Nur, um es einmal vorwegzunehmen: Die Rennanalyse dient keinesfalls dazu, eine 'Entschuldigung' für Rossis großen Triumph zu liefern, oder gar seine sensationelle Leistung zu schmälern. Selbst an einem problemfreien Sonntag hätten Jorge Lorenzo, Marc Marquez und Dani Pedrosa in Misano über ihren turmhohen Standard noch hinauswachsen müssen, um den inspirierten Altmeister in dieser Form zu schlagen. Dennoch bedarf es natürlich eines genauen Blickes darauf, wie sich das Rennen vor allem an der Spitze zu einer derart souveränen Angelegenheit für den Lokalmatador entwickeln konnte.

Der Start: Pedrosa verabschiedet sich vom Spitzenkampf

Pole-Setter Lorenzo machte seinem Ruf als bester Starter alle Ehre und bog als Erster in die erste Kurve ein. Auch Rossi und Marquez kamen super aus den Startblöcken - und schnappten sich beide den an zwei gestarteten Pramac-Piloten Andrea Iannone. Am Ende der ersten Runde hatte das Spitzen-Trio bereits eine deutliche Lücke von einer Sekunde aufgerissen - Pedrosa hing als Siebter schon über zwei Sekunden hinter Lorenzo zurück. Bis der WM-Zweite am Ende von Runde acht endlich auf Rang vier nach vorne gefahren war, betrug sein Rückstand auf den Dritten Lorenzo bereits 3,5 Sekunden - eine Vorentscheidung.

Lorenzo, Rossi und Marquez kamen am Start gut weg - Pedrosa wurde eingeklemmt, Foto: Repsol Honda
Lorenzo, Rossi und Marquez kamen am Start gut weg - Pedrosa wurde eingeklemmt, Foto: Repsol Honda

"Ich kam eigentlich super weg, wurde in Kurve eins jedoch direkt zwischen zwei Kontrahenten eingeklemmt. Ich musste vom Gas gehen, verlor an Schwung und somit gleich noch einige Positionen", erklärt Pedrosa die aus seiner Sicht vorentscheidende Szene. Auch Setup und Elektronik seiner Honda RC213V waren jedoch alles andere als optimal. So rutschte Pedrosa massiv auf Front und Heck, hatte zudem eine vergleichsweise schlechte Traktion und Beschleunigung. An der Spitze brannte das Führungstrio hingegen ein regelrechtes Feuerwerk ab. Während Rossi und Marquez sich in Runde zwei und drei massiv bekämpften, schaffte es Lorenzo, seine falsche Reifenwahl durch die freie Fahrt zunächst zu kaschieren.

Lorenzo verzockt sich beim Reifenpoker

Bis zum Ende der sechsten Runde herrschte an der Spitze ein Dreikampf zwischen Rossi, Marquez und Lorenzo. Letzterer musste während des vierten Umlaufs seine Führung abgeben und wurde direkt bis auf Platz drei durchgereicht. Ab Runde sieben fiel Lorenzo jedoch plötzlich merklich zurück, nachdem er sich zuvor immerhin im Fenster von einer Sekunde bis zum in Führung liegenden Yamaha-Teamkollegen gehalten hatte. Bei Marquez Sturz in Runde zehn lag Lorenzo bereits über zwei Sekunden hinter Rossi zurück.

"Ich habe mich leider verpokert und als einziger auf den harten Vorderreifen gesetzt. Ich hatte von Beginn an keinen Kantengrip und bin nur gerutscht", gesteht Lorenzo unumwunden ein. Nachdem die Longruns in den Trainings am Samstag auf diesem Reifentyp bestens funktioniert hatten, war sich der Yamaha-Star sicher, so vor allem gegen Rennende einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu haben. "Heute hat der harte Reifen leider gar nicht funktioniert - es war eine Katastrophe. Ich konnte kaum einlenken und bin auch noch fast gestürzt. Ich wollte 1:34.0er-Zeiten fahren, war im Endeffekt aber gar noch langsamer als im Vorjahr, was mich doch sehr verwundert", konstatierte Lorenzo konsterniert. Ein Blick auf Lorenzos Rundenzeiten über das gesamte Rennen beweist, dass er seinem angestrebten Ziel nie wirklich nahe kam. Selbst Rossi scheiterte an Lorenzos Wunschzeiten.

Marquez' Sturz von Rossi erzwungen?

Bis zu seinem Sturz in Runde zwei lag Marquez innerhalb einer Sekunde auf den Führenden Rossi. Als Zuschauer fühlte man sich bereits an zahlreiche Rennen der Saison erinnert, in denen Marquez dem Treiben an der Spitze aus 'sicherer Entfernung' eine Weile lang zusah, um dann irgendwann die Initiative zu ergreifen. In Misano sollte jedoch alles anders kommen: "Die Yamahas waren hier wirklich das gesamte Wochenende stärker als wir, und noch am Samstag dachte ich, dass ich Rossi und Lorenzo niemals beikommen könnte", verrät Marquez. Nach seinem guten Start ins Rennen hatte der WM-Leader jedoch Selbstvertrauen getankt.

