eltern viel arbeiteten, verbrachte Marquez viel Zeit bei seinem Großvater. "Marc ist als das Kind aufgewachsen, welches er ist und war. Er war immer ein sehr gutes Kind. Du musstest dich nie über ihn ärgern. Er war immer ein guter Junge. Locker drauf, würde ich sagen", schwelgt Opa Ramon Marquez in Erinnerungen.

Nach einem Grand Prix wertet Marquez das Rennen immer mit seinem Großvater aus. "Er sieht alles mit seinen eigenen Augen und natürlich ist sein Enkel der Favorit. Wenn er für seinen Enkel töten müsste, würde er das tun. Es ist toll, so ein gutes Verhältnis zu haben. Das gibt dir auch einmal einen anderen Blick auf die Rennen. Alles, was der Enkel macht, ist richtig und was der Rest tut, ist falsch", lacht der Honda-Pilot. Papa Julia weiß, wie wichtig der Großvater für seinen Sohn ist. "Manchmal sehe ich sie intensiv diskutieren und denke mir 'diese Jungs!' Als Marc klein war, hatten sie noch ihre Geheimnisse und die haben sie immer noch." Großvater Ramon verpasst kein einziges Rennen. "Wenn wir in Japan, Malaysia oder Australien sind, steht er selbst für die Freien Trainings mitten in der Nacht auf und verpasst nichts", so Marquez. Papa Julia ergänzt: "Er sitzt da mit der Fernbedienung und wenn ein Rennen zu Ende ist und es etwas zu feiern gibt, geht er raus und zündet Feuerwerkskörper. Ich sage dann immer: 'Du bist jetzt zu alt für so laute Knaller!'"

Die Welt des Jorge Lorenzo

Jorge Lorenzo hat keine derartige Bezugsperson, aber immer ein sehr gutes Verhältnis zu seiner Mutter, Maria Guerrero. "Meine Mutter ist sehr natürlich und bescheiden und ein sehr liebevoller Mensch. Sie hat mir sehr viel Liebe mitgegeben und sie hat mir oft Dinge erlaubt, die mir mein Vater niemals erlaubt hätte", erinnert er sich. Seine Mutter gab ihm einen wichtigen Rat mit auf den Weg: "Ich habe ihm immer gesagt, er soll einfach er selbst bleiben. Das ist das Beste, was du als Sportler - aber auch privat - tun kannst." Seinen Weg zum Weltmeister konnten beide aber nicht wirklich zusammen gehen.

Lorenzo ist der Einzelkämpfer unter den Stars, Foto: Yamaha
Lorenzo ist der Einzelkämpfer unter den Stars, Foto: Yamaha

"Als meine Eltern sich scheiden ließen, musste ich mich zwischen Vater und Mutter entscheiden. Am Ende ging ich zu meinem Vater. Ich glaube, ich habe mich damals für ihn entschieden, weil das besser für meine Karriere war. Eigentlich wäre ich wohl lieber bei meiner Mutter geblieben. Bei ihr habe ich mich immer wohler gefühlt. Mit meinem Vater gab es oft Streit. Aber wenn ich bei meiner Mutter geblieben wäre, hätte ich nicht weiter Rennen fahren können." Also wuchs der Mallorquiner bei seinem Vater auf, wodurch er sich schon früh zu einem eher in sich gekehrten Mensch entwickelte. "Ich war immer eher etwas schüchtern und wenn du zurückhaltend bist, wird einem das schnell als Arroganz unterstellt. Aber ich hatte eigentlich nur Angst, zu viel von mir preiszugeben."

Sein Vater sei ein sehr kalter Mensch, grüße die Menschen kaum. "Er war immer so und alles was ich hatte, war er als mein Vorbild. Aber beim Rennsport habe ich ihm alles zu verdanken. Er hat viel für mich getan. Er ist eben mein Vater. Auch nachdem mein Vater und ich uns zerstritten hatten, blieben wir immer weiter in Kontakt. Wir hatten immer eine Hass-Liebe zueinander. Er ist halt manchmal schwer zu verstehen, aber wir reden zumindest darüber und können auch manchmal darüber Witze machen." Scherze kann Lorenzo auch heute in seinem Team machen. Der Yamaha-Fahrer fasst schwer Vertrauen, nachdem er bisher nicht nur von seinem Manager übers Ohr gezogen wurde. Vertraut Lorenzo einmal, hat er seine Verbündeten gern um sich.

