Fahrer, Verantwortliche und Experten hatten bereits zu Jahresbeginn mit einer spannenden Saison gerechnet, doch dieses Adjektiv ist die wohl lächerlichste Untertreibung, die man für den Titelkampf zwischen Marc Marquez und Jorge Lorenzo finden kann. Ein Duell, das so viele Wendungen und Überraschungen erlebt hat, wie man es in der MotoGP bisher noch nicht gesehen hat. Motorsport-Magazin.com mit dem Versuch einer Aufarbeitung.

Katar - Weltmeisterlicher Auftakt

Lorenzo begann die Saison im Stil eines Champions, Foto: Milagro
Lorenzo begann die Saison im Stil eines Champions, Foto: Milagro

Beim ersten Saisonlauf in Katar zeigte Jorge Lorenzo eindrucksvoll, warum er amtierender Weltmeister in der Königsklasse des Motorradsports ist. Von der Pole Position aus fuhr er einen zu keinem Zeitpunkt des Rennens gefährdeten Sieg ein und hängte seinen Teamkollegen Valentino Rossi um fast sechs Sekunden ab. Dahinter sorgte in seinem ersten MotoGP-Lauf aber auch schon ein gewisser Marc Marquez für Furore. Er musste sich Rossi nur knapp geschlagen geben, konnte aber seinen Teamkollegen Dani Pedrosa auf der Repsol Honda besiegen und holte seinen ersten Podiumsplatz in der MotoGP. Auch wenn Lorenzo den ersten Grand Prix des Jahres gewann, zeigte Marquez, dass mit ihm bereits in seiner Rookie-Saison zu rechnen sein wird.

Austin - Marquez schreibt Geschichte

Marquez ließ in Austin die Rekorde purzeln, Foto: Milagro
Marquez ließ in Austin die Rekorde purzeln, Foto: Milagro

So etwas gab es noch nie. In seinem erst zweiten MotoGP-Rennen und im Alter von nur 20 Jahren und 63 Tagen sicherte sich Marc Marquez beim Texas-Grand-Prix seinen ersten Sieg in der Königsklasse. Der Newcomer dominiert das Wochenende in beeindruckender Manier, sichert sich drei Trainingsbestzeiten und die Pole Position. Am Start muss er zuerst Dani Pedrosa ziehen lassen, doch dann fuhr Marquez ein Rennen im Stil eines Routiniers. Geduldig lauerte hinter seinem um sieben Jahre älteren Landsmann und lotete dessen Schwachpunkte aus. Neun Runden vor Schluss sah er schließlich seine Chance, überholte Pedrosa und ließ ihm in weiterer Folge nicht den Hauch einer Chance. Schließlich fuhr Marquez einen souveränen Sieg ein und lag nach nur zwei Rennen gleichauf mit Jorge Lorenzo, der in Austin Dritter wurde, an der Spitze der Weltmeisterschaft.

Jerez - Der erste Lackaustausch

In der letzten Kurve kam es zur Kollision, Foto: Milagro
In der letzten Kurve kam es zur Kollision, Foto: Milagro

In Jerez trugen Marquez und Lorenzo ihren ersten richtigen Zweikampf auf der Strecke aus. Dani Pedrosa war an diesem vierten Mai eine Klasse für sich und holte den Rennsieg, für Schlagezeilen sorgten aber erneut seine beiden Landsleute. Im Kampf um Platz zwei wagte Marquez zahlreiche Angriffe auf Lorenzo - vergebens. Der Yamaha-Pilot behielt ein ums andere Mal die Oberhand. So fuhr Lorenzo als Zweiter auf die letzte Kurve des Rennens zu, Marquez direkt hinter ihm. Der Weltmeister fuhr keine Kampflinie, für seinen jüngeren Herausforderer Grund genug ein letztes Manöver zu lancieren. Marquez versuchte sich innen durchzudrücken, war dabei aber zu spät auf der Bremse und fuhr Lorenzo seitlich in das Motorrad. Dieser musste von der Strecke, Marquez wurde Zweiter, für Lorenzo blieb nur Rang drei. Der 20-Jährige übernahm somit die alleinige Führung in der Weltmeisterschaft. Lorenzo war im Anschluss mehr als nur sauer, verweigerte Marquez sogar den Handschlag. Die Saison hatte mit dem ersten Skandal richtig Fahrt aufgenommen - nach gerade einmal drei von 18 Rennen.

