Wenn morgen Abend auf dem Losail International Circuit die Boxenampel auf Grün schaltet ist sie vorbei, die Winterzeit, die Zeit des Kaffeesatzlesens und des Interpretierens, der Vermutungen, Anmaßungen und Spekulationen. Dann geht es wieder ans Racing, dann fällt der Startschuss zur Saison 2011 in der MotoGP-Weltmeisterschaft.

Geht als Champion als Gejagter in die Saison: Jorge Lorenzo, Foto: Milagro
Geht als Champion als Gejagter in die Saison: Jorge Lorenzo, Foto: Milagro

Keine Frage, das neue Jahr und der Saisonauftakt wurde mit so viel Spannung erwartet, wie schon lange nicht mehr. Erstmals in der 800ccm-Ära der MotoGP haben sich die Spitzenfahrer durcheinandergewürfelt und die Teams gewechselt. Und wiederum weitere stehen kurz davor, zu diesen "Aliens" an der Spitze aufzuschließen. Schon die Testfahrten haben gezeigt: Uns steht eine sicher enge, knappe und spannende Saison bevor.

Verschieben der Favoritenrolle

Als Favoriten auf den WM-Titel werden im Vorfeld der Saison 2011 einige gehandelt. Dabei sind in allererster Linie der amtierende Weltmeister Jorge Lorenzo, der Vize-Weltmeister Dani Pedrosa, der letztjährige Gesamtdritte Valentino Rossi und der letztjährige Vierte Casey Stoner zu nennen. Damit ist aber in diesem Jahr nicht alles getan, wenn man einfach die vier "Aliens" aufzählt.

Geht man nach den Fahrern, haben immer die Anderen die besten Chancen. Lorenzo stapelt tief und sieht Stoner und Pedrosa vorn, Stoner hingegen meint, dass der Mann mit der Nummer eins der gejagte ist. Und alle sind sich einig: Schreib niemals einen Valentino Rossi ab. Doch so richtig wollen sie nicht daran glauben, dass er mit der Ducati ein Wort um die Krone mitreden wird. Vielleicht wünschen sie es sich einfach auch nicht.

Fakt ist, dass Honda im Winter einen immensen Sprung gemacht hat und dass dort gleich zwei Top-Piloten im Team sind: Stoner und Pedrosa. Ersterer gilt aufgrund seiner Leistungen aus den letzten Jahren sicher als Favorit auf den ersten Sieg der Saison, aber leicht wird er es nicht haben. Pedrosa war ihm immer auf den Fersen und es ist ja bekannt, welch guter Starter der Spanier ist.

Simoncelli ist 2011 für Podeste gut., Foto: Milagro
Simoncelli ist 2011 für Podeste gut., Foto: Milagro

Honda ist insgesamt extrem stark aufgestellt. So gelang Marco Simoncelli, der im Gresini-Team eine weitere Werksmaschine pilotiert, in Sepang sogar die Testbestzeit. Teamkollege Hiroshi Aoyama, dessen RC212V nur geringfügig hinter den Werks-Spezifikationen herhinkt, überraschte beim ersten Nachttesttag von Katar mit Rang drei. Die Honda geht also gut und genau das will auch Andrea Dovizioso als dritter Mann im Repsol Honda Werksteam unter Beweis stellen. Er muss allerdings an seiner Konstanz arbeiten und sich noch seinen ersten Sieg im Trockenen erkämpfen.

Simoncelli und Ben Spies waren im letzten Jahr noch Rookies, dieses Jahr sehen die Experten die Beiden um Podeste und Siege kämpfen. Spies auf der Werks-Yamaha verblüffte weiterhin, indem er auch Teamkollege Lorenzo bei den Testfahrten regelmäßig schlagen konnte. Bei seinem ersten Auftritt in Katar 2009 holte er in der Superbike WM einen Doppelsieg, beim MotoGP-Debüt im letzten Jahr wurde er Fünfter. Und Spies sagt von sich selbst: "Ich bin ein Racer, kein Tester".

Spies für Amerika

Etwas Besonderes hätte es, wenn Spies am Sonntag das fast unmöglich erscheinende möglich machen würde. Die amerikanische Nationalhymne erklang nach einem MotoGP-Rennen zuletzt in der Saison 2006 auf dem Mazda Raceway in Laguna Seca, als Nicky Hayden seinen zweiten von zwei Siegen feierte, die ihm später zum WM-Titel verhalfen. Außerdem könnte Spies der erste US-amerikanische Sieger auf Yamaha seit Wayne Rainey 1993 in Brünn werden.

Spies hat einen Vorteil, den Valentino Rossi nicht mehr hat: Er sitzt auf einer Werks-Yamaha, deren Satelliten-Version er im letzten Jahr kennenlernte und er ist schmerzfrei. Sein italienischer Vorgänger ist zu Ducati abgewandert und das große "Oho" blieb im Winter aus. Rossi fuhr bei den Tests mit der Ducati den Überraschungs-Effekten hinterher und klassierte sich im Mittelfeld.

Der letzte US-Sieg in der MotoGP stammt von Nicky Hayden aus dem Jahr 2006, Foto: Honda
Der letzte US-Sieg in der MotoGP stammt von Nicky Hayden aus dem Jahr 2006, Foto: Honda

Alle Welt fragt sich, ob der neunfache Weltmeister blufft oder ernsthaft in Schwierigkeiten steckt. Fakt aber ist, dass Rossi da sein wird. Er ist derweil der Einzige im 800ccm-Zeitalter der schon beweisen konnte, dass ein schlechter Start nicht unbedingt eine Niederlage bedeuten muss. Konkurrenten auf anderen Motorrädern sind für ihn ein rotes Tuch und wenn am Sonntag der Starter mit der roten Flagge erst einmal beiseite gegangen sein wird, wird auch Rossi wieder in seinem Element sein. Ein Podest in der MotoGP ist immer schwer, aber der Ducati-Neuling kann das schon diese Woche schaffen.