"Ich hatte ein gutes Gefühl und habe die ersten vier Runden nach dem Start fast schon über dem Limit gepusht, um mit den Jungs mithalten zu können", erklärt Marquez. Ein Blick auf die Zeiten bestätigt dies. In Runde vier drehte Marquez mit seiner 1:34.108 nicht nur die insgesamt schnellste Rennrunde - vier seiner fünf persönlich schnellsten Zeiten fielen in die Phase unmittelbar nach Rennbeginn. "Eigentlich hatte ich mich zum Zeitpunkt des Sturzes schon zurückgenommen und die kritische Phase überstanden. Ich habe daran geglaubt, Rossi über die Distanz des Rennens schon noch packen zu können, habe dann aber leider den Sturz erlitten, der ohne Wenn und Aber komplett mein eigener Fehler war", erklärt der Superstar.

Marquez Beging bei der Jagd nach Rossi einen folgenschweren Fehler, Foto: Repsol Honda
Marquez Beging bei der Jagd nach Rossi einen folgenschweren Fehler, Foto: Repsol Honda

Warum Marquez zu derart viel Risiko 'gezwungen' war, unterliegt ebenfalls einer plausiblen Erklärung: "Ich habe hauptsächlich beim Herausbeschleunigen viel Zeit auf Rossi verloren. In diesem Bereich sind wir mit der Honda normalerweise aber stärker. Heute haben wir aber aus irgendeinem Grund einen Nachteil gehabt, aber ich weiß nicht warum. Vielleicht haben wir nicht das beste Elektroniksetup gefunden und ich habe mit meinem Gewicht auf dem Motorrad auch nicht ideal gearbeitet." Nach seinem Sturz, der Marquez insgesamt 74 Sekunden kostete, nahm er das Rennen als 20. und Letzter wieder auf. Durch hohe 1:34er-Zeiten schloss er ohne großes Risiko wieder aufs Feld auf und sicherte sich nach Aleix Espargaros Sturz in der letzten Runde als 15. tatsächlich noch einen WM-Punkt.

Rossis Triumphfahrt: Beeindruckende Konstanz und Geschwindigkeit

Nach Marquez' Sturz war der Weg für Rossis Heimsieg quasi frei. Lorenzo hinter ihm hatte mit Problemen zu kämpfen und fiel zwischen Runde zehn und zwanzig von zwei auf knapp drei Sekunden zurück. Rossi brannte an der Spitze ein wahres Feuerwerk an Geschwindigkeit und Konstanz ab, dem auch Lorenzo mit dem Messer zwischen den Zähnen nicht beikam. Nicht weniger als 15 Mal während der ersten 22 Runden gelang Rossi eine Zeit von 1:34.5 oder besser. Der Vergleich mit den Zeiten der anderen drei Spitzenpiloten zeigt, wie überlegen der Italiener beim 'Heimspiel' in Misano tatsächlich war.

Fahrer:RossiLorenzoPedrosaMarquez
Runden 1:34.5 und besser:151278
Runden 1:34.7 und schlechter:611149

Rossi selbst erklärte seine Top-Leistung folgendermaßen: "Wir haben an diesem Wochenende etwas sehr wichtiges am Setting gefunden. So kann ich mein Bike schneller fahren und das bleibt uns auch im nächsten Rennen erhalten. Allerdings denke ich auch, dass Misano der M1 irgendwie hilft. Honda hat hier aus irgendeinem Grund Probleme, weswegen wir nicht davon ausgehen dürfen, dass sich das Kräfteverhältnis an der Spitze nun zu unseren Gunsten verschoben hat."

Rossi unwiderstehlich: Beim 'Heimrennen' in Misano war gegen den Altmeister kein Kraut gewachsen, Foto: Yamaha
Rossi unwiderstehlich: Beim 'Heimrennen' in Misano war gegen den Altmeister kein Kraut gewachsen, Foto: Yamaha

Fazit

Valentino Rossi verfügte am Sonntag über die beste Kombination aus perfekt eingestelltem Bike und guter Tagesform und ist ohne Wenn und Aber der verdiente Sieger. Probleme bei Marquez, Lorenzo und Pedrosa hin oder her: Wer ein Rennen gewinnen will, darf sich auf diesem fast schon außerirdischen Niveau an der Spitze der MotoGP nun einmal keinen Fehler erlauben. Lorenzo hat mit seinem vierten zweiten Platz in Serie trotz der erneuten Niederlage aber definitiv wieder zurück zu alter Stärke gefunden. Marquez stürzte erst zum zweiten Mal in seinem 31. MotoGP-Rennen, und hat bereits angekündigt, im WM-Kampf nun von seiner Vollgas-Mentalität Abstand nehmen zu wollen. Pedrosa hingegen muss sein fast schon permanentes Startproblem endlich in den Griff bekommen, wenn er wieder in den Kampf um Siege eingreifen will.