Le Mans: Dritter Marc Marquez / Siebter Jorge Lorenzo
Mugello: Ausfall Marc Marquez / Sieg Jorge Lorenzo
Barcelona: Dritter Marc Marquez / Sieg Jorge Lorenzo

Assen - Schwerwiegender Abflug, Teil eins

In Assen brach sich Lorenzo zum ersten Mal das Schlüsselbein, Foto: Milagro
In Assen brach sich Lorenzo zum ersten Mal das Schlüsselbein, Foto: Milagro

Nach Siegen in Mugello und Barcelona kam Jorge Lorenzo mit 23 Zählern Vorsprung auf Marc Marquez nach Assen. Der Mann mit der Nummer 99 führte nicht nur die Weltmeisterschaft an, er war zu diesem Zeitpunkt der Saison der mit Abstand schnellste Fahrer im Feld. Eine Siegesserie Lorenzos schien sich anzubahnen, die Fahrerwertung könnte schon früh in der Saison entschieden sein. Doch dann folgte die zweite Trainingssession am Donnerstag auf nasser Strecke. Lorenzo kommt in der superschnellen Passage zwischen den Kurven Meeuwenmeer und Hoge Heide auf die weiße Begrenzungslinie, verliert die Kontrolle über seine M1 und wird mit weit über 200 Stundenkilometern zu Boden geworfen. Direkt nach dem Crash hält sich Lorenzo bereits den Arm, die Untersuchung im Medical Center bringt die niederschmetternde Diagnose - Schlüsselbeinbruch. Eine Operation ist notwendig, das für den 26-Jährigen somit eigentlich gelaufen. Eigentlich. Lorenzo ließ sich sofort nach Barcelona bringen, wurde dort unverzüglich operiert und am Freitag machte bereits im Fahrerlager das Gerücht die Runde, dass er bereits wieder am Weg in die Niederlage sei. So sollte es dann auch sein, Lorenzo fuhr keine zwei Tage nach dem Bruch seines Schlüsselbeins unter starken Schmerzen ein beherztes Rennen und kam als Fünfter an. Mit Tränen in den Augen nahm er nach der Zielflagge in der Yamaha-Box den Helm ab. Dieser fünfte Platz war ein Ergebnis, das ihm laut eigener Aussage mehr bedeutete als einige seiner Siege. Gegenüber Marc Marquez, der Dritter wurde, hatte er nur sieben Zähler verloren. Vor allem aber hatte er eines beweisen: Er ist bereit für die Weltmeisterschaft in jeglicher Hinsicht ans Limit und darüber hinaus zu gehen.

Sachsenring - Schwerwiegender Abflug, Teil zwei

In Abwesenheit von Lorenzo triumphierte Marquez am Sachsenring, Foto: Repsol Honda
In Abwesenheit von Lorenzo triumphierte Marquez am Sachsenring, Foto: Repsol Honda

Zwei Wochen nach der Dutch TT in Assen folgte der Große Preis von Deutschland am Sachsenring. Hier sollte Jorge Lorenzo ein Deja-vu der schlimmsten Sorte erleben. Zweites Freies Training, heftiger Abflug bei hohem Tempo, Aufprall auf der Schulter. Die Folgen waren dieselben. Erneut Bruch des Schlüsselbeins, erneut ab unters Messer. Wie schon beim ersten Mal wurde der Knochen mit mehreren Schrauben und einer Platte fixiert, zusätzlich wurde Knochenmark aus der Hüfte eingearbeitet um den Heilungsprozess zu fördern. An ein Rennen war am Sachsenring für Lorenzo aber nicht zu denken, Marquez holte sich in Abwesenheit seines Rivalen den Sieg und startete eine beeindruckende Serie. In den kommenden drei Grand Prix hatte Lorenzo nach wie vor mit seiner verletzten Schulter zu kämpfen, Marquez siegte auch in Laguna Seca, Indianapolis und Brünn. Der Rookie schien unaufhaltsam.

