Reifen. Das klingt nach einem langweiligen Thema, ist es aber nicht. Denn in der MotoGP sind die runden Gummis das A und O. Eigentlich sind sie neben der Elektronik und dem Fahrwerk sogar der interessanteste Aspekt eines MotoGP-Bikes. Warum? "Zwischen dem Asphalt und dem Kopf des Fahrers sind die Reifen der einzige Kontakt", lacht Bridgestone-Reifentechniker Peter Baumgartner. Klingt einfach, aber genau so ist es. Obwohl die Vorderreifen eines MotoGP-Motorrads nur die Auflagefläche in der Größe einer Kreditkarte haben, vermitteln allein sie dem Fahrer, ob er sitzen bleibt oder abfliegt. Das Vertrauen zum Pneu spielt also eine gehörige Rolle.

Die Geheimnisse des schwarzen Goldes in der MotoGP, Foto: adrivo Sportpresse
Die Geheimnisse des schwarzen Goldes in der MotoGP, Foto: adrivo Sportpresse

Doch fangen wir ganz von vorne an. Bridgestone ist seit 2009 alleiniger Reifenlieferant in der MotoGP. Dafür werden im Jahr über 10.000 Stück des kostbaren Gummis in alle Teile der Welt verschickt. An einem Rennwochenende bekommt jeder Fahrer von Bridgestone acht Vorder- und zehn Hinterräder. Die normalen Rennreifen, auch Slicks genannt, haben kein Profil und haften trotzdem besser als das handelsübliche Rad. Außerdem werden acht Regenreifen pro Pilot eingepackt. Das scheint alles recht einfach, doch bei einem Sortiment von zehn verschiedenen Mischungen allein für das Hinterrad ist die Vorauswahl für Bridgestone und für den Fahrer ein wahres Glücksspiel. Der aufmerksame MotoGP-Fan hat längst gemerkt, dass harte und weiche Reifen optisch unterschieden werden: die weichen Gummis werden mit einem weißen Strich gekennzeichnet, die harten nicht. Was der japanische Reifenhersteller für den Zuschauer vereinfacht darstellt, ist in Wirklichkeit viel komplexer, denn die Palette reicht von 'extra hard' über 'medium' bis hin zu 'soft' und 'extra soft', mal abgesehen von den Dual-Compound-Mischungen für die Hinterreifen. Diese werden immer dann eingesetzt, wenn eine Strecke besonders viele Links- oder Rechtskurven hat.

"Der Sachsenring oder auch Phillip Island haben fast nur Linkskurven, da wird die linke Flanke natürlich mehr beansprucht und die Mischung muss auf der Seite härter sein", erklärt Steve Jenkner, Reifentechniker bei Bridgestone. Umgekehrt habe zum Beispiel Brünn mehr Rechtskurven. Da muss natürlich die rechte Seite härter gemischt sein. Der Vorteil der Dual-Compound-Reifen für Bridgestone besteht darin, dass sie den Pneu doppelt verwenden. Wie praktisch. "Wenn bei einem der nächsten Rennen das Verhältnis von Links- und Rechtskurven genau umgekehrt ist, können wir den Reifen drehen, also andersherum einbauen. Die Hinterreifen können somit vorwärts und rückwärts gefahren werden", klärt Jenkner auf.

Die Qual der Wahl

Die weiche Mischung baut schneller ab, bietet aber zu Beginn mehr Grip und ist daher nach der Abschaffung der Qualifier besonders gut für schnelle Rundenzeiten in der Qualifikation geeignet. Die Haftung auf harten Reifen verbessert sich erst auf längere Distanz, dafür hält der harte Gummi gegen Ende eines Rennens noch einiges mehr aus. Der Fahrer steht also vor der Wahl: Nimmt er den härteren Reifen, wird er in den ersten Runden behutsamer fahren müssen, kann aber gegen Rennende Zeit auf die Konkurrenten gutmachen. Entscheidet er sich für die weichere Mischung, kann er schon am Anfang schnelle Rundenzeiten in den Asphalt brennen, muss aber hinnehmen, dass er die Kurven in der zweiten Rennhälfte langsamer fahren muss. Jenkner fügt hinzu: "Außerdem spielt es eine Rolle, ob der Tank leer oder voll ist - das muss alles die Elektronik regeln."

Gut, ganz so genau müssen wir das auch nicht wissen. Wichtig ist aber noch, dass harte und weiche Mischungen vorerst von den Temperaturen in und um die jeweilige Rennstrecke abhängen. Auf Kursen an denen hohe Temperaturen zu erwarten sind, werden nur härtere Mischungen mitgenommen. In Malaysia wird also auf keinen Fall ein weicher Reifen zu sehen sein. Die weiche Mischung packt Bridgestone nur bei kühlerem Wetter ein. Dazu werden die Reifentechniker schon früh zu Wetterfröschen und studieren die Voraussagen hoch und runter. Da die Gummis aber gerade bei Überseerennen schon früh eingetütet und verschickt werden müssen, muss ein solcher Reifen trotzdem einige Temperaturschwankungen überstehen. Denn wir wissen ja, wie zuverlässig die Wettervorhersagen manchmal sind. Deshalb werden die Pneus so konstruiert, dass sie auch noch bei Schwankungen bis zu 20 Grad Celsius der berechneten Asphalttemperatur funktionieren.