Umso besser ist die Stimmung im Team. "Ich glaube, seine Stärke liegt in seiner Faszination zum Lernen. Er ist extrem interessiert, die Dinge zu verstehen. Er fragt immer 'Warum?' Aber nicht unverschämt oder arrogant, sondern weil er einfach verstehen will, um die Situation dann besser einzuschätzen. Ich würde es eine ausgeprägte Neugier nennen, guter Junge, ehrliche Haut", schätzt sein Boss Lin Jarvis ein. Lorenzo arbeitet hart, hat ein gutes Gefühl für das Motorrad, lacht aber auch gern mit seiner Crew.

Seine Crew ist eine Art Ersatzfamilie für Lorenzo, Foto: Milagro
Seine Crew ist eine Art Ersatzfamilie für Lorenzo, Foto: Milagro

Dabei hatte der 27-Jährige nicht immer Grund zum Lachen. "Mein Vater ist früher in Galizien Motocross-Rennen gefahren. Erst als er nach Mallorca zog, hat er mit dem Straßenrennsport begonnen. Als ich drei war, hat er mir mein erstes Motorrad gebaut - aus ein paar Eisenteilen und einem 50ccm Motor. Also begann ich mit drei Jahren zu fahren." Sein Vater, Chico Lorenzo, bezeichnete die ersten Runden als Spiel. "Ein Spiel zwischen Vater und Sohn, die das gleiche Hobby haben." Für Lorenzo war es auf der einen Seite ebenso nur Spaß. "Auf der anderen Seite war es oft auch ganz schön hart. Mein Vater konnte sehr streng sein und stand immer mit seiner Stoppuhr an der Strecke. Er versuchte, mir Dinge zu erklären, die ich anfangs gar nicht verstand. Aber da gab es kein Wenn und Aber."

Sein Vater hatte viel Zeit und Geld investiert und wollte Ergebnisse sehen. "Manchmal musste ich ihn schon ein wenig antreiben. Aber es gab auch Tage, an denen ich sagen musste 'Lass uns aufhören. Für heute reicht's'." Seine Mutter erinnerte sich an einen bestimmten Tag. "Als sie einmal trainierten, sagte sein Vater: 'Was war das denn jetzt für eine Runde?' Und Jorge schrie nur und war außer sich. Dann nahm er sein Bike und fuhr voller Wut weiter. Chico stand mit seiner Stoppuhr da und sagte: 'Hast du das gesehen? Er braucht den Druck. Je härter ich ihn antreibe, desto besser wird er.'" Maria Guerrero hatte beobachtet, dass ihr Sohn immer gleich sagte, was er dachte oder wütend wurde. "Wenn wir ihn bestraften, hieß es immer nur 'Warum? Warum?' Er hat immer nur protestiert. Gleichzeitig war er aber immer sehr liebevoll, halt wie ein Kind, verspielt."

So verschieden die Champions auch aufwuchsen: Das Motorradfahren begleitet sie bis heute und bedeutet nicht nur Leidenschaft, sondern ihr ganzes Leben. Luca Pasini erklärt das so: "Die Kinder sahen die Rennen als Spiel an und so sollte es sein. Dann wurde es nach und nach zu einem Beruf, aber tief im Inneren sollte es immer eine Freude bleiben, eine Sache, die man genießt. Das ist wichtig für Kinder: Wenn sie lernen, nie aufzugeben, dann werden sie im Leben gut zurechtkommen und dabei spielt es keine Rolle, was sie tun, ob sie Motorrad fahren oder nicht - das ist der Charakter, den sie für immer in sich tragen."

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