Laguna Seca: Sieg Marc Marquez / Sechster Jorge Lorenzo
Indianapolis: Sieg Marc Marquez / Dritter Jorge Lorenzo
Brünn: Sieg Marc Marquez / Dritter Jorge Lorenzo

Silverstone - Ein Champion gibt nicht auf

In einem unglaublichen Duell behielt Lorenzo in Silverstone die Oberhand, Foto: Milagro
In einem unglaublichen Duell behielt Lorenzo in Silverstone die Oberhand, Foto: Milagro

Überflieger, Außerirdischer, Superstar – die Lobeshymnen für Marc Marquez fanden nach dem Tschechien-Grand-Prix kein Ende. Und das völlig zu Recht. Vier Rennen hatte der Rookie en suite gewonnen, der Konkurrenz dabei praktisch keine Chance gelassen. Doch in Silverstone zeigte Marquez, dass auch er schlussendlich nur ein Mensch ist. Bei einem Sturz im Warm Up kugelte er sich die Schulter aus. Auch wenn er im Rennen an den Start ging und Jorge Lorenzo im vielleicht bisher besten Duell dieser beiden Ausnahmekönner bis zur letzten Kurve des Grand Prix fordern konnte, musste er sich schließlich dem noch amtierenden Weltmeister geschlagen geben. Für Lorenzo ein unglaublich wichtiger Sieg. Zwar konnte er mit ihm nur fünf Zähler auf Marquez in der Weltmeisterschaft gutmachen, aber er hatte gezeigt, dass auch der Mann aus Cervera nicht unschlag bar ist.

Misano: Zweiter Marc Marquez / Sieg Jorge Lorenzo
Aragon: Sieg Marc Marquez / Zweiter Jorge Lorenzo
Sepang: Zweiter Marc Marquez / Dritter Jorge Lorenzo

Australien - Marquez und das Flag-to-Flag-Dilemma

Marquez kam zu spät an die Box, Foto: Milagro
Marquez kam zu spät an die Box, Foto: Milagro

Den vorerst letzten Wendepunkt in dieser turbulenten und von ständigen Auf und Abs geprägten Saison markierte der Große Preis von Australien. Mit 43 Zählern Vorsprung kam Marquez nach Down under, hätte also bereits im drittletzten Rennen der Saison den Titel perfekt machen können. Doch so einfach sollte es nicht sein. Der neue Streckenbelag auf Phillip Island setzte den Reifen heftig zu, Bridgestone konnte nur für zehn Runden pro Reifensatz die Sicherheit garantieren. Die Lösung war schnell gefunden: Verkürzung der Renndistanz auf 19 Umläufe, Durchführung als trockenes Flag-to-Flag-Rennen mit einem verpflichtenden Boxenstopp in Runde neun oder zehn. So klar war die Regel, die jeder verstanden zu haben schien, mit Ausnahme von Marquez' Crew. Diese holte den WM-Leader eine Runde zu spät herein, die logische Folge war die Disqualifikation für Marquez. Lorenzo siegte und reduzierte den Rückstand auf 18 Zähler, es wurde noch einmal spannend.

Motegi: Zweiter Marc Marquez / Sieg Jorge Lorenzo

Valencia - Der große Showdown

Nun ist es soweit, die MotoGP hat ihr erstes richtiges Finale seit dem Jahr 2006. Zwei Spanier, der amtierende Weltmeister und der vielleicht beste Rookie aller Zeiten, kämpfen vor heimischem Publikum um die Krone des Motorradsports. Ein mehr als würdiges Ende für eine Saison, die an Dramatik, Action und denkwürdigen Momenten kaum zu überbieten war. Marc Marquez hat nach wie vor einen Vorsprung von 13 Zählern auf seinen Widersacher Jorge Lorenzo. Doch wenn die Geschichte eines gelehrt hat, dann, dass in einem Finale alles passieren kann. Wirklich alles.