Steve Jenkner steht den Fahrern auch als Berater zur Seite, Foto: Milagro
Steve Jenkner steht den Fahrern auch als Berater zur Seite, Foto: Milagro

Und wie sieht es bei den Fahrern aus? Haben sie bestimmte Vorlieben? "Oft ist zu beobachten, dass die Piloten, die aus der Superbike kommen eher eine weichere Mischung bevorzugen", hat Jenkner nach vielen Jahren festgestellt. Die SBK-Piloten sind ein weicheres Fahrgefühl gewohnt und wählen demnach auch ihre Reifen. Die Fahrer, die den klassischen Aufstiegsweg über 125er und 250er beziehungsweise Moto2 nehmen, suchen auch in Bezug auf ihre Reifen mehr nach Stabilität. "Valentino Rossi und Casey Stoner nehmen oft den härteren Reifen, aber es gibt immer Ausnahmen. Zum Beispiel Colin Edwards", bestätigt Jenkner die Regel. Denn Edwards kommt zwar aus der Superbike-Klasse hat aber auch den harten Pneu lieber. Dennoch komme es immer noch auf das Motorrad und auf die Abstimmung, also das Gesamtpaket an. Auch Baumgartner bestätigt, dass Rossi seine Runden lieber auf harten Reifen dreht, zumindest bei Yamaha. "Valentino fährt seit 2008 auf den Bridgestones. Er kennt unsere Arbeitsweise und die verschiedenen Mischungen. Wir haben von ihm immer viel Input bekommen. Trotzdem beraten wir die Fahrer, denn wenn etwas schief geht, lag der Fehler nicht bei ihnen selbst", erklärt der Reifentechniker dem Motorsport-Magazin. Bei Jorge Lorenzo sei es verschieden. "Manchmal bevorzugt er die weiche, dann wieder die harte Mischung. Das ist immer abhängig von der Fahrwerkseinstellung. Jorge ist noch in der Lernphase. Ich gebe ihm immer Tipps", verrät er. Da Baumgartner 2010 alle Yamaha-Piloten betreut hat, weiß er auch, dass die Rookie-Saison für Ben Spies auf den Bridgestone-Reifen eine große Herausforderung darstellte: "Ben kam schließlich von Pirelli. Das ist eine enorme Umstellung. Aber er wird sich 2011 wohl noch mal extrem verbessern können, denn jetzt kennt er die Reifen, die Rennstrecken und sitzt auch noch auf einer Werksmaschine."

Apropos 2011: Wie sieht es da eigentlich bei Bridgestone aus? Viel wird sich nicht verändern. "Wir sind natürlich immer stückweise am Testen. Aber auch wir verlegen unsere Konzentration schon auf die 1000cc-Maschinen 2012", sagt Jenkner. Das wird eine völlig neue Herausforderung für den japanischen Hersteller. Der Techniker erklärt: "Sie sind den Superbikes ähnlicher. Da haben wir ganz andere Anforderungen. Denn die Piloten fahren dann nicht mehr so flüssig wie mit den 800cc-Maschinen, sondern mehr im Stop-and-Go-Stil." Obwohl es in diesem Jahr wieder vier Trainings-Sessions geben wird, bedeutet das für Bridgestone keine große Umstellung. "Wir werden deshalb nicht mehr Reifen mit an die Rennstrecke bringen, denn trotz mehr Trainingszeit werden nicht unbedingt mehr Kilometer gefahren. Man merkt, dass sich die Piloten einfach mehr Zeit lassen, wenn sie mehr Zeit zur Verfügung haben. Dann ist alles entspannter, aber die Fahrer müssen mit dem auskommen, was sie haben", meint Jenkner. Es gibt aber noch mehr Prognosen für 2011. Baumgartner ist sich sicher: "Valentino war beim ersten Test nicht 15., weil er mit der Ducati nicht zurecht kommt, sondern weil er die Strecke in Valencia absolut nicht mag. Er war dort noch nie auf dem Podest. Wir werden erst bei den kommenden Tests sehen, wie er mit der Ducati harmoniert." Doch auch ein Rossi muss nicht nur seine Reifen sorgsam wählen, sondern auch Elektronik und Fahrwerk darauf abstimmen, um wieder um Siege kämpfen zu können. Das schwarze Gold ist nicht zu unterschätzen. "Mit einem guten Gefühl für die Reifen kann ein Fahrer um einiges schneller fahren", weiß Jenkner. Denn mit keinem anderen Detail kann man so viel Zeit gewinnen oder auch verlieren.

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