Zweite Liga

Von einer zweiten Liga in der MotoGP zu sprechen, ist eigentlich etwas verwegen. Bedenkt man, dass alle 17 Fahrer im Winter zumeist innerhalb von runden zweieinhalb Sekunden lagen, dann spricht das eine klare und deutliche Sprache für sich. Dennoch gibt es darunter Fahrer, denen vielleicht Achtungserfolge zuzutrauen sind, aber gewiss keine Dauerpodest-Karte.

Allen voran ist dabei Hayden zu nennen. Der Amerikaner kann Motorradfahren - wie alle anderen auch - aber ein permanenter Siegfahrer war er noch nie. Und im Gegensatz zu letztem Winter konnte das Kentucky-Kid bei diesen Tests nicht gerade Berge versetzen. Hier und da wird ihm aber sicher auch wieder ein Spitzenresultat glücken.

Ob sich Loris Capirossi mit seinem Wechsel wirklich so einen großen Gefallen getan hat?, Foto: Milagro
Ob sich Loris Capirossi mit seinem Wechsel wirklich so einen großen Gefallen getan hat?, Foto: Milagro

Ähnlich ist es mit Colin Edwards. Der Yamaha Tech 3-Pilot war auch schon zwei Mal Weltmeister und hat mehrfach auch in der MotoGP bewiesen, dass er schnell sein kann. Dennoch rückt seine Hoffnung auf seinen ersten MotoGP-Sieg in immer weitere Ferne, je mehr junge Talente nachrücken. Der Texaner kann eigentlich nur noch auf eines hoffen, um sich diesen Traum zu erfüllen: Ein chaotisches Rennen wie in Donington 2009.

Ruhmreicher Kampf um Punkte

Randy de Puniet könnte in dieser Saison sein blaues Wunder erleben oder es allen zeigen. In den letzten Jahren steigerte sich der Franzose im LCR Honda-Team kontinuierlich und war immer für gute Resultate hinter den Aliens gut. Aber mit seinem Wechsel ins Pramac Ducati-Team vermutete niemand, dass er sich einen Gefallen tat. Als er aber bei den Testfahrten hin und wieder sein Talent blitzen ließ war klar, dass Top-Platzierungen auch mit der Satelliten-Ducati möglich sein würden.

Ein bitteres Erwachen dürfe es für den Oldie im Feld, Loris Capirossi, gegeben haben. Nach drei recht erfolglosen Saisons auf Suzuki erhoffte er sich den erneuten großen Sprung nach vorn im Pramac-Team. Doch mit der Satelliten-Ducati kam er nicht wirklich besser als mit der Suzuki zurecht und fand sich im hinteren Teil des Feldes wieder. Ob ihm der Druck eines Wochenendes mehr entgegenkommt?

Einzelkämpfer

Alvaro Bautista auf der Suzuki ist der wahre Einzelkämpfer im Feld. Er sitzt auf der einzigen GSV-R, die es dieses Jahr geben wird, und redet davon, an guten Tagen um das Podest zu fighten. Realistisch gesehen will er immer in den Top Ten sein. Experten trauen ihm das nicht zu, weil in der heutigen MotoGP-Welt ein Einzelkämpfer einfach auf verlorenem Posten sei. Und dennoch hat Bautista das Potenzial, gerade diese Leute zu überraschen.

Alvaro Bautista könnte einige Kritiker überraschen., Foto: Suzuki
Alvaro Bautista könnte einige Kritiker überraschen., Foto: Suzuki

Hector Barbera geht auf der Aspar-Ducati in seine zweite Saison und ist auf eine Art auch ein Einzelkämpfer. Er tritt als einzelner Pilot von Teamchef Jorge Martinez an, doch wird er von der engen Zusammenarbeit bei Ducati profitieren können. Zumindest muss er jetzt in seinem zweiten MotoGP-Jahr etwas unter Beweis stellen. Die Top Sechs sollten unter Umständen im Einzelfall drin sein.

Weiter geht es mit den Rookies. Cal Crutchlow kommt aus der Superbike-Klasse, Karel Abraham aus der Moto2. Während der Brite schon Supersport-Weltmeister war, WSBK-Läufe gewonnen und die letztjährige Meisterschaft dort als Fünfter abgeschlossen hat, hat der Tscheche Abraham wenig Erfolge vorzuweisen. Im letzten Moment holte er sich in Valencia beim Finale der Moto2 letztes Jahr noch seinen ersten GP-Sieg. Ansonsten empfahl er sich vor allem mit Vatis Brieftasche für die MotoGP und dennoch ist er ein Geheimtipp auf überraschende Ergebnisse. Und irgendwie muss man ihm und Karel Abraham Senior auch zu Dank verpflichtet sein, denn sonst wäre das Starterfeld auf noch mickrigere 16 Maschinen gesunken.

Moto2-Weltmeister Toni Elias war derjenige, der in der Saisonvorbereitung am meisten enttäuschte. Der Spanier kam selten über den letzten oder vorletzten Platz hinaus und ihm fehlte immer wieder der Anschluss. Die MotoGP-Klasse hat sich in seinem einen Jahr Abwesenheit um seinen ersten WM-Titel zu holen sehr verändert. 2009 wurde der 17-fache Grand Prix-Sieger noch Gesamt-Siebter der MotoGP, diese Hoffnungen darf er dieses Jahr nicht hegen. Ein Erfolg wäre für ihn schon der Anschluss zum hinteren Mittelfeld, Punkte sind bei nur 17 Fahrern heute ja keine Auszeichnung